Gleichbeinfraktur (Pferd)
Englisch: proximal sesamoid bone fractures, fractures of the proximal sesamoid bone
Definition
Als Gleichbeinfrakturen bezeichnet man Frakturen der proximalen Sesambeine der distalen Gliedmaße beim Pferd.
Anatomie
Die Gleichbeine sind paarige Sesambeine, die palmar bzw. plantar dem Fesselgelenk angelegt sind. Sie haben die Form einer dreiseitigen Pyramide mit einer nach proximal gerichteten Spitze. Die distale Fläche wird als Basis bezeichnet und ist durch Bänder mit dem Fesselbein verbunden. Die dorsale Fläche hingegen (Facies articularis) ist konkav und ergänzt die Fesselgelenkpfanne von palmar bzw. plantar. Die abaxiale Fläche ist aufgeraut (Facies musculi interossei) und dient dem Musculus interosseus medius als Ansatzfläche.
Die Palmar- bzw. Plantarflächen der Gleichbeine sind nach axial abgeflacht und bilden so eine Gleitrinne (Facies flexoria) für die Beugesehnen.
Epidemiologie
Gleichbeinfrakturen kommen häufig bei Vollblut-Rennpferden, Trabern und Quarter Horse vor. Bei Vollblutpferden und Quarter Horse sind die Vordergliedmaßen (v.a. rechtes Bein), bei Trabern hingegen die Hintergliedmaße (v.a. das linke Bein) vermehrt betroffen.
Ätiologie
Ursächlich für eine Gleichbeinfraktur sind entweder übermäßige Zugkräfte auf die anliegenden Weichteilstrukturen (Beugesehnen, Fesselträger oder Bandapparat) oder ein direktes stumpfes Trauma auf die Knochen.
Prädisponierende Faktoren sind eine schlechte Kondition (untrainierte Pferde), unsachgemäße Hufkorrektur und Überbelastungen (z.B. falsches Training oder Pferderennen). Gleichzeitig kann beim Fußen auf einem unebenen Boden durch ungleichmäßige Zugkräfte der umliegenden Bänder und Sehnen eine Gleichbeinfraktur ausgelöst werden.
Pathogenese
Während des Galopps wird das Fesselgelenk maximal gestreckt. Durch Ermüdungen der oberflächlichen und tiefen Beugesehnen kommt es bei einer Überbelastung zur Hyperextension im Gelenk. Die durch den Galopp einwirkenden Kräfte werden so ungehindert auf die Gleichbeine übergeleitet, sodass es zu Stressfrakturen kommt, sobald der Fesselträger und die distalen Sesambeinbänder den Kräften nicht mehr standhalten können. Frakturen aufgrund von Muskelermüdungen kommen daher auch gehäuft bei Fohlen vor, die das erste Mal auf die Weide kommen und versuchen, mit der Stute Schritt zu halten.
Direkte Traumata führen häufig zu Trümmerfrakturen sowie Querfrakturen. Solche Verletzungen entstehen entweder während der maximalen Belastung des Fesselgelenks, wenn der Fesselkopf den Boden berührt (z.B. nach einem Sprung bei der Landung), oder wenn von außen ein Schlag/Tritt auf die Fesselregion erfolgt (z.B. Eintreten mit dem Hinterbein). In diesen Fällen ist das mediale Sesambein am häufigsten betroffen.
Deutlich seltener kommt es zu pathologischen Frakturen bei instabilen Fesselgelenken (z.B. bei degenerativer Fesselträgerentzündung) oder nach dem Tragen mehrwöchiger Castverbände.
Klassifizierung
Gleichbeinfrakturen können anhand der Frakturlinien in sechs verschiedene Kategorien unterteilt werden:
Fraktur-Typ | Beschreibung |
---|---|
"apical" | Querfraktur im Bereich der Gleichbeinspitze |
"mid-body" | Querfraktur im mittleren Bereich des Knochens |
"basal" | Querfraktur im Bereich der Gleichbeinbasis |
"abaxial" | Schrägfraktur im abaxialen Bereich |
"sagittal" | Längsfraktur durch die gesamte Länge des Gleichbeins |
"comminuted" | Trümmerfraktur mit Quer- und Längsfrakturen |
Klinik
Im akuten Stadium zeigen betroffene Pferde eine ausgeprägte Lahmheit. Die Tiere nehmen äußerst ungern Gewicht auf die betroffene Gliedmaße auf, wobei beim Auftreten das Fesselgelenk nur gering gestreckt wird. Die betroffene Region ist geschwollen, vermehrt warm und druckdolent. Bei der Gangbildanalyse fällt auf, dass die Fesselregion in einer konstanten Schonhaltung positioniert wird.
Diagnose
Die Diagnose wird anhand der Klinik bzw. der klinischen und orthopädischen Untersuchung gestellt. Mithilfe einer Röntgenstudie (dorsopalmarer bzw. dorsoplantarer, lateromedialer Strahlengang sowie Schrägaufnahmen) kann das Ausmaß der Verletzung eingeschätzt werden.
Therapie
Die Therapie hängt von vom Frakturtyp und vom Verwendungszweck des Pferdes ab. Grundsätzlich kommen Boxenruhe, Castverband, chirurgische Resektion, Fixation mittels Zugschraube, Zerklage und Knochentransplantation in Frage.
Fraktur-Typ | Therapieoption |
---|---|
"apical" | arthroskopische Resektion des Fragments |
"mid-body" | Zerklage oder Zugschraube |
"basal" | Zugschraube oder arthroskopische Resektion des Fragments |
"abaxial" | arthroskopische Resektion artikulärer Fragmente bzw. konservative Therapie nicht-artikulärer Frakturen |
"sagittal" | Zugschraube |
"comminuted" | Arthrodese des Fesselgelenks |
Literatur
- Baxter GM. 2011. Adams and Stashak's Lameness In Horses. Sixth edition. Wiley-Blackwell Publishing, Ltd. ISBN: 978-0-8138-1549-7/2011.
- Auer JA, Stick JA, Kümmerle JM. 2019. Equine surgery. Fifth edition. St. Louis: Elsevier, Inc. ISBN: 978-0-323-48420-6
- Nickel R, Schummer A, Seiferle E. 2004. Lehrbuch der Anatomie der Haussäugetiere. Band I, Bewegungsapparat. 8., unveränderte Auflage. Stuttgart: Parey Verlag in Georg Thieme Verlag KG. ISBN: 978-383044149
- Brehm W, Burk J, Delling U, Hagen J, Köhler M, Litzke LF, Nowak M, Rijkenhuizen A, Schusser GF, Tietje S, Troillet A. Krankheiten des Bewegungsapparats. In: Brehm W, Gehlen H, Ohnesorge B, Wehrend A (Hrsg.). 2017. Handbuch Pferdepraxis. 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke Verlag in Georg Thieme Verlag KG. 849-1148. ISBN: 978-3-13-219621-6