Humane granulozytäre Anaplasmose
Synonyme: Humane granulozytotrope Anaplasmose, humane granulozytäre Ehrlichiose (veraltet)
Englisch: human granulocytic anaplasmosis, human granulocytotropic anaplasmosis
Definition
Die humane granulozytäre Anaplasmose, kurz HGA, ist eine durch das Bakterium Anaplasma phagocytophilum ausgelöste Infektionskrankheit.
Ätiologie
Anaplasma phagocytophilum ist ein obligat intrazelluläres, gramnegatives Bakterium der Gattung Anaplasma (Familie Anaplasmataceae). Nach Genanalysen wurden die früheren Arten Ehrlichia phagocytophilum und Ehrlichia equi zu dieser neuen Art zusammengefasst.
Epidemiologie
Die Übertragung des Bakteriums auf den Menschen erfolgt durch Stiche der Zeckenarten Ixodes ricinus (Europa), Ixodes scapularis und Ixodes pacificus (USA). Die gleichen Zeckenarten können auch Borrelia burgdorferi und Babesia microti übertragen.
Die HGA kommt insbesondere in nördlichen Staaten der USA und in Europa (Niederlande, Norwegen, Polen, Schweden, Slowenien, Deutschland) vor. Die Verteilung entspricht derjenigen der Lyme-Borreliose. Das Erregerreservoir bilden insbesondere Weißfußmäuse (Peromyscus leucopus), Hörnchen, Weißwedelhirsch und Rotwild. Obwohl in Deutschland bis zu 4 % der Zecken infiziert sind, wurden bisher (2020) keine Fälle von HGA beschrieben. Dagegen kommen vereinzelt Erkrankungen in Österreich, Slowenien und anderen europäischen Staaten vor.
Sehr selten kann Anaplasma phagocytophilum über eine Bluttransfusion übertragen werden.
Pathophysiologie
Nach Übertragung verbreitet sich Anaplasma phagocytophilum hämatogen und infiziert die neutrophilen Granulozyten. Dabei vermehren sie sich in einer intrazellulären Vakuole, die auch als Morula bezeichnet wird.
Symptome
Ungefähr 60 bis 70 % aller Infektionen verlaufen asymptomatisch. Bei einer symptomatischen HGA beträgt die Inkubationszeit durchschnittlich 4 bis 8 Tage. Zu den typischen unspezifischen Symptomen gehören unter anderem:
- Fieber (75-100 %)
- Abgeschlagenheit (97 %)
- Kopfschmerzen (83 %)
- Myalgie (75 %)
- Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö (21-39 %)
- Husten (29 %)
- Verwirrtheit (17 %)
In ungefähr 6 % der Fälle kann ein Exanthem entstehen. Dabei handelt es sich jedoch meist um ein Erythema migrans aufgrund einer Koinfektion mit Borrelia burgdorferi.
Bei älteren Patienten sind schwere Komplikationen möglich, z.B.:
Diagnostik
Bei Vorliegen passender Symptome sollte anamnestisch nach einer Zeckenexposition bzw. einem Zeckenstich gefragt werden.
Typische Laborbefunde sind eine Thrombozytopenie, eine Leukopenie und erhöhte Transaminasen im Serum. Mikroskopisch können in 20 bis 75 % der Fälle Morulae im peripheren Blutausstrich nachgewiesen werden. Mittels PCR-Amplifikation lassen sich die bakteriellen Gene in der Akutphase detektieren.
Retrospektiv bestätigt ein vierfacher Titeranstieg (> 1:160) von spezifischen Antikörpern in zwei Proben (im Abstand von einem Monat) die Diagnose. Bei frühzeitiger Behandlung kann die Serokonversion jedoch ausbleiben.
Differenzialdiagnosen
Anhand der Symptome ist eine HGA nicht von einer humanen monozytären Ehrlichiose zu unterscheiden. Weiterhin müssen (Ko-)Infektionen mit Borrelia burgdorferi (Lyme-Borreliose) und Babesia microti (Babesiose) bedacht werden.
In China wurde eine ähnliche Erkrankung durch Anaplasma capra ausgelöst. Es wird durch Zecken der Art Ixodes persulcatus übertragen.
Therapie
Therapie der Wahl ist die Gabe von Doxycyclin (2 × 100 mg/d per os). Bei Schwangeren und Kindern wird auch Rifampicin eingesetzt. Innerhalb von 24 bis 48 Stunden ist mit einer Entfieberung zu rechnen. Die Letalität der Erkrankung beträgt 0,5 bis 3 %.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Prophylaxe
Da bisher (2020) keine Impfung existiert, ist Vermeidung von Zeckenstichen die einzige effektive Maßnahme zur Verhinderung einer HGA. Die Wahrscheinlichkeit einer Reinfektion nach durchstandener Erstinfektion wird als gering eingestuft.[1]
Quellen
- ↑ Johan S. Bakken, MD, PhDa and J. Stephen Dumler, MD: Human Granulocytic Anaplasmosis Infect Dis Clin North Am. 2015 Jun; 29(2): 341–355. doi: 10.1016/j.idc.2015.02.007 PMCID: PMC4441757 PMID: 25999228
Weblinks
- Kharel Z, Kim S. Anaplasmosis. New Engl J Med 2024- Fallbericht mit Abb., abgerufen am 25.11.2024