Englisch: fractional flow reserve
Als fraktionelle Flussreserve, kurz FFR, wird ein Index bezeichnet, der eine druckbasierte Beurteilung der Hämodynamik in stenosierten epikardialen Koronargefäßen ermöglicht.
Bei einer koronaren Herzerkrankung können Stenosen der Herzkranzgefäße zu einer Myokardischämie führen. Dabei ist es wichtig, die Stenosen zu identifizieren, die mit einem hohen Ischämierisiko einhergehen. Die invasive Behandlung von Stenosen, die keine Ischämie verursachen, bringen für den Patienten keinen Vorteil. Umgekehrt ist die perkutane transluminale Koronarangioplastie (PCI) mit Stentimplantation prognostisch bedeutsam bei relevanter myokardialer Ischämie, definiert ab einem ischämischen Areal von mindestens 10 % des gesamten Myokards.
Es besteht kein enger Zusammenhang zwischen dem angiografischen Stenosegrad einer atherosklerotischen Läsion und der verursachten myokardialen Ischämie. So müssen auch hochgradig erscheinende Läsionen nicht zwangsläufig eine relevante Ischämie bewirken und umgekehrt. Auf dieser Basis liefern die aktuellen (2019) ESC-Leitlinien zwei Empfehlungen:[1]
Der Nachweis einer relevanten Ischämie kann nichtinvasiv (z.B. Ergometrie, Stress-Echokardiographie, Myokardszintigrafie, Stress-Magnetresonanztomographie) oder invasiv durch FFR-Messung erfolgen.
Im Rahmen einer Koronarangiographie wird nach Gabe von Heparin und intrakoronarer Nitroglycerinapplikation ein Druckdraht durch den Führungskatheter vorgeschoben. Dieser verfügt über einen Drucksensor ca. 3 cm proximal der Spitze und wird möglichst distal in dem zu untersuchenden Gefäß platziert.
Anschließend erfolgt die Induktion einer maximalen Hyperämie, da in diesem Zustand eine lineare Beziehung zwischen Druck und Fluss vorliegt. Hierfür wird meist 140 µg/kgKG Adenosin intravenös verabreicht. Alternativ kann der selektive koronare Vasodilatator Regadenoson (Rapiscan®) verwendet werden.
Nach ca. 120 bis 150 Sekunden erfolgt ein manueller Rückzug des Drahtes unter Durchleuchtung. Dabei wird der Druck hinter der Stenose (Pd) gemessen und mit dem Aortendruck (Pa) in Beziehung gesetzt.
Messmethoden ohne Induktion einer maximalen Hyperämie sind ebenfalls möglich und einer konventionellen FFR-Messung nicht unterlegen.[2][3] Dazu zählen:
Die Druckverhältnisse in den Arterien sollten unabhängig vom Blutfluss im gesamten Gefäß konstant sein. Entsprechend besitzt der Quotient aus beiden Drücken (Pd/Pa) in einem gesunden Gefäß einen Wert von 1.
Liegt jedoch eine Stenose vor, sinkt der Druck distal bzw. poststenotisch ab.[6] Folglich wird der Quotient kleiner. Der genaue Wert ist dabei abhängig vom Durchmesser der Stenose, deren Länge und Beschaffenheit. Ist der Widerstand der Mikrozirkulation hoch und das Versorgungsgebiet klein, kann selbst eine höhergradige Stenose nur einen geringen Einfluss auf den Blutfluss bzw. auf die FFR haben.
Folgende Cut-off-Werte sind derzeit (2019) festgelegt:
Während 2011 ca. 10.200 FFR-Messungen in Deutschland durchgeführt wurden, stieg die Zahl auf über 38.000 Messungen im Jahr 2016.
Hauptgründe für den noch relativ seltenen Einsatz könnten die fehlende Verfügbarkeit, ein nicht ausreichend geschultes Personal, die technische Komplexität und Probleme bei der Kostenerstattung sein, wobei die FFR-Messung aktuell (2019) in der DRG abgebildet ist und in vielen Fällen kostendeckend erstattet wird.[7]
Die häufigste Indikation zur FFR-Messung ist eine angiografisch mittelgradige Stenose bei nicht eindeutiger Klinik bzw. nicht eindeutigem Ischämienachweis.
Bei seriellen Stenosen innerhalb eines Gefäßes wird empfohlen, die distale Stenose zu behandeln oder die Stelle mit dem größten Drucksprung während des Rückzugs des Katheterdrahts. Anschließend sollte eine erneute FFR-Messung und Reevaluation erfolgen.
Bei mittelgradigen Hauptstammstenosen ist die Beurteilung über die Notwendigkeit einer Revaskularisierung allein auf Basis angiografischer Befunde oft erschwert. Die Datenlage zur FFR-geführten Therapieentscheidung basiert hierbei auf vielen, nichtrandomisierten Studien. Patienten, die nach FFR-Messung einer primär medikamentösen Therapie zugeführt wurden, zeigten vergleichsweise niedrige Komplikationsraten während der Langzeit-Nachbeobachtung.
Bei einem STEMI wird die FFR-Messung in der Culprit-Läsion nicht empfohlen. In anderer Lokalisation ist sie jedoch grundsätzlich möglich.[8] Die COMPARE-ACUTE-Studie konnte erstmals bei 885 Patienten mit STEMI und Mehrgefäßerkrankung zeigen, das die FFR-gesteuerte Revaskularisation mehrerer Gefäße gegenüber der alleinigen Behandlung des Infarktgefäßes vorteilhaft ist.[9] Die CULPRIT-SHOCK-Studie zeigte jedoch, dass die Revaskularisation von nicht infarktrelevanten Koronarstenosen (Mehrgefäß-PCI) bei Herzinfarkt und Mehrgefäßerkranung im Fall eines kardiogenen Schocks prognostisch nachteilig ist.[10]
Für den Einsatz bei einem NSTEMI kann derzeit (2019) noch keine Empfehlung ausgesprochen werden.[11]
Die FFR-Bestimmung gilt als Goldstandard zur Beurteilung der hämodynamischen Wirksamkeit einer Stenose. Sie kann unnötige Interventionen vermeiden und umgekehrt eine hämodynamische Relevanz anzeigen. Der gemeinsame Bundesausschuss kommt in seiner Nutzenbewertung zu folgendem Schluss:[12] Der Nutzen einer FFR-Messung ist als belegt anzusehen für Patienten, bei denen eine KHK vorliegt, die Indikation zur Koronarangiographie besteht und aufgrund des Angiographiebefundes die Indikation zur Koronarintervention nicht eindeutig ist. Eine Koronarangiographie nur zum Zweck der FFR-Messung soll nicht durchgeführt werden.
Die DEFER-Studie schloss 325 Patienten mit De-novo-Stenosen und einem angiografischen Stenosegrad > 50 % Diameterreduktion ein.[13] Dabei wurden Patienten mit einer FFR > 0,75 zur Therapie mit PCI oder zu einem konservativen Vorgehen randomisiert. Patienten mit einer FFR < 0,75 wurden revaskularisiert (Referenzgruppe). Nach einem und nach fünf Jahren zeigte sich, dass der Verzicht auf eine PCI bei FFR > 0,75 nicht nachteilig war und sogar weniger Myokardinfarkte auftraten.
Über 1000 Patienten mit Mehrgefäß-KHK und angiografischen Stenosen > 50 % wurden in eine angiografisch- oder in eine FFR-geführte Interventionsgruppe randomisiert.[14] Im FFR-geführten Arm erfolgte eine PCI bei einer FFR ≤ 0,80. Hierbei trat bei identischer Mortalität der kombinierte Endpunkt (Tod, Myokardinfarkt, Revaskularisation) nach einem Jahr signifikant seltener auf (13,2 % vs. 18,3 %). Auch die 5-Jahres-Daten bestätigen die Sicherheit der FFR-gesteuerten PCI. Patienten mit stabiler KHK und Stenosen mit einer FFR von über 0,80 profitieren nicht von einer PCI.
Diese Studie untersuchte, ob Patienten mit einer stabilen Ein- oder Mehrgefäßerkrankung von einer PCI profitieren, wenn die Therapie anhand der FFR-Messung stratifiziert wird.[15] Patienten mit einer FFR > 0,80 wurden konservativ behandelt. Patienten mit FFR-Werten ≤ 0,80 wurden entweder in eine Gruppe mit konservativer Therapie und PCI oder in eine mit nur konservativer Therapie randomisiert.
Nach Einschluss von 880 Patienten wurde die Studie vorzeitig abgebrochen, da der primäre Endpunkt (Kombination aus Tod, Myokardinfarkt und dringlicher Revaskularisation) in der PCI-Gruppe signifikant seltener auftrat als in der konservativ behandelten Gruppe.
Tags: Herzkatheteruntersuchung, KHK
Fachgebiete: Kardiologie
Diese Seite wurde zuletzt am 25. Oktober 2019 um 16:13 Uhr bearbeitet.
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