Infantiler Nystagmus
Synonym: kongenitaler Nystagmus (veraltet), IN
Englisch: infantile nystagmus
Definition
Der infantile Nystagmus, kurz IN, bezeichnet verschiedene Nystagmusformen, die sich in den ersten Lebenswochen oder -monaten entwickeln.
Terminologie
Früher wurde der Begriff "kongenitaler Nystagmus" verwendet. Da sich der Nystagmus sich allerdings erst in den ersten Lebenswochen bis -monaten entwickelt, ist dieser Begriff nicht korrekt.
Epidemiologie
Eine Studie schätzt die Prävalenz des infantilen Nystagmus auf 14 pro 10.000 Einwohner. Die häufigsten Unterformen sind der IN durch Augenerkrankungen, der Albinismus-assoziierte IN und der idiopathische IN. Geschlechterverteilung und Erstmanifestation variieren je nach Ätiologie.[1]
Unterformen
Nach der Ätiologie unterscheidet man sechs Unterformen eines IN. Die Ursache eines infantilen Nystagmus liegt meist in der visuellen Afferenz.
Unterform | Merkmale | Charakter des Nystagmus |
---|---|---|
Idiopathischer infantiler Nystagmus (IIN) | Tritt ohne assoziierte Erkrankung auf. Kann sporadisch auftreten oder genetisch bedingt sein. Die Mutation ist häufig im FRMD7-Gen lokalisiert. Es findet sich meist ein X-chromosomaler Erbgang. Das entsprechende Genprodukt ist vermutlich am Auswachsen neuronaler Fortsätze beteiligt.[2] | Meist bilateral, konjugiert und horizontal. Kann als Pendelnystagmus oder Rucknystagmus vorliegen. Ausprägung hängt oft von der Blickrichtung ab. |
Albinismus-assoziierter infantiler Nystagmus | Tritt in Verbindung mit einem okulokutanen oder okulären Albinismus auf. Albinismus geht häufig mit Entwicklungsstörungen im visuellen System (insb. in der Netzhaut und im Chiasma opticum) einher. Die genaue Pathogenese ist nicht bekannt. [2] | Ähnlich zum idiopathischen infantilen Nystagmus. Ausprägung hängt oft von der Blickrichtung ab. |
Infantiler Nystagmus bei Spasmus nutans | Spasmus nutans (lat. "nickender Krampf") bezeichnet ein Syndrom mit der Trias aus infantilem Nystagmus, Torticollis und pathologischen Kopfnicken. Die Ätiologie ist unklar. Es besteht eine Korrelation zu einem niedrigen sozioökonomischem Status. Eine genetische Komponente scheint nicht vorzuliegen.[3] | Bei Spasmus nutans ist der Nystagmus variabel, meist jedoch pendelförmig, kleinamplitudig und hochfrequent ("Flimmernystagmus"), binokulär und konjugiert.[3] |
Manifest-latenter Nystagmus (MLN) | Wird auch als "fusion maldevelopment nystagmus syndrome" (FMNS) bezeichnet.[1][2] Zusammenhang mit Strabismus. Er weist eine Assoziation mit dem Down-Syndrom auf. Bei Behebung eines auslösenden Strabismus bildet er sich zurück. | Der Nystagmus bei frühkindlichem Strabismus weist eine horizontale Schlagrichtung in Richtung des Führungsauges auf. Bei alternierendem Schielen kann die Schlagrichtung daher auch rasch alternieren. Bei Bedecken eines Auges wird der Nystagmus verstärkt.[2] |
Infantiler Nystagmus bei Augenerkrankungen | Betroffen ist vor allem die visuelle Afferenz[4], unter anderem bei:
Die Genese des Nystagmus ist auch hier unklar. |
Auch der IN durch okuläre Erkrankungen kann einige der oben genannten Eigenschaften vorweisen, hier sind aber auch vertikale Schlagrichtungen, ein dissoziierter oder diskonjugierter Nystagmus oder auch ein See-Saw-Nystagmus (bei Achiasmatie) beschrieben. |
Infantiler Nystagmus bei neurologischen Erkrankungen | Wie beim Nystagmus des Erwachsenen kann auch beim Kind eine Vielzahl neurologischer Erkrankungen, die vor allem Hirnstamm oder Cerebellum betreffen, einen IN bewirken. Beispiele sind unter anderem: | Die Charakteristika des IN bei neurologischer Erkrankung hängt von der Topologie der auslösenden Läsion ab. |
Klinik
Der infantile Nystagmus ist in der Regel konjugiert. Die Schlagrichtung ist meist horizontal, ggf. mit vertikaler oder torsioneller Komponente.
Oft existieren sogenannte "Nullzonen", in denen der Nystagmus sehr schwach ausgeprägt ist oder sogar fehlt. Betroffene Kinder nehmen kompensatorisch oft eine abnorme Kopfhaltung ein, bei der die Augen in der Nullzone stehen.[4] Häufig findet sich ein begleitender Kopftremor.
Ein Nystagmus kann zu einer Verschlechterung des Visus führen, da die Fovea centralis nicht mehr auf anvisierte Objekte fixiert werden kann. Im Vergleich zum adulten Nystagmus kommt es beim IN jedoch seltener zu Oszillopsien. Besonders, wenn eine Nullzone beim Blick geradeaus besteht, ist die Sicht nicht eingeschränkt.
Weitere Symptome sind von der auslösenden Erkrankung abhängig.
Der infantile Nystagmus kann eine psychosoziale Belastung sein, da es zu einer Stigmatisierung kommen kann.
Diagnostik
Die Diagnostik richtet sich im Einzelnen nach der Ursache. Im Allgemeinen sinnvoll sind:
- Ophthalmologische Untersuchung (Beobachtung der Nystagmuscharakteristika, Spaltlampe, Elektroretinogramm, OCT)
- Zyto- und Molekulargenetische Untersuchungen (z.B. auf Down-Syndrom, FRMD7-Mutationen)
- cMRT (Raumforderungen, Fehlbildungen)
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Ursache (z.B. Okklusionstherapie bei Strabismus, Kataraktexzision).
Als Supportivmaßnahme können beispielsweise Prismenbrillen eingesetzt werden, da in einigen Fällen eine so erzwungene Konvergenzreaktion den Nystagmus abschwächt. Auch eine Injektion von Botulinumtoxin in die äußeren Augenmuskeln ist möglich, sie bringt jedoch auch Nachteile mit sich (z.B. Diplopie).
Gabapentin und Memantin können außerdem den Nystagmus abschwächen und so die Sehfähigkeit verbessern.[5]
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Gottlob et al.: "The prevalence of nystagmus: the Leicestershire nystagmus survey" Investigative Ophthalmology & Visual Science, 2009
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 Papageorgiou, McLean, Gottlob: "Nystagmus in Childhood" Pediatrics and Neonatology, 2014.
- ↑ 3,0 3,1 Gottlob, Irene: "Spasmus nutans" auf OrphaNet, 2014. Aufgerufen am 10.10.2023.
- ↑ 4,0 4,1 S1-Leitlinie Augenmotilitätsstörungen inklusive Nystagmus im AWMF-Register. Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2021.
- ↑ McLean R, Proudlock F, Thomas S, Degg C, Gottlob I.: "Congenital nystagmus: randomized, controlled, double-masked trial of memantine/gabapentin" Annals of Neurology, 2007
um diese Funktion zu nutzen.