Parafunktion
Synonyme: Habit, parafunktionelle Gewohnheit, orale Parafunktion
Englisch: parafunction, parafunctional habit, oral habit
Definition
Parafunktionen sind unwillkürliche, nicht-physiologische und häufig wiederkehrende Aktivitäten des stomatognathen Systems, die nicht mit normalen Kau-, Schluck- oder Sprechfunktionen verbunden sind. Bei Kindern bis zu einem gewissen Alter gelten sie als normal. Persistieren sie über das KIndesalter hinaus, können sie auf psychische Belastungen hinweisen und pathologische Veränderungen im Zahn- und Kieferbereich verursachen.
Einteilung
Gewöhnliche Parafunktionen
Typische frühkindliche Angewohnheiten, z.B.:
- Daumenlutschen
- Schnullergebrauch
- Lippensaugen und -beißen
- Saugen oder Kauen an Gegenständen (Stifte, Kleidung)
Autoaggressive Parafunktionen
Stress- oder emotionsbedingte Verhaltensweisen wie:
- Fingernägelkauen (Onychophagie)
- Lippenbeißen
- Wangensaugen
- Zungenbeißen
Orofaziale Dysfunktionen
Unphysiologische Bewegungsmuster aufgrund muskulärer Dysbalancen, z.B.:
- falsches (viszerales) Schluckmuster
- Zungenpressen
- habituelle Mundatmung
Pathophysiologie
Regelmäßig ausgeführte Parafunktionen erzeugen anhaltende, unphysiologische Kräfte, die auf Zähne, Alveolarknochen, Muskulatur und Kiefergelenke einwirken. Mögliche Folgen sind:
- Attrition
- Zahnabrasion
- Parodontitis
- Zahnlockerung
- kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD)
- Zahnfehlstellungen
Als systemische Begleitsymptome können Kopfschmerzen, Nackenverspannungen und Schlafstörungen auftreten.
Diagnostik
Die Diagnostik umfasst eine sorgfältige Anamnese mit Erfassung möglicher Stressfaktoren sowie Berichten von Schlafpartnern (Fremdanamnese). Eine klinische Untersuchung mit Beurteilung von Schlifffacetten, Palpation der Kaumuskulatur und Prüfung auf Druckdolenz der Kiefergelenke. Zusätzlich können instrumentelle Verfahren wie Polysomnographie, Elektromyographie und digitale Bissanalyse eingesetzt werden.
Therapie
Die Therapie von Parafunktionen richtet sich nach Art und Ausprägung der jeweiligen Störung und erfolgt häufig interdisziplinär. Zentrale Maßnahmen umfassen Aufklärung und Verhaltensmodifikation, myofunktionelle Übungen zur Normalisierung der orofazialen Muskulatur sowie die Anwendung von Zahnschienen (v.a. bei Bruxismus).
Bei funktionellen Atem- oder Schluckstörungen werden logopädische bzw. physiotherapeutische Verfahren eingesetzt. Liegen strukturelle Atemhindernisse vor, kann eine HNO-ärztliche Abklärung erforderlich sein. Ergänzend können Stressmanagement, Biofeedback oder botulinumtoxinbasierte Therapien zur Muskelentspannung beitragen
Prävention
Folgende präventive Maßnahmen können Schäden vorbeugen:
- frühzeitige kieferorthopädische Erstvorstellung (ca. 4. bis 6. Lebensjahr)
- regelmäßige zahnärztliche Kontrollen
- Aufklärung der Eltern über selbstlimitierende vs. schädliche Habits
- rechtzeitiges Abgewöhnen persistierender Angewohnheiten
- Förderung physiologischer Funktionen (Nasenatmung, korrektes Schlucken, Lippenschluss)