Rückenschmerzen
Synonym: Dorsalgie
Englisch: back pain
Definition
Als Rückenschmerzen bezeichnet man Schmerzen, die im Bereich des Rückens bzw. der Wirbelsäule auftreten. Sie können von den Knochen, Muskeln, Nerven und anderen Strukturen des Rückens ausgehen, oder dorthin projiziert werden.
Epidemiologie
Rückenschmerzen sind ein weit verbreitetes Schmerzerlebnis. Die Lebenszeitprävalenz in Deutschland von akuten Rückenschmerzen liegt bei etwa 70 bis 80 %. Die Prävalenz chronischer Rückenschmerzen in der Allgemeinbevölkerung wird mit etwa 10 bis 21% angegeben.
Einteilung
…nach Dauer
- akut: < 6 Wochen
- subakut: 6 - 12 Wochen
- chronisch: > 12 Wochen
- rezidivierend: Schmerzepisoden, die nach einer symptomfreien Phase von mindestens 6 Monaten wieder akut auftreten
…nach Lokalisation
- Zervikalgie (HWS-Syndrom, Zervikalsyndrom): akute oder chronische Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule bzw. Nackenschmerzen
- Zervikobrachialgie (HWS-Syndrom): Schmerzen im Bereich der HWS, die in das Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Spinalnerven ausstrahlen.
- Thorakalgie (BWS-Syndrom, Thorakalsyndrom): Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS), die in den Thorax ausstrahlen können
- Lumbalgie (LWS-Syndrom, Lumbalsyndrom): akute oder chronische Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule bzw. Kreuzschmerzen
- Lumboischialgie (LWS-Syndrom): Schmerzen im Bereich der LWS, die in das Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Spinalnerven bzw. ihrer Abkömmlinge (z.B. Nervus ischiadicus) ausstrahlen.
…nach Ausstrahlung
- Radikuläre Ausstrahlung: Die Schmerzen beginnen im Bereich der Wirbelsäule und strahlen entlang des Dermatoms eines oder mehrerer Spinalnerven in Arm oder Bein aus. Kombination mit sensiblen oder motorischen Ausfällen des betroffenen Spinalnerven sind möglich.
- Pseudoradikuläre Ausstrahlung: Die Schmerzen beginnen im Bereich der Wirbelsäule und strahlen in Arm oder Bein aus, sind aber keinem Dermatom genau zuzuordnen. Leichte sensible Störungen sind möglich. Paresen treten nicht auf.
…nach Ätiologie
Unspezifische Rückenschmerzen
Bei unspezifischen Rückenschmerzen lässt sich keine eindeutige Ursache erkennen. In der Regel sind sie muskulär bzw. myofaszial bedingt und bilden sich teilweise oder vollständig innerhalb von Tagen bis Wochen zurück. Eine Ausstrahlung ins Gesäß, in den Nacken oder in die Arme ist möglich. Eine Bildgebung ist nicht indiziert. Psychosoziale Risikofaktoren, sogenannte Yellow Flags, können das Risiko für eine Chronifizierung erhöhen.
Spezifische Rückenschmerzen
Bei spezifischen Rückenschmerzen besteht eine feststellbare somatische Ursache, deren Therapie die Symptomatik positiv beeinflussen kann, z.B. ein Bandscheibenprolaps, Frakturen oder Infektionen.
…nach Verlauf
Unkomplizierte Rückenschmerzen
Unkomplizierte Rückenschmerzen haben keine radikuläre Ausstrahlung und werden nicht von neurologischen Ausfällen begleitet. Der bei gutem Allgemeinzustand. Sie haben eine gute Rückbildungstendenz.
Komplizierte Rückenschmerzen
Komplizierte Rückenschmerzen sprechen nicht auf konservative Therapiemaßmahmen an und zeigen keine Rückbildungstendenz. Sie gehen mit radikulärer Ausstrahlung und neurologischen Symptomen einher. Warnhinweise ("Red Flags"), dass es sich um komplizierte Rückenschmerzen handelt, sind:
- sensible Ausfälle, Paresen, Blasen- oder Mastdarmschwäche
- Alter < 20 oder > 55 Jahre
- bekannte Tumorerkrankung
- klinische Hinweise auf eine mögliche Tumorerkrankung oder Entzündung, z.B. Gewichtsabnahme, allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber
- kürzlich zurückliegende Verletzungen
- bekannte Wirbelsäulendeformitäten, z.B. Skoliose, Spondylitis ankylosans, Wirbelgleiten
- bekannte Osteoporose
- Langzeittherapie mit Steroiden oder Immunsuppressiva
- Drogenabusus, HIV
- Schmerz, der unabhängig von körperlicher Bewegung ist oder sich in Ruhe verstärkt
- gleichzeitige thorakale Schmerzen
- Befundpersistenz über 4 bis 6 Wochen oder Verschlechterung unter konservativer Therapie
Ursachen
Die Ursachen für Rückenschmerzen sind vielfältig. Häufigste Ursachen sind alltagsbedingte Fehlhaltungen in Zusammenhang mit Übergewicht, mangelndem Training der Rückenmuskulatur und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule. Nach der Lokalisation der auslösenden Ursache – von der Wirbelsäule (vertebragen) oder von anderen Orten (extravertebragen) ausgehend – unterscheidet man:
Vertebragene Ursachen
- Spinalkanalstenose
- Bandscheibenvorfall
- Osteoporose
- Wirbelsäulentumore oder Wirbelsäulenmetastasen
- Spinale Tumore oder Rückenmarksmetatasen
- Wirbelfrakturen
- Spondylitis oder Spondylodiszitis
- Spondylolyse oder Spondylolisthesis
- Spinalabszess
- Wirbelsäulendeformitäten (Skoliose)
- Morbus Baastrup
Extravertebragene Ursachen
- Thorakale Erkrankunen (z.B. Aortenaneurysma, Myokardinfarkt)
- Abdominelle Erkrankungen (z.B. Pankreatitis, Cholezystitis)
- Urologische Erkrankungen (z.B. Urolithiasis, Pyelonephritis)
- Gynäkologische Erkrankungen (z.B. Ovarialzyste, Endometriose)
- Systemerkrankungen (Infektionen, Malignome, Autoimmunerkrankungen)
Klinische Syndrome
Die häufigste Form von Rückenschmerzen sind unspezifische, meist tiefliegende Rückenschmerzen ohne Ausstrahlung oder mit pseudoradikulärer Ausstrahlung.
Lumbago
Die Lumbago ("Hexenschuss") ist ein plötzlicher, stechender Schmerz im Rücken, der durch Reizung der sensiblen Eigeninnervation der Wirbelsäule und nicht durch Kompression von Spinalnerven ausgelöst wird. Meist ist die LWS betroffen. Typisch ist ein zunächst umschriebener, meist stechender Kreuzschmerz, oft verbunden mit Zwangshaltung, Bewegungssperre, Hartspann, Dornfortsatzdruckschmerz. Sensibilitätsstörungen oder Paresen bestehen nicht. Eine Bildgebung ist nicht indiziert.
Facettensyndrom
Ein Facettensyndrom ist ein Schmerzsyndrom, das durch meist chronische Reizung der Facettengelenke im Rahmen degenerativer Gelenkveränderungen (Spondylarthrose) bedingt ist. Typisch sind tiefe Rückenschmerzen in Höhe der krankhaft veränderten Gelenke, häufig mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in Richtung der Beine (in der Regel nicht tiefer als Knie). Paresen oder klare sensible Ausfälle treten nicht auf. Typischerweise verschlimmern sich die Schmerzen bei Belastung (z.B. bei Retroflexion oder längerem Stehen oder Gehen). Nur bei länger dauernden Beschwerden (> 6 - 12 Wochen) ohne Besserungstendenz ist eine Bildgebung indiziert.
Iliosakralgelenksblockade
Die Iliosakralgelenksblockade ist gekennzeichnet durch myofaszial bedingte, tief lumbale Schmerzen mit Ausstrahlung in die laterale Seite des Oberschenkels bis in Höhe des Trochanter majors. Die Schmerzen treten auch auf, wenn die Patienten im Bett liegen und sich drehen.
Radikulopathie
Eine akute oder chronische Reizung bzw. Schädigung der Nervenwurzeln kann sich mit Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und/oder Paresen im Versorgungsgebiet einer (Monoradikulitis) oder mehrerer (Polyradikulitis) Spinalnerven äußern. Ursächlich für Radikulopathien sind meist degenerative Veränderungen (z.B. Bandscheibenvorfall), seltener Entzündungen (z.B. Herpes zoster) oder Tumoren mit kompressiver Wirkung. Schwere sensible Ausfälle oder manifeste Paresen stellen eine Indikation für eine kurzfristige Bildgebung und ggf. auch chirurgische Entlastung des komprimierten Spinalnerven dar.
Neuralgische Schulteramyotrophie
Die neuralgische Schulteramyotrophie wird auch als Parsonage-Turner-Syndrom bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine ätiologisch unklare Neuritis des Plexus brachialis mit akut einsetzenden, nicht bewegungsabhängigen Brachialgien. Nach einigen Tagen treten Paresen der Schulter- und Armmuskulatur auf. Hypästhesien treten nur in einem Drittel der Fälle auf. Die Paresen bilden sich meist nach einigen Monaten zurück.
Claudicatio spinalis
Bei Spinalkanalstenose kann es zu einer Claudicatio spinalis kommen. Die Patienten sind in Ruhe meist beschwerdefrei, während beim Gehen nach einer Weile tiefe Rückenschmerzen auftreten, oft mit pseudoradikulärer oder radikulärer Ausstrahlung in die Beine. Gleichzeitig können eine Gangunsicherheit (Ataxie), Kribbelparästhesien oder Paresen auftreten. Die Beschwerden bilden sich zurück, wenn sich die Patienten hinsetzen oder vornüber beugen (Lordosierung der LWS). Bei typischer klinischer Symptomatik ist eine bildgebende Diagnostik indiziert.
Konus-Syndrom
Massiver Druck auf den Conus medullaris (S3 - S5) z.B. durch Tumore, Massenprolaps oder Ischämie des Rückenmarks führen zu Reithosenanästhesie, Harn- und Stuhlinkontinenz sowie reduziertem Sphinktertonus. Das Konus-Syndrom tritt meist zusammen mit einem Kauda-Syndrom auf. Eine notfallmäßige Dekompression ist indiziert.
Kauda-Syndrom
Eine massive Kompression der Nervenfasern der Cauda equina z.B. durch Massenprolaps oder Tumor führt zu radikulären Schmerzen, Reithosenanästhesie, Reflexausfällen, Paresen, Harn- und Stuhlinkontinenz sowie reduziertem Sphinktertonus. Eine notfallmäßige Dekompression ist indiziert.
Therapie
Es gibt keine Standardtherapie für Rückenschmerzen. Vielmehr müssen bei spezifischen Rückenschmerzen mit bekannter Ursache die therapeutischen Maßnahmen an diese angepasst werden. Bei Rückenschmerzen, die durch mangelnde Rückenmuskulatur bedingt sind, wird ein gezieltes Muskeltraining zur Kräftigung empfohlen. Vorbeugende Maßnahmen sind Physiotherapie, regelmäßige sportliche Aktivität und Gewichtsreduktion.
Bei unspezifischen Rückenschmerzen kann lediglich eine symptomatische Therapie erfolgen, die neben den bereits erwähnten Maßnahmen u.a. Analgetika (z.B. NSAR), Muskelrelaxantien und Wärmeanwendungen umfassen. Dabei ist zu beachten, dass eine Schmerzmedikation nur bei akuter Verschlechterung über einen begrenzten Zeitraum sinnvoll ist.
In hartnäckigen Fällen ist die Teilnahme an Rückenintensivprogrammen mit integrierter Versorgung durch Ärzte, Krankengymnasten und Psychologen empfehlenswert. Darüber hinaus existiert eine großes Angebot an alternativmedizinischen Behandlungsformen (Akupunktur, manuelle Therapie), das in der Regel nicht validiert ist.
Medizinökonomie
Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems gehören zu den teuersten Erkrankungen des Gesundheitssystems. Hierbei beliefen sich im Jahr 2008 die Kosten für nicht-spezifische Rückenschmerzen auf 3,6 Milliarden Euro. Die durchschnittlichen Behandlungskosten pro Rückenschmerzpatient liegen bei etwa 1.322 Euro/Jahr. Von diesem Betrag entfallen 612 Euro auf direkte Kosten durch Arztbesuche und die damit verbundene Therapie (Arzneimittel, Hilfsmittel, Physiotherapie, Stationärer Aufenthalt, Rehabilitation), 710 Euro auf den krankheitsbedingten Produktivitätsverlust.[1]
Derzeit (2023) existieren noch keine aktuelleren Daten zu den Kosten für das Gesundheitssystem, die durch Rückenschmerzen hervorgerufen werden.
DocCheck Publish
Der folgende Artikel beschäftigt sich in einer allgemeinen Form mit dem Thema Ursachen von Rückenschmerzen.
Quellen
- ↑ Wenig et al. Costs of back pain in Germany, European Journal of Pain 2009, abgerufen am 21.12.22
Literatur
- Nationale Versorgungsleitlinie nicht-spezifischer Kreuzschmerz, abgerufen am 21.12.2022
- RKI, Journal of Health Monitoring, abgerufen am 21.12.22
- Diener et al.Akuter Rückenschmerz: Frühe Physiotherapie bringt keinen relavanten Nutzen Orthopädie & Rheuma 2016, abgerufen am 21.12.22
- Nationale Versorgungsleitlinie, Nicht-spezifischer Kreuzschmerz, abgerufen am 18.01.2023