Herzstammzelle
Synonym: kardiale Stammzelle
Definition
Herzstammzellen sind multipotente Vorläuferzellen (Stammzellen), die sich im Gewebe des Herzens befinden.
Hintergrund
Das Herz ist zwar ein vollständig differenziertes Organ, es enthält aber auch Vorläuferzellen. Es sind sowohl postnatale herzbildende, als auch adulte Stammzellnischen bekannt. Die exakte Natur und Rolle der adulten Zellnischen wird immer noch diskutiert, da nicht bekannt ist, wann und unter welchen Umständen sie sich im adulten Herzen zu Kardiomyozyten differenzieren. Herzstammzellen sind in der Lage, durch Differenzierung in Kardiomyozyten abgestorbenes Herzgewebe zu ersetzen.
Kardiogenese
Das Herz wird aus verschiedenen, zusammen wirkenden Zellpopulationen gebildet: atriale bzw. ventrikuläre Kardiomyozyten, glatte Muskelzellen, Endothelzellen, Epikardzellen, Zellen des Erregungsleitungssystem, Klappenzellen und Bindegewebszellen. Es wird angenommen, dass das Herz und die Blutzellen durch progressive Liniendifferenzierung aus einer einzigen Progenitorzelle entwickeln. Das Herz hat seinen Ursprung aus drei Herzanlagen: dem kardialen Mesoderm, der kardialen Neuralleiste und dem proepikardialen Organ. Aus der Herzneuralleiste entwickeln sich die Muskelzellen des Aortenbogens, des Ductus arteriosus, des Truncus brachiocephalicus, der Arteria carotis communis sinistra und der Arteria subclavia sinistra sowie das Erregungsleitungssystem. Die proepikardialen Zellen differenzieren sich in die Muskelzellen der Koronargefäße und andere epikardiale Zellen. Kardiogene mesodermale Vorläufer formieren die Kardiomyozyten und sind höchstwahrscheinlich der Ursprung der postnatalen kardialen Stammzellen.
Die Herzentwicklung beginnt, wenn Vorläuferzellen aus dem Mesoderm vom Primitivstreifen aus in laterokraniale Richtung migrieren, um dort die kardiogene Region zu formieren, welche das kardiale Mesoderm enthält. Während dieser Migration werden mesodermale Ursprungsgene wie der T-box-Transkriptionsfaktor Brachyury (Bry) unterreguliert und das mesodermale Posterior-Gen 1 (Mesp1) hochreguliert. Alle kardialen Progenitorzellen exprimieren Mesp1, das aber bei der Bildung des kardialen Halbmonds herunterreguliert wird. Nach diesem Ereignis gehören die Vorläuferzellen irreversibel zur Herzzelllinie und exprimieren LIM-Homöodomäne-Transkriptionsfaktor (Isl1), NK2 Homeobox 5 (Nkx2-5) und Fetale Leberkinase-1 (Flk-1), auch als VEGFR-2 bzw. KDR bekannt.
Das kardiogene Mesoderm enthält zwei multipotente Zellpopulationen, bekannt als erstes und zweites Herzfeld. Das erste Herzfeld formiert den kardialen Halbmond, von dem aus die Zellen ihre Migration beginnen und den embryonalen Herzschlauch bilden. Das erste Herzfeld bildet das linke Atrium und den linken Ventrikel. Das zweite Herzfeld hat seinen Ursprung beim pharyngealen Mesoderm, medial des kardialen Halbmonds und liegt ventral und dorsal zum Herzschlauch. Das zweite Herzfeld bildet den rechten Ventrikel, den Ausflusstrakt und das rechte Atrium. Beide Herzfelder exprimieren Nkx2-5 und T-box-Transkriptionsfaktor Tbx5.
Herzstammzellen
Es konnten noch keine Isl1-positiven Zellen aus dem menschlichen Herz isoliert werden, sondern nur aus murinen Herzen, aber andere Progenitorzellen, wie c-Kit-positive Zellen (Rezeptor für Stammzellfaktor), oder Sca-1-positive, aber c-Kit negative Zellen.
c-Kit-positive Progenitorzellen
c-Kit-positive Zellen wurden aus dem adulten menschlichen Myokard isoliert und befinden sich eher im Apex des Ventrikels. Diese Zellen sind selbsterneuernd, klonogen, multipotent und können zu Kardiomyozyten, Endothelzellen und Muskelzellen differenzieren. Sie können nach kardialer Applikation Nekroseareale mit funktionstüchtigem Gewebe ersetzen. c-Kit-positive Zellen können auch nach postischämischer Applikation das Infarktareal reduzieren und die Herzremodulation nach dem Infarkt unterstützen, was die Herzfunktion und die Prognose verbessert.
Sca-1-positive Progenitorzellen
Die Sca-1-positive Zellen sind deutlich häufiger als c-Kit-positive Zellen anzutreffen. Diese Zellen exprimieren den Herzmarker Nkx2-5 nach DNA-Demethylierung mit 5′-Azacitidin und differenzieren sich nach dieser Stimulation in Kardiomyozyten. Die Sca-1-positiven Zellen migrieren nach i.v.-Applikation ins Infarktareal, aber im Vergleich zu den c-Kits ist ihr Self-Renewal sowie ihre Funktion, Klonogenität und Multipotenz unklar.
Side-Population-Zellen
Side-Population-Zellen sind eine Untereinheit der Sca-1-Zellen. Diese Zellen exprimieren den ATB-binding cassette transporter (Abcg2). MDR1/Abcg2-positive Zellen aus dem Knochenmark können in lymphoide, myeloische und erythrozytäre Linien differenzieren. Solche aus Muskelgewebe können sich zu Kardiomyozyten, Endothelzellen oder Muskelzellen differenzieren. Die genauen Eigenschaften dieser Zellen sind - wie bei den Sca-1-Zellen - noch nicht bekannt.
Klinik
Biologisch wird angenommen, das in gesunden Geweben ein Gleichgewicht zwischen sterbenden und neu gebildeten Zellen hergestellt ist. Eine Störung dieses Gleichgewichts führt zu diversen pathologischen Veränderungen. Kardiale Stammzellen sind daher eine viel versprechende Therapiequelle für viele Herzerkrankungen. Sie könnten u.a. bei Herzinfarkt, Kardiomyopathien und Herzinsuffizienz eingesetzt werden. Es werden auch unterschiedliche Applikationsformen, wie i.v.- oder intrakardiale Gabe, erforscht. Herzstammzellen könnten - neben den besser erforschten mesenchymalen Stammzellen - eine Alternative zu etablierten medikamentösen oder chirurgischen Therapieverfahren der Kardiologie sein. Sie haben den Vorteil, dass sie einen kardialen Ursprung haben und sich nur in kardiale Zelllinien differenzieren können. Es ist aber eine weitere und genauere Erforschung der kardialen Stammzellen und ihrer molekularen Mechanismen notwendig.