Thiaziddiuretikum
Synonyme: Thiazid(-Diuretikum), NCC-Inhibitor
Englisch: thiazides
Definition
Thiaziddiuretika sind harntreibende Medikamente (Diuretika), die über eine Hemmung der Resorption von Natrium und Chlorid in der Niere wirken.
Wirkmechanismus
Thiazide wirken vorwiegend am frühdistalen Tubulus des Nephrons. Sie hemmen reversibel an der luminalen Membran der Tubuluszellen den Thiazid-sensitiven NaCl-Symporter. Bei höheren Dosierungen inhibieren Thiazide zusätzlich die Carboanhydrase (siehe auch: Carboanhydrasehemmer). Somit steigern Thiazide hauptsächlich über die erhöhte Ausscheidung von Natrium die Diurese. Sie senken über indirekte Mechanismen auch die Ausscheidung von Calcium mit dem Harn.
Die durch Thiaziddiuretika hervorgerufene Blutdrucksenkung beruht auf einer Stimulierung Ca2+-aktivierter Kaliumkanäle an der Gefäßmuskulatur.[1]
Substanzen
Leitsubstanz für die Gruppe der Thiazide ist Hydrochlorothiazid (HCT) (z.B. Esidrix®).
Weitere Substanzen, die als Thiazid-Analoga bezeichnet werden und den gleichen Wirkungsmechanismus aufweisen, sind:
- Chlortalidon (Hygroton®)
- Indapamid (Natrilix®)
- Xipamid: (Aquaphor®): wirkt nicht von der luminalen, sondern von der peritubulären (Blut-) Seite aus. Im Gegensatz zu anderen Thiaziden ist es auch bei Niereninsuffizienz anwendbar.
Indikationen
Das Anwendungsspektrum von Thiaziden ist weit gefasst. Einige gängige Indikationen für die Anwendung von Thiaziddiuretika sind:
- chronische Ödeme kardialer, renaler und hepatischer Genese
- Behandlung der arteriellen Hypertonie, selten als Monotherapie, häufiger in Kombination mit Betablockern oder ACE-Hemmern.
- Herzinsuffizienz, meist in Kombination mit einem Schleifendiuretikum zur Ödemmobiliserung
- Behandlung der Hyperkalzurie, beispielsweise zur Prophylaxe einer Urolithiasis
Nebenwirkungen
- Hyponatriämie und Hypochlorämie: Häufigste medikamentöse Ursache einer Hyponatriämie, dosisabhängig, meist innerhalb der ersten vier Wochen nach Therapiebeginn
- Hypokaliämie: Die Hemmung der Natriumresorption im distalen Tubulus führt in den Sammelrohren zu einer vermehrten Aktivität des ENaC-Kanals, der Natrium in die Zelle aufnimmt. Im Gegenzug wird über ROMK-Kanäle vermehrt Kalium ausgeschieden.
- Hypomagnesiämie: Vermutlich über funktionelle Kopplung zwischen Kalium- und Magnesium-Ausscheidung
- Hyperkalzämie: durch die niedrigen Natriumspiegel in den Zellen des distalen Tubulus pumpen Natrium-Calcium-Antiporter (NCX) vermehrt Natrium aus dem Blut in die Zelle und Calcium ins Blut. Kompensatorisch wird durch ECaC-Kanäle verstärkt Calcium aus dem Tubuluslumen reabsorbiert.
- Pankreatitis
- Chloridverlust bis hin zur hypochlorämischen Alkalose: Durch gesteigerte Natrium- und Kaliumausscheidung
- Neigung zur Hyperglykämie: verminderte Insulinausschüttung der Betazellen durch die Thiazid-bedingte Hypokaliämie[2]
- Harnsäure-Retention: durch Verminderung des Volumens und Konkurrenz um den tubulären Carrier, Gefahr eines akuten Gichtanfalls bei Hyperurikämie
- Lipidstoffwechsel: Dosisabhängige Erhöhung der Triglyceride und des LDL-Cholesterins
- allergische Reaktionen (v.a. bei Sulfonamidallergie)
- interstitielle Nephritis
- erektile Dysfunktion
- Veränderungen des Blutbildes (Anämie, Leukozytopenie, Thrombozytopenie)
- sehr selten Agranulozytose oder Auslösung eines Hyperparathyreoidismus
Unter Hydrochlorothiazid besteht darüber hinaus ein erhöhtes Risiko für Basalzellkarzinome und Plattenepithelkarzinome.[3]
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen Sulfonamide
- schwere Leberfunktionsstörung
- Hypovolämie
- Hypokaliämie, Hyponatriämie, Hyperkalzämie
- schwere Nierenfunktionsstörung: Thiaziddiuretika (außer Xipamid) senken die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und Nierendurchblutung und sind bei einer GFR unter 30 ml/min bzw. bei einem Serumkreatinin über 2,0 mg/dl diuretisch unwirksam
- Schwangerschaft, Stillzeit
Wechselwirkungen
- Blutdrucksenkende Pharmaka (z.B. Betablocker, Nitrate, Vasodilatatoren, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva, Alkohol): Additive Wirkung
- Digitalis: Verstärkte Digitaliswirkung
- Glukokortikoide, Laxantien: Additive Kaliumausscheidung
- NSAR: Verminderte diuretische und antihypertensive Effekte
- Lithium, Cyclophosphamid, 5-Fluorouracil, Methotrexat: Verminderte renale Elimination mit verstärkter Wirkung und Toxizität der genannten Substanzen
- orale Antidiabetika, Urikostatika: Verminderte Wirkung der genannten Substanzen
Quellen
- ↑ Aktories K et al.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 11. Auflage, 2013. Elsevier
- ↑ Carter BL et al.: Thiazide-Induced Dysglycemia. Hypertension 2008;52:30–36
- ↑ BfArM: Rote-Hand-Brief zu Hydrochlorothiazid (HCT): Risiko von nichtmelanozytärem Hautkrebs [Basalzellkarzinom (Basaliom); Plattenepithelkarzinom der Haut (Spinaliom)] 17.10.2018