Gliedergürteldystrophie
Englisch: limb-girdle muscular dystrophy
Definition
Als Gliedergürteldystrophien, kurz LGMD, bezeichnet man eine Gruppe von erblichen Muskelerkrankungen, die primär die Skelettmuskulatur befallen. Charakteristisch für die Erkrankungen ist eine progrediente Muskelschwäche der Schulter- und Beckengürtelmuskulatur, die durch einen Verlust von Muskelfasern verursacht wird. Gliedergürteldystrophien gehören zu den Muskeldystrophien.
Genetik
Die Gliedergürteldystrophien werden anhand ihres Erbgangs in zwei Gruppen unterteilt:
- Typ-1-LGMD (LGMD1): Autosomal-dominanter Erbgang
- Typ-2-LGMD (LGMD2): Autosomal-rezessiver Erbgang (insgesamt häufiger)
Die einzelnen Subtypen der LGMD werden darüber hinaus anhand des Vererbungsmodus klassifiziert. "D" steht dabei für dominant und "R" für rezessiv. Nach der Reihenfolge der Entdeckung wird dem entsprechend betroffenen Protein eine Nummer zugeordnet und das jeweilige Protein gelistet. Daraus ergibt sich folgendes Format:
- "LGMD, Vererbung (R oder D), Reihenfolge der Entdeckung (Nummer), betroffenes Protein"
Dysferlinopathien werden zum Beispiel durch Mutationen im DYSF-Gen verursacht. Ihre Abkürzung lautet entsprechend "LGMD R2 dysferlin-related."
Ätiologie
Gliedergürteldystrophien können durch Mutationen in vielen verschiedenen Genen verursacht werden, die für den Muskelaufbau und die Muskelfunktion relevant sind. Die Gene kodieren größtenteils Proteine der extrazellulären Matrix, des Sarkolemms und des subsarkolemmalen Zytoskeletts. Darüber hinaus sind die betroffenenen Gene an der posttranslationalen Modifikation und Prozessierung von Proteinen beteiligt. Die Mutationen führen zu strukturellen Abweichungen bzw. einem Mangel oder völligem Fehlen von verschiedenen Muskelproteinen.
Es existieren 30 verschiedene genetische Subtypen der LGMD (z.B. Calpainopathien, Dysferlinopathien). Gene, die betroffen sein können, sind beispielsweise das MYOT-, LMNA-, CAV3- und TTN-Gen.
Klinik
Der Phänotyp der LDMD weist eine große inter- und intrafamiliäre Variabilität auf. Charakteristische Merkmale der LGMD sind eine progrediente Muskelschwäche der Schulter-, Beckengürtel- und Hüftgelenksmuskulatur, die mit einer Muskelatrophie einhergeht. Je nach dominierendem Befallsmuster kann ein skapulohumeraler von einem pelvifemoralen Typ unterschieden werden. Das Manifestationsalter variiert zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Im Kindesalter ist dabei ein Befall der Beckenmuskulatur häufiger, wohingegen im Erwachsenenalter ein Befall von Schulter- und Beckenmuskulatur dominierend ist und sich durch eine progrediente proximale Schwäche äußert.
Ein Befall der Gesichtsmuskulatur ist in der Regel mild und kann selten sogar fehlen. Extraokuläre Muskeln sind nicht betroffen. Distal gelegene Muskeln können im Endstadium betroffen sein.
Eine kardiale Beteiligung (dilatative Kardiomyopathie und Reizleitungsstörungen) findet sich bei den Subtypen LGMD R4 (beta-sarcoglycan-related) und der LGMD R9 (FKRP-related).
Eine Intelligenzminderung ist nicht charakteristisch für die Erkrankungen.
Diagnostik
An eine LGMD sollte bei proximaler Muskelschwäche und Atrophie mit Beteiligung der Schulter- und Beckenmuskulatur gedacht werden. Eine positive Familienanamnese kann wegweisend sein. Laborchemisch liegt typischerweise eine moderate CK-Erhöhung vor. Zudem sollte eine umfassende Labordiagnostik zum Ausschluss metabolischer, toxischer und autoimmunologischer Differentialdiagnosen durchgeführt werden.
In der EMG zeigt sich ein myopathisches Muster mit kleinen, polyphasischen Potenzialen. Eine MRT kann hilfreich sein, um das Ausmaß der beteiligten Muskulatur zu bestimmen und eine Abgrenzung zu entzündlichen Myositiden zu ermöglichen.
Ein weiterer Bestandteil der Diagnostik ist die immunhistologische Untersuchungen von Muskelbiopsien. Gesichert wird die Diagnose durch den molekulargenetischen Nachweis einer krankheitsdefinierenden Mutation.
Abgrenzung
Um die LGMD von einer kongenitalen Muskeldystrophie zu unterscheiden, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- Die Patienten müssen selbstständig gehen können
- Vorhandensein erhöhter CK-Level
- Vorhandensein von degenerativen Muskelveränderungen in der Bildgebung im Krankheitsverlauf
- Vorhandensein dystrophischer Veränderungen der Muskulatur in der Histologie
Differentialdiagnosen
Therapie
Es existiert zur Zeit (2023) keine kausale Therapie der LGMD. Die Behandlung umfasst unter anderem Physiotherapie und Dehnungsübungen zur Förderung der Mobilität und zur Vermeidung von Kontrakturen. Falls notwendig, sind der Einsatz von Atemhilfen oder chirurgische Eingriffe bei orthopädischen Komplikationen möglich. Die Patienten benötigen häufig soziale und emotionale Unterstützung.
Quellen
- ↑ Speer et al. Neuromuskuläre Erkrankungen, Pädiatrie, 2019
Literatur
- Narayanaswami et al. Evidence-based guideline summary: diagnosis and treatment of limb-girdle and distal dystrophies: report of the guideline development subcommittee of the American Academy of Neurology and the practice issues review panel of the American Association of Neuromuscular & Electrodiagnostic Medicine, Neurology, 2014
- Angelini. LGMD. Identification, description and classification, Acta Myol. 2020
- Wicklund. The Limb-Girdle Muscular Dystrophies, Continuum (Minneap Minn), 2019
- DGM - Gliedergürteldystrophie, abgerufen am 20.12.2022
- Orphanet - Gliedergürteldystrophie, abgerufen am 20.12.2022
- Fanin, Angelini Progress and challenges in diagnosis of dysferlinopathy, Muscle Nerve, 2016