Ionomycin
Definition
Ionomycin ist ein Polyetherantibiotikum und hochspezifisches Calcium-Ionophor, das in der biomedizinischen Forschung als Werkzeugsubstanz zur gezielten Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration eingesetzt wird. Die Substanz wird aus dem Bodenbakterium Streptomyces conglobatus isoliert und zählt zur Familie der Polyetherionophore.[1]
Chemie
Ionomycin ist ein Polyether mit mehreren Sauerstoffbrücken und einer Carboxylgruppe. Die Struktur ermöglicht die selektive Komplexierung und den Transport von zweiwertigen Kationen, insbesondere Ca2+. Es ist lipophil und gut löslich in organischen Lösungsmitteln wie DMSO, Methanol und Ethanol.[2] Die molare Masse beträgt ca. 747 g/mol. Die Summenformel lautet C41H70O9.
Ionomycin wird meist als Calciumsalz geliefert und sollte lichtgeschützt, trocken und bei −20 °C gelagert werden. Die Substanz ist hygroskopisch und muss daher stets gut verschlossen aufbewahrt werden. Lösungen sollten frisch zubereitet und nicht über längere Zeit gelagert werden.[3][2]
Wirkmechanismus
Ionomycin wirkt als selektives Calcium-Ionophor. Das Molekül bindet mit hoher Affinität Ca2+-Ionen und transportiert diese durch biologische Membranen. Dadurch wird die intrazelluläre Calciumkonzentration unabhängig von physiologischen Signalwegen rasch und effektiv erhöht. Die Wirkung ist dabei nicht auf die Plasmamembran beschränkt. Ionomycin kann auch Calcium aus intrazellulären Speichern wie dem endoplasmatischen Retikulum freisetzen, was zu einer schnellen und globalen Erhöhung des zytosolischen Ca2+-Spiegels führt.[1]
Neben Calcium kann Ionomycin auch andere zweiwertige Kationen wie Magnesium (Mg2+) oder Strontium (Sr2+) transportieren, allerdings mit deutlich geringerer Effizienz.
Anwendungsgebiete
- Zellbiologie: Standardreagenz zur Untersuchung von Calcium-abhängigen Signalwegen, z.B. Muskelkontraktion, Exozytose, Apoptose oder Genexpression.[4][3]
- Immunologie: In Kombination mit Phorbol-Estern (z.B. PMA) wird Ionomycin zur Aktivierung von T-Lymphozyten und anderen Immunzellen eingesetzt. Dies erlaubt die Analyse von Zytokinproduktion, Zellproliferation und Differenzierung.[5]
- Reproduktionsmedizin: Ionomycin wird zur künstlichen Aktivierung von Eizellen nach intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) verwendet, um die physiologische Calcium-induzierte Eizellaktivierung zu imitieren. Die Substanz wird auch in der Grundlagenforschung zur Untersuchung der Eizellaktivierung und der frühen Embryonalentwicklung eingesetzt.[6]
- Pharmakologische Forschung: Ionomycin dient zur Validierung von Calcium-sensitiven Farbstoffen und zur Kalibrierung von Messsystemen für intrazelluläres Calcium.[7][8]
Forschung
Untersuchungen an Eizellen, beispielsweise von Seesternen, zeigen, dass Ionomycin nach Applikation zu einem sofortigen und massiven Anstieg der intrazellulären Calciumkonzentration führt. Dies kann mit Methoden wie Calcium-Imaging und konfokaler Mikroskopie nachgewiesen werden. Die Effekte sind dabei dosisabhängig und können Veränderungen in der Zellstruktur und -funktion hervorrufen.[6]
Die genauen molekularen Mechanismen und mögliche sekundäre Effekte, wie Veränderungen der Zellstruktur oder Beeinflussung anderer Ionenkanäle, sind bisher (2025) noch nicht vollständig verstanden. Insbesondere in der Eizell- und Embryonenforschung wird diskutiert, inwieweit Ionomycin die normale Entwicklung beeinflussen könnte.[6][9]
Toxizität
Ionomycin ist in höheren Konzentrationen zytotoxisch, da eine unkontrollierte Erhöhung des intrazellulären Calciumspiegels zu Zellschädigung, Apoptose oder Nekrose führen kann. Im Labor sind die üblichen Vorsichtsmaßnahmen beim Umgang mit biologisch aktiven Substanzen einzuhalten.[10][11]
Literatur
- ↑ 1,0 1,1 Liu et al. Ionomycin, a new polyether antibiotic. J Antibiot (Tokyo). 1978;31(9):815-819. doi:10.7164/antibiotics.31.815
- ↑ 2,0 2,1 Biomol – Ionomycin (calcium salt), abgerufen am 30.05.2025
- ↑ 3,0 3,1 Merck – Ionomycin Calciumsalz, abgerufen am 30.05.2025
- ↑ Ureshino et al. The Interplay between Ca2+ Signaling Pathways and Neurodegeneration. Int J Mol Sci. 2019;20(23):6004. Published 2019 Nov 28. doi:10.3390/ijms20236004
- ↑ Portmann et al. Stimulation-induced cytokine polyfunctionality as a dynamic concept eLife 12:RP89781 . 2023 https://doi.org/10.7554/eLife.89781.2
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Vasilev et al. Effects of ionomycin on egg activation and early development in starfish. PLoS One. 2012;7(6):e39231. doi:10.1371/journal.pone.0039231
- ↑ Biotium – Fluorescent ion indicators, abgerufen am 30.05.2025
- ↑ Wu et al. High-throughput-compatible assays using a genetically-encoded calcium indicator. Sci Rep. 2019;9(1):12692. Published 2019 Sep 3. doi:10.1038/s41598-019-49070-8
- ↑ Chen et al. Ionomycin-induced mouse oocyte activation can disrupt preimplantation embryo development through increased reactive oxygen species reaction and DNA damage. Mol Hum Reprod. 2020;26(10):773-783. doi:10.1093/molehr/gaaa056
- ↑ Romera-Cárdenas et al. Ionomycin Treatment Renders NK Cells Hyporesponsive. PLoS One. 2016;11(3):e0150998. Published 2016 Mar 23. doi:10.1371/journal.pone.0150998
- ↑ Gil-Parrado et al. Ionomycin-activated Calpain Triggers Apoptosis. The Journal of Biological Chemistry. 277(30): 27217-27226. 2002