Wolfram-Syndrom
Synonyme: DIDMOAD-Syndrom, WFS-Spektrum-Störung
Englisch: Wolfram syndrome
Definition
Beim Wolfram-Syndrom, kurz WS, handelt es sich um eine seltene, progressive neurodegenerative Erbkrankheit, die durch eine funktionelle Störung des endoplasmatischen Retikulums gekennzeichnet ist.
Terminologie
Das Akronym DIDMOAD steht für die charakteristischen Symptome Diabetes insipidus, Diabetes mellitus, Optikusatrophie und Taubheit (Deafness).
Geschichte
Das Wolfram-Syndrom wurde erstmals 1938 von Wolfram und Wagener beschrieben.
Einteilung
Epidemiologie
Es handelt sich um eine seltene Erbkrankheit. Die Prävalenz wird auf 1:770.000 geschätzt.
Ätiopathogenese
Das Wolfram-Syndrom wird autosomal-rezessiv vererbt. Ursächlich sind Mutationen der Gene WFS1 und CISD2, die auf Chromosom 4 lokalisiert sind.
Wolfram-Syndrom Typ 1
Mutationen im WFS1-Gen sind mit dem Wolfram-Syndrom Typ 1 assoziiert und für die Mehrzahl aller WS-Phänotypen verantwortlich. Das Gen besteht aus insgesamt 8 Exons, wobei Mutationsanalysen gezeigt haben, dass Mutationen hauptsächlich Exon 8 betreffen. Das WFS1-Gen kodiert für das Glykoprotein Wolframin, das im ER lokalisiert ist. Es besteht aus neun Transmembrandomänen und ist an der Calciumhomöostase beteiligt. Vermutlich fungiert es als Calciumkanal. Zudem wirkt es an der Proteinprozessierung im ER mit, insbesondere an der Unfolded Protein Response (UPR) durch ER-Stress. Wolframin scheint dabei als "Bremse" für die UPR zu wirken, ohne die die UPR-Kaskade unkontrolliert abläuft und zum Zelltod durch Apoptose führt.
Eine Funktionsstörung des Proteins führt zu einer erhöhten zytosolischen Calciumkonzentration mit nachfolgender Hyperaktivität des Enzyms Calpain 2, was vermutlich zu einem allmählichen Absterben von Beta- und Nervenzellen führt und die charakteristischen phänotypischen Merkmale hervorruft.
Wolfram-Syndrom Typ 2
Das CISD2-Gen kodiert für das ERIS-Protein, das zwischen dem ER und der äußeren Mitochondrienmembran wechseln kann. Es ist an der Regulation der Glukosehomöostase und der Insulinsensitivität beteiligt. Außerdem spielt es eine Rolle bei der Autophagie.
Symptomatik
Die klinischen Hauptmerkmale des Wolfram-Syndroms sind juveniler Diabetes mellitus (ohne Autoimmunität oder HLA-Assoziation) und Optikusatrophie im ersten Lebensjahrzehnt. Die beidseitige Optikusdegeneration äußert sich durch eine verminderte Sehschärfe und den Verlust des Farbsehens. Später treten ein sensorineuraler Hörverlust und ein Diabetes insipidus auf. Der Phänotyp eines WS ist nach aktuellem (2025) Kenntnisstand wesentlich breiter als die ursprünglichen Beschreibungen eines DIDMOAD.
Zusätzlich sind u.a. folgende Symptome bekannt:
- Ataxie
- Neuropathie
- Demenz
- psychiatrische Störungen
- Störungen der ableitenden Harnwege
- Apnoe
- primäre Hodendysfunktion, die sich im hypergonadotropen Hypogonadismus widerspiegelt
- verkürzte Lebenserwartung
Der Krankheit verläuft progressiv und führt häufig durch Atemstillstand zum vorzeitigen Tod.
Diagnostik
Die diagnostischen Mindestkriterien für das Wolfram-Syndrom werden durch eine klinische Untersuchung überprüft.
Klinische Kriterien für die Diagnose des WS sind juvenile DM und Optikusatrophie (MRT-Scans zeigen eine generalisierte Hirnatrophie, vor allem in Cerebellum, Rückenmark und Pons). Die Diagnosesicherung erfolgt durch eine molekulargenetische Untersuchung. Aus dem EDTA-Blut des Patienten wird genomische DNA isoliert. Die kodierenden Exons werden mittels PCR vervielfältigt und anschließend einer DNA-Sequenzierung unterzogen. Ziel ist es, die Nukleotidsequenz zu entschlüsseln, um Mutationen zu identifizieren. Alternativ kann jedes Exon einer Deletions- oder Duplikationsanalyse mittels MLPA (Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification) unterzogen werden.
Bei bekannten Mutationen in der Familie ist eine Pränataldiagnostik möglich und es kann eine Präimplantationsdiagnostik durchgeführt werden.
Differentialdiagnosen
Zu den Differentialdiagnosen gehören mitochondriale Erkrankungen wie maternal vererbter Diabetes mit Schwerhörigkeit (MIDD), Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON), Mohr-Tranebjaerg-Syndrom und die autosomal-dominante Optikusatrophie (adOA)
Weitere mögliche Differentialdiagnosen sind die X-chromosomale Charcot-Marie-Tooth-Krankheit Typ 5, die Friedreich-Ataxie, die Thiamin-resposive megaloblastische Anämie (TRMA), das Bardet-Biedl-Syndrom und das Alstrom-Syndrom.
Therapie
Der zugrunde liegende Gendefekt kann derzeit (2025) nicht behoben werden. Die Behandlung ist rein symptomatisch und besteht u.a. aus folgenden Komponenten:
- Jährliches Screening auf Seh- und Hörstörungen
- Insulintherapie bei Diabetes mellitus
- Antibiotikaprophylaxe bei Harnwegsinfekten
- Psychotherapeutische Betreuung bei Depressionen und anderen psychiatrischen Symptomen
Das Muskelrelaxans Dantrolen wird als mögliche Therapieoption beim Wolfram-Syndrom diskutiert. In Stammzellexperimenten konnte Dantrolen den Untergang von Betazellen und Nervenzellen verhindern.
Quellen
- Lu et al. A calcium-dependent protease as a potential therapeutic target for Wolfram syndrome. Proc Natl Acad Sci U S A. 2014
- Morikawa und Urano. The Role of ER Stress in Diabetes: Exploring Pathological Mechanisms Using Wolfram Syndrome. Int J Mol Sci. 24(1):230. 2022
- Rohayem et al. Gonadal function in males with WFS1 spectrum disorder (Wolfram syndrome)-A European cohort perspective. Andrology. 2025. doi: 10.1111/andr.70049.
- Wolfram und Wagener. Diabetes mellitus and simple optic atrophy among siblings: report on four cases. Mayo Clin Proc. 13: 715-718. 1938
- Orphanet – Wolfram-Syndrom, abgerufen am 06.05.2025