Allgemeiner Untersuchungsgang (Schwein)
Synonym: Allgemein klinischer Untersuchungsgang beim Schwein
1. Definition
Der allgemeine Untersuchungsgang beim Schwein ist ein standardisierter Untersuchungsgang, der routinemäßig bei der Erstuntersuchung jedes Schweins durchgeführt wird.
2. Hintergrund
Der allgemeine Untersuchungsgang ist die Grundlage jeder Diagnose und wird meist bei der Erstuntersuchung eines Patienten durchgeführt. Anhand der klinischen Parameter können Rückschlüsse auf den aktuellen Zustand des Tiers geschlossen werden und gegebenenfalls weiterführende Untersuchungsgänge (z.B. neurologischer Untersuchungsgang) veranlasst werden.
3. Untersuchungspunkte
Der allgemeine Untersuchungsgang beim Schwein wird in zwei große Abschnitte gegliedert:
- Vor der Fixierung
- Nach der Fixierung
Da Schweine Fixierungsmaßnahmen nur schlecht tolerieren und bei Stress sensibel mit Veränderungen der Vitalparameter reagieren, sollten möglichst viele Untersuchungspunkte noch vor Kontakt mit dem Tier durchgeführt werden.
4. Untersuchung vor der Fixierung
4.1. Allgemeines
4.1.1. Nationale
- Rasse (z.B. Edelschwein, Landrasse)
- Geschlecht
- Alter
- Abzeichen (erworben, angeboren)
- Körpergewicht
- Nutzungsart
4.1.2. Anamnese
Bei der Anamnese werden alle tier- sowie betriebsspezifischen Fragen abgearbeitet.
- aktuelle Symptome
- Beginn und zeitlicher Verlauf
- Vorbehandlungen
- Zukäufe
- Quarantäne
- Leistungsdaten
- Reproduktionsdaten
- Fütterung
- Haltung
4.2. Adspektion
Adspektorisch können neben dem Allgemeinverhalten auch die Farbe der Haut, die Atmung und die Exkremente beurteilt werden.
4.2.1. Allgemeinverhalten und Körperhaltung
- Allgemeinverhalten vermindert oder gesteigert
- Beurteilung von Kopf-, Augen- und Ohrenbewegungen
- physiologischer Befund: Ruhig und aufmerksam (adult) bzw. lebhaft und aufmerksam (Jungtier) bzw. der Tierart entsprechend (Körperhaltung)
4.2.2. Hautfarbe
- Beurteilung der Farbe der Körperoberfläche
- physiologischer Befund: Hellrosa (Hautfarben)
4.2.3. Atmung
- Beurteilung der Atmung auf Frequenz, Typus, Rhythmus, Tiefe
- Eber: 20 bis 50 pro Minute
- Muttersau: 20 bis 60 pro Minute
- Ferkel: 60 bis 90 pro Minute
- physiologischer Befund: Frequenz pro Minute, kostoabdominaler Typ, regelmäßig, kein spontaner Husten (Atmung/Husten)
4.2.4. Harn- und Kotabsatz
5. Untersuchung nach der Fixierung
5.1. Allgemeine Parameter
5.1.1. Innere Körpertemperatur
- Eber: 37,0 bis 38,0 °C
- Muttersau: 38,0 bis 39,0 °C
- Ferkel: 38,5 bis 39,5 °C
5.1.2. Ernährungszustand
- Adspektion und Palpation von Rücken, Rippen und Schultermuskulatur
- mögliche Befunde: kachektisch, mindergut, mittelgut, gut, sehr gut, adipös
5.2. Borstenkleid, Haut und Anhänge
5.2.1. Borstenkleid und Horngebilde
- Beurteilung der Borsten bzw. des Haarkleides (falls vorhanden)
- Beurteilung der Horngebilde (Klauen u.ä.)
- Kontrolle auf MKS
5.2.2. Hautoberfläche
- Effloreszenzen
- Farbveränderungen
- Hautdicke
- Juckreiz
- Ektoparasiten
- Geruch
5.2.3. Hautelastizität
- Hautfalte am Oberlid hochziehen
- physiologischer Befund: Erhalten (rasches Verstreichen der aufgezogenen Hautfalte)
5.2.4. Hauttemperatur
- Palpation der Körperoberfläche
- Ohren mit beiden Händen umfassen, dann Handrücken über die Rüsselscheibe streichen und dann den gesamten Körper von kranial nach kaudal meanderförmig abfahren
- Akren gesondert und vergleichend beurteilen
- physiologischer Befund: Regelmäßig verteilt (da Akren im Vergleich zum restlichen Körper kühler sind)
5.3. Kreislauf
5.3.1. Puls und peripherer Kreislauf
- palpatorisch kann der Puls an der Arteria auricularis oder an der Arteria sacralis mediana (adult) bzw. an der Arteria femoralis (Jungtier) beurteilt werden.
- Muttersau: 80 bis 100 pro Minute
- Eber: 80 bis 110 pro Minute
- Ferkel: 150 bis 200 pro Minute
- physiologischer Befund: Frequenz pro Minute, kräftig, regelmäßig, gleichmäßig, Arterie gut gefüllt und gut gespannt.
5.4. Kopf und Kopfschleimhäute
Am Kopf können sowohl alle Schleimhäute als auch verschiedene Ausflüsse und Läsionen beurteilt werden, die auf verschiedene Erkrankungen hinweisen können.
5.4.1. Auge und Lidbindehäute
- Betrachtung der Umgebung
- Beurteilung der Lider und Lidstellung
- Beurteilung der Stellung des Augapfels
- Beurteilung der Lidbindehaut
- Beurteilung der Sklera
- physiologischer Befund: Lidbindehaut blassrosa, Skleren von weißer Farbe und mit fein dargestellten Episkleralgefäßen
5.4.2. Ohr
- Beurteilung der Umgebung, Stellung und Verschmutzungsgrad
5.4.3. Nase und Nasenschleimhaut
- Beurteilung der Umgebung (Verschmutzung, Ausfluss)
- Atmungsgeräusche
- Beurteilung der Atemluft
- Beurteilung der Schleimhaut
- physiologischer Befund: rosarot, feucht, kein Ausfluss, Rüsselscheibe und Nasenlöcher sauber
5.4.4. Maul- und Rachenhöhle
- Beurteilung der Umgebung (Verschmutzung, Ausfluss)
- Beurteilung des Geruches der Ausatemluft
- Beurteilung der Kieferstellung
- Beurteilung der Schleimhaut
- Kontrolle der Zunge auf Läsionen
- physiologischer Befund: Maulschleimhaut blassrosa
5.4.5. Kapillarfüllungszeit
- durch Druck auf eine unpigmentierte Hautstelle am Oberkiefer kann die Kapillarfüllungszeit beurteilt werden.
- physiologischer Befund: < 3 Sekunden
5.4.6. Zähne
- Beurteilung der Zähne
- physiologischer Befund: Altersentsprechende Abnutzung der Zähne
5.5. Untersuchung des Thorax
Der Thorax wird palpatorisch, auskultatorisch und mittels Perkussion untersucht.
5.5.1. Palpation Herzstoß
- Palpation des Herzstoßes mit der linken sowie mit der rechten Hand
- physiologischer Befund: Herzstoß links (eventuell beidseits) fühlbar
5.5.2. Perkussion der Lunge
- Perkussion des Lungenfeldes auf beiden Körperseiten
- physiologischer Befund: Beidseits heller und lauter Schall
5.5.3. Perkussion des Herzens
- Perkussion der Herzgegend, indem die linke Vorderextremität nach vorne gezogen wird.
- physiologischer Befund: Relative Herzdämpfung nachweisbar und 2 bis 3 Finger groß
5.5.4. Auskultation der Lunge
- Auskultation des gesamten Lungenfeldes auf beiden Körperseiten
- Beurteilung der Atemgeräusche und auf etwaige Abweichungen (Rasselgeräusche, Nebengeräusche)
- physiologischer Befund: Vesikuläres Atemgeräusch (adult) bzw. geringgradig verschärft vesikuläres Atemgeräusch (Jungtier)
5.5.5. Auskultation des Herzens
- Beurteilung der Herztöne auf Reinheit und eventuell vorhandene pathologische Geräusche
- physiologischer Befund: Frequenz pro Minute, kräftig und regelmäßig, Herztöne gut abgesetzt und keine Herzgeräusche feststellbar
5.6. Untersuchung des Abdomens
5.6.1. Adspektion und Palpation
- Adspektorische und palpatorische Beurteilung der Bauchdeckenspannung
- physiologischer Befund: Bauchdeckenspannung nicht erhöht
5.6.2. Auskultation
- Auskultation des Darms
- physiologischer Befund: Darmperistaltik gleichmäßig und auslaufend
5.6.3. Oberflächeliche Lymphknoten
- Palpation der oberflächlich liegenden Lymphknoten (Lymphonodi subiliaci und inguinales superficiales)
- Beurteilung der Lymphknoten auf Größe, Verschieblichkeit, Schmerzhaftigkeit, Konsistenz, Temperatur und Fluktuation
- physiologischer Befund: Lymphknoten mit (Größenangabe) nicht pathologisch vergrößert
5.7. Untersuchung des Gesäuges und des äußeren Genitals
5.7.1. Gesäuge
- Adspektion und Palpation des Gesäugekomplexes
- physiologischer Befund: Dem Stadium des Reproduktionszyklus entsprechend unauffällig
5.7.2. Genitale
- Adspektion und Palpation des äußeren Genitals
- physiologischer Befund: Dem Stadium des Reproduktionszyklus entsprechend unauffällig
6. Literatur
- Baumgartner, Walter. Klinische Propädeutik der Haus- und Heimtiere. 8., aktualisierte Auflage. Enke-Verlag, 2014.