Niere
Synonyme: ren (lateinisch), νεφρός ("nephros") (altgriechisch)
Englisch: kidney
Definition
Die Niere ist ein paariges bohnenförmiges Organ, dessen Hauptaufgabe die Bildung des Harns (Filtration, Reabsorption und Konzentration) ist. Durch Sekretion und Reabsorption ist die Niere entscheidend an wichtigen systemischen Regulationen beteiligt wie
- Regulation von Wasser- und Elektrolythaushalt
- Regulation des Säure-Basen-Gleichgewichts.
Außerdem ist die Niere ein endokrines Organ, das durch Synthese und Sekretion von Renin und Erythropoetin an der systemischen Blutdruckregulation und Erythropoese beteiligt ist.
Anatomie
Lage
Beim Menschen liegen die Nieren unterhalb des Zwerchfells zwischen dem 12. Brustwirbel und dem 3. Lendenwirbel im Retroperitonealraum. Da sie sich auch dort entwickeln, spricht man von einer primär retroperitonealen Lage. Aufgrund des großen rechten Leberlappens steht die rechte Niere gewöhnlich etwas tiefer. Sie befinden sich jeweils in einer Nische, die vom Musculus quadratus lumborum und vom Musculus psoas major gebildet wird, im sogenannten Nierenlager: Von außen ist die Niere von einer derben, nur wenig dehnbaren Bindegewebshülle umgeben, der Capsula fibrosa renis. Ihr liegt ein ausgedehntes Fettlager, die Capsula adiposa renis, an. Sie ist wiederum in einen derben Fasziensack, die Fascia renalis, eingebettet.
Maße
Die Nieren haben eine Länge von etwa 10-12 cm und eine Breite von 5-6 cm. Das Gewicht variiert ungefähr zwischen 120-200 g.
Aufbau
Die einzelne Niere besteht aus 6-9 gleichartigen Einheiten, den so genannten Nierenlappen (Lobi renales), die man in Nierenmark (Medulla renalis) und Nierenrinde (Cortex renalis) gliedert. Die Form des Marks eines jeden Lobus erinnert an einen Kegel bzw. eine Pyramide, weshalb man auch von den "Nierenpyramiden" oder "Markpyramiden" spricht. Die Spitze jeder Nierenpyramide ragt als Nierenpapille in die Nierenkelche. Auf der Nierenpapille erkennt man die feinen Mündungen der Ductus papillares, die so genannten Harnporen (Pori uriniferi). Die Nierenkelche formen in ihrer Gesamtheit wiederum das Nierenbecken (Pelvis renalis).
Die Rinde liegt als etwa 1 cm breiter Streifen oberhalb der Basis der Markpyramiden und füllt als Columnae renales den Raum zwischen den Pyramiden aus. Vom Mark ausgehend ragen die geraden Anteile der Nierentubuli (Partes rectae) und Sammelrohre in Form so genannter Markstrahlen in die Rinde. Das Rindengewebe um die Markstrahlen herum wird als Rindenlabyrinth bezeichnet. Es beinhaltet die gewundenen Tubulusanteile (Partes convolutae) und Nierenkörperchen.
Menschliche Nieren, Ansicht von dorsal
Embryologie
Das Gewebe der Nieren stammt aus dem intermediären Mesoderm.
siehe Hauptartikel: Nierenentwicklung
Gefäßversorgung
Die arterielle Versorgung der Nieren erfolgt über die beiden Arteriae renales, den Abtransport venösen Blutes besorgen die sie begleitenden Venae renales.
Arterien
Nierenarterien sind gleichzeitig Vasa privata (Nierenstoffwechsel) und Vasa publica (Klärfunktion). Je eine Arteria renalis sinistra und eine Arteria renalis dextra entspringen in Höhe von LWK II aus der Aorta abdominalis. Die Arteria renalis dextra läuft dorsal der Vena cava inferior und ist etwas länger als die Arteria renalis sinistra. Am Hilum teilt sich die Arteria renalis in fünf kleinere Segmentarterien.
Äste der Arteria renalis
- Arteria suprarenalis inferior zur Nebenniere
- Rami capsulares zur Nierenkapsel
- Rami ureterici zum Harnleiter (Ureter)
Intrarenale Nierengefäße
Die am Nierenhilus eintretenden Segmentarterien geben Arteriae interlobares ab, die zwischen zwei Nierenpyramiden kapselwärts laufen. Aus den Arteriae interlobares entspringen die Bogenarterien (Arteriae arcuatae), die an der Pyramidenbasis parallel zur Nierenoberfläche laufen.
Daraus gehen wiederum die senkrecht zur Nierenoberfläche laufenden Arteriae interlobulares oder Arteriae corticales radiatae hervor, welche die Arteriolae afferentes speisen. Letztere laufen durch die Nierenkörperchen (Glomeruli) bis zu den Arteriolae efferentes, die immer noch arterielles Blut führen.
An das Glomerulus-Kapillarknäuel schließt sich das peritubuläre Kapillarbett an, von welchem das Blut dann ins venöse System gelangt. In der Niere finden sich also zwei hintereinander geschaltete Kapillarbetten, die durch eine Arteriole verbunden sind. Diese Konstellation bezeichnet man als Rete mirabile (Wundernetz).
Der venöse Abfluss aus dem peritubulären Kapillarbett erfolgt über die Venae arcuatae und die Venae interlobulares.
Eine Besonderheit stellen dabei die juxtamedullären Nephrone dar, die tiefer zur Mark-Rinden-Grenze hin liegen: Ihr Blut fließt nach der Passage der Glomeruli weiter in die Gefäße des Nierenmarks, die Vasa recta, die alle den Wandbau von Kapillaren aufweisen und gerade bis zur Papillenspitze absteigen. Über in Gegenrichtung aufsteigende Vasa recta gelangt ihr Blut schließlich in die abführenden Venen.
Venen
Der venöse Abfluss erfolgt über die Vena renalis sinistra und die Vena renalis dextra. Sie treten am Hilum aus und münden in die Vena cava inferior. Die Vena renalis sinistra liegt vor der Aorta abdominalis. Zuflüsse zur Vena renalis sinistra sind:
- Vena suprarenalis sinistra
- Vena testicularis sinistra (Mann) bzw. Vena ovarica sinistra (Frau)
- Vena phrenica inferior sinistra
Lymphabfluss
Der Lymphabfluss erfolgt in die Nll. lumbales um die Aorta und Vena cava inferior herum in die beiden Trunci lumbales.
Glatte Muskulatur
Innerhalb der Niere sorgt ein Fasersystem aus glatter Muskulatur für den Harntransport. Zu ihm gehören:
- Musculus sphincter fornicis: Am Beginn der Nierenkelche
- Musculus sphincter calicis: Zwischen Nierenkelch und Nierenbecken
- Musculus sphincter pelvicis: Im Nierenbecken
Innervation
Die sympathische Innervation wird durch Fasern aus den Ganglia aorticorenalia besorgt, die als Plexus renalis die Nierenarterien umgeben. Die parasympathische Innervation erfolgt über den Nervus vagus bzw. Truncus vagalis posterior aus den Segmenten C1 und C2. Ob die Nieren tatsächlich parasympathisch innerviert werden, ist jedoch teilweise umstritten.[1]
Topographie
Dorsal von ihr haben folgende Nerven Kontakt mit der Niere:
Bei einer pathologischen Vergrößerung der Niere kann es durch Druck auf diese Nerven zu Schmerzen kommen, die nach ventral in die Leistenregion ausstrahlen.
Weitere Relationen dorsal beider Nieren sind:
- Zwölfte Rippe, links auch Teil der elften Rippe
- Diaphragma und Recessus costodiaphragmaticus
- Musculus quadratus lumborum
- Musculus psoas major
- Sehne des Musculus transversus abdominis
Ventral unterscheiden sich die Nieren im Bezug zu den umliegenden Strukturen:
- Rechte Niere: Leber - Duodenum (Pars descendens/D2) - Flexura coli dextra
- Linke Niere: Milz - Pankreas - Magen - Flexura coli sinistra - Jejunum
Präparat
Histologie
Die Niere besteht aus zahlreichen kleineren Einheiten, den Nephronen, in denen der Harn gebildet wird. Jede der menschlichen Nieren enthält 1-1,2 Mio Nephrone. Das Nephron selbst besteht aus Nierenkörperchen (Glomeruli) und einem Tubulusapparat. Es lässt sich von proximal nach distal systematisch in folgende Abschnitte unterteilen:
- Nierenkörperchen
- Nierentubulus
- Proximaler Tubulus
- Pars convoluta (Proximales Konvolut)
- Pars recta
- Intermediärtubulus
- Pars descendens
- Pars ascendens
- Distaler Tubulus
- Pars recta
- Pars convoluta (Distales Konvolut)
- Proximaler Tubulus
- Sammelrohr
Die geraden Stücke (Partes rectae) des proximalen und distalen Tubulus werden mit dem Intermediärtubulus zusammen als Henle-Schleife bezeichnet. Durch den Übergang des proximalen und distalen Konvoluts, die in der Nierenrinde liegen, zu den Kompartimenten der Henle-Schleife entsteht die lichtmikroskopisch klar sichtbare Mark-Rinden-Grenze des Nierenparenchyms.
Als Endstrecke des Tubulussystems gelten die Sammelrohre, die im erweiterten Sinn ebenfalls als Teil des Nephrons angesehen werden können. Sie drainieren mehrere distale Tubuli und ziehen in das Innenmark der Markpyramiden, wo sie sich zu Papillengängen (Ductus papillares) zusammenschließen. Diese entlassen den Sekundärharn über die Nierenpapille in die Nierenkelche.
Physiologie
Aufgrund ihrer Schlüsselfunktion für den Wasser- und Elektrolythaushalt und ihrer Aufgaben bei der Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten ist die Niere eines der am stärksten durchbluteten Organe des menschlichen Körpers. Die Nierendurchblutung nimmt zwischen 20 und 25% des Herzminutenvolumens ein und dient überwiegend der Harnproduktion.
Filtration des Primärharns
Der erste Schritt der Harnbildung ist die Filtration des Primärharns. Dieser findet in den Nierenkörperchen in der Nierenrinde (Cortex renalis) statt. Die Menge des Primärharns beträgt bei durchschnittlicher Flüssigkeitszufuhr ca. 180 Liter pro Tag.
Im Glomerulum, dem Blutgefäßknäuel in der Bowman-Kapsel, wird durch den Blutdruck von ca. 50 mmHg das Blutplasma durch das innere Blatt der Bowman-Kapsel abgepresst, wobei die größeren Blutbestandteile (Blutzellen und Makromoleküle) jedoch im Blutgefäß verbleiben (Filtration). Der Gegendruck, der aus dem Kapselraum der Bowman-Kapsel kommt, beträgt etwa 17 mmHg ("Kapseldruck"). Die großen Eiweißmoleküle im Blut erzeugen ebenfalls einen Gegendruck zum Blutdruck, da sie Wasser im Blutgefäß zurückhalten. Er wird onkotischer oder kolloidosmotischer Druck genannt und beträgt etwa 25 mmHg. Bei einem starken Blutdruckabfall sinkt auch der Filtrationsdruck, was zu einem akuten Nierenversagen führen kann.
Der Kapseldruck und der kolloidosmotische Druck wirken dem Blutdruck entgegen. Somit ergibt sich an der Bowman-Kapsel ein effektiver Filtrationsdruck von etwa 8 mmHg. Schwankt der Blutdruck und fällt in einen kritischen Bereich, kommt es zu einer Gegenregulation der Niere. Durch die Ausschüttung von Renin aus den Zellen des juxtaglomerulären Apparates wird das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) aktiviert, wodurch der effektive Filtrationsdruck wieder steigt. Außerdem können die Nieren den Filtrationsdruck kurzfristig über den Bayliss-Effekt und die damit verbundene Vasokonstriktion und Vasodilatation der Vasa afferentia aufrecht halten.
Modifikation des Primärharns
Der zweite Schritt besteht in der Modifikation des Primärharns, die vor allem im proximalen Tubulus stattfindet. Sie umfasst zwei Mechanismen. Zum Einen erfolgt eine aktive Rückresorption von Elektrolyten, Glukose und Resteiweißen aus dem Tubulus ins Blut sowie eine passive Rückresorption von Wasser, hauptsächlich durch den sogenannten Solvent-drag-Mechanismus. Zum Anderen findet eine aktive Sekretion von Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin, Aminosäuren und Elektrolyten aus dem Blut in das Tubulussystem statt. Die Rückresorption hat jedoch ein Transportmaximum. Wenn das Angebot eines bestimmten Stoffes (z. B. Glukose beim Diabetes mellitus) die so genannte Nierenschwelle übersteigt, wird er nicht ins Blut rückresorbiert, sondern mit dem Harn ausgeschieden.
Durch diese Mechanismen wird das Volumen des Primärharns auf durchschnittlich 18 - 20 Liter pro Tag reduziert.
Harnkonzentration
Der letzte Schritt ist die weitere Harnkonzentration. Sie läuft in der Henle-Schleife und in den Sammelrohren ab. Dabei kommt das Gegenstromprinzip zur Wirkung. Es besteht aus drei Komponenten:
- dem dünnen, absteigenden Schenkel der Henle-Schleife
- dem dicken, aufsteigenden Schenkel der Henle-Schleife
- dem zwischen beiden Teilen liegenden Interstitium
Dabei ist entscheidend, dass der dünne Teil der Henle-Schleife für Wasser durchlässig ist, der dicke Teil nicht. Im aufsteigenden Teil der Henle-Schleife werden Natrium-Ionen durch aktiven Transport aus dem Harn in das benachbarte Interstitium transportiert. Das Wasser verbleibt im Harn, da es dem Natrium nicht folgen kann - die Flüssigkeit wird dadurch hypoton, das Interstitium hyperton.
In das hypertone Interstitium fließt nun Wasser aus dem absteigenden Teil der Henle-Schleife ein, da hier die Wand wasserdurchlässig ist. Dadurch wird der Primärharn im absteigenden Teil der Schleife aufkonzentriert und Wasser entzogen, ohne dass dazu ein zusätzlicher Energieaufwand notwendig wäre.
Der ihm Rahmen des oben beschriebenen Konzentrationsprozesses entstandene Sekundärharn hat nur noch ein Volumen von etwa 1,5 Liter pro Tag.
Steuerung der Harnbildung
Die Harnbildung wird im Wesentlichen durch zwei Hormone beeinflusst:
- Aldosteron stimuliert die Tubuluszellen zur Expression von Natrium- und Kaliumkanälen und steigert so die Natriumrückresorption.
- Adiuretin fördert die Wasserrückresorption im distalen Tubulus und in den Sammelrohren, so dass dem Körper weniger Wasser verloren geht.
Weitere Aufgaben der Niere
- Steuerung des Säure-Basenhaushalts, siehe: Aufgabe der Niere im Säure-Basenhaushalt
- Ausscheidung von Xenobiotika
- Hormonproduktion: Neben ihrer Ausscheidungsfunktion produziert die Niere das Hormon Erythropoetin, das die Produktion von Erythrozyten stimuliert. Außerdem sezerniert sie das Enzym Renin, das hormonähnliche Eigenschaften hat.
- Hydroxylierung von Calcidiol zu Calcitriol. Eine Einschränkung der Calcitriol-Bildung, z.B. im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz, kann mit einer Hypokalziämie auffällig werden
Klinik
Diagnostik
Bei der klinischen Untersuchung wird der Nierenklopfschmerz geprüft. Die Morphologie der Niere wird mit Hilfe bildgebender Verfahren erfasst. Dazu zählen u.a.:
Bei speziellen Fragestellungen ist eine Kontrastmitteldarstellung der Niere (i.v.-Pyelogramm) notwendig.
Die Nierenfunktion kann an Hand der Urinmenge, der Urinkonzentration und der Konzentration der harnpflichtigen Substanzen (Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Kalium) im Blut abgeschätzt werden. Differenziertere Aussagen über die Nierenfunktion können über die Ermittlung der Clearance getroffen werden.
Weitere Aussagen über die Nieren liefern das Urinsediment und Teststäbchen auf Bakterien, Eiweiß, Blut oder Glukose
Erkrankungen
Zu den Erkrankungen der Niere zählen unter anderem:
- Pyelonephritis
- Glomerulonephritis
- Nephrolithiasis (Nierensteine)
- Nierentumoren
- Fehlbildungen
- Ektopien
- Niereninsuffizienz
- Akutes Nierenversagen (ANV), Anurie
- Urämie
- Nephroptose ("Wanderniere", "Senkniere")
- Arteriolonekrose der Niere
- Arteriolosklerose der Niere
Quiz
Podcast
Fortbildung
Bildquellen
Quellen
- ↑ Joachim Kirsch: Taschenlehrbuch Anatomie. 2., überarbeitete Auflage. Thieme, 2017, ISBN 978-3-13-144992-4.
Literatur
- Anderhuber et al., Waldeyer - Anatomie des Menschen: Lehrbuch und Atlas in einem Band (19. aktualisierte Auflage), De Gruyter, 2012