Vergrößerter perivaskulärer Raum
Synonym: erweiteter perivaskulärer Raum, vergrößerter Virchow-Robin-Raum, prominenter perivaskulärer Raum
Englisch: enlarged perivascular space, dilated perivascular space
Definition
"Vergrößerte perivaskuläre Räume" ist ein radiologischer Befund in der Bildgebung des Gehirns. Dabei handelt es sich um Größenveränderungen des Virchow-Robin-Raums, die meist eine anatomische Normvariante darstellen.
Hintergrund
Die perivaskulären Räume (PVS) werden auch als Virchow-Robin-Räume bezeichnet. Sie umgeben die Arterien und Arteriolen des ZNS, wo diese das Hirnparenchym penetrieren. Die Spalträume sind durch die Pia mater begrenzt und mit Flüssigkeit gefüllt. Die PVS kommunizieren nicht direkt mit dem Subarachnoidalraum.
Die perivaskulären Räume formen ein komplexes intraparenchymales Netzwerk, das die Großhirnhemisphären, das Mittelhirn und das Kleinhirn durchzieht. Sie sind mit interstitieller Flüssigkeit und nicht mit Liquor gefüllt. Vermutlich spielen sie eine entscheidende Rolle für die Zirkulation von zerebralen Metaboliten im Rahmen des glymphatischen Systems. Außerdem sind sie wichtig für die Homöostase des intrakraniellen Drucks.
Ätiologie
Die Ursache für erweiterte perivaskuläre Räume ist derzeit (2023) unklar. Sie kommen in der Regel sporadisch vor. Da sie mit höherem Alter, lakunären Infarkten und White Matter Lesions assoziiert sind, stellen sie möglicherweise einen Marker für eine zerebrale Mikroangiopathie dar.
Eine Assoziation mit Demenz, akkumulierten Mukopolysacchariden bei Hurler-, Hunter- und Sanfilippo-Syndrom sowie mit einigen kongenitalen Muskeldystrophien ist beschrieben.
Lokalisation
Vergrößerte perivaskuläre Räume können überall im Gehirn vorkommen. Prädilektionsstellen sind:
- inferiores Drittel der Basalganglien, insbesondere nahe der Commissura anterior
- subkortikale und tiefe weiße Substanz
- Mesencephalon
- Nucleus dentatus
Pathologie
Erweiterte Virchow-Robin-Räume kommen oft gruppiert in unterschiedlicher Größe vor. Die meisten Räume sind unter 2 mm groß, wobei die Prävalenz und die Größe mit dem Alter zunehmen. Riesige, sogenannte tumefaktive perivaskuläre Räume mit einer Ausdehnung bis 9 cm wurden in Einzelfällen beschrieben.
Das umgebende Hirparenchym ist regelrecht ausgebildet und zeigt weder eine Gliose, noch eine Entzündung, noch eine Hämorrhagie oder Amyloidablagerungen.
Klinik
Sehr große perivaskuläre Räume im Mesencephalon können zu einem Hydrocephalus occlusus und Kopfschmerzen führen. In der Regel stellen sie jedoch einen asymptomatischen radiologischen Zufallsbefund dar. Unspezifische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel, Gedächtnisstörungen und Parkinson-ähnliche Symptome wurden beschrieben, der Zusammenhang zu vergrößerten perivaskulären Räumen ist jedoch umstritten.
Diagnostik
Vergößerte perivaskuläre Räume werden radiologisch diagnostiziert. Dabei zeigen sich vereinzelte oder gruppierte liquorähnliche "Zysten" variabler Größe. Sie führen zu einem fokalen raumfordernden Effekt.
Computertomographie
In der Computertomographie (CT) zeigen sich vergrößerte perivaskuläre Räume als rundliche, ovaläre, lineare oder punktförmige liquor-isodense Läsionen. Verkalkungen oder Blutungen kommen nicht vor. Nach Kontrastmittelgabe zeigt sich kein Enhancement
Magnetresonanztomographie
In der Magnetresonanztomographie (MRT) zeigen vergrößerte perivaskuläre Räume in allen Sequenzen ein nahezu identisches Signalverhalten zu Liquor. Blutungen, Diffusionsrestriktion oder Kontrastmittelenhancement kommen nicht vor. Ein perifokales Ödem fehlt, wobei es bei 25 % der tumefaktiven PVSs zu einer minimalen Signalanhebung um die Zysten kommt. Teilweise können innerhalb des PVS Gefäße erkennbar sein.
Bei subkortikaler Lokalisation ist der angrenzende Gyrus cerebri durch den raumfordernden Effekt verbreitert und der Sulcus cerebri verschmälert. Bei Lokalisation im Mesencephalon kann der Aquaeductus mesencephali und der 3. Ventrikel komprimiert sein, sodass ein Hydrocephalus occlusus auftritt.
Bei sehr prominenten PVS in den Basalganglien spricht man auch von état criblé bzw. Status cribrosum.
Eine Sonderform stellen perivaskuläre Räume im anterioren Temporallappen dar: Hier fällt in ca. 80 % der Fälle ein perifokales Ödem auf. Weiterhin sind sie mit einem Ast der Arteria cerebri media und einer fokalen kortikalen Ausdünnung assoziiert.[1][2][3]
Differenzialdiagnosen
- chronischer lakunärer Infarkt: betrifft ebenfalls häufig die Basalganglien und führt zu einer Signalsupression in der FLAIR-Sequenz, jedoch kein gruppiertes Auftreten um die Commissura anterior, meist irreguläre Form und häufig Signalanhebung im umgebenden Hirnparenchym.
- infektiöse Zysten (z.B. Neurozystizerkose): treten im Gegensatz zu vergrößerten perivaskulären Räumen meist nicht als gruppierte Zysten unterschiedlicher Größe auf.
Therapie
Bei erweiterten perivaskulären Räumen ist keine Behandlung notwendig. In den vereinzelten Fällen von obstruktivem Hydrozephalus kommt eine intraventrikuläre Shuntanlage in Frage.
Prognose
Vergrößerte perivaskuläre Räume können in Einzelfällen einen Größenwachstum aufweisen. In der Regel bleiben sie jedoch stabil.
Literatur
- Jungreis CA et al. Normal perivascular spaces mimicking lacunar infarction: MR imaging. Radiology. 1988
- Ogawa T et al. Unusual widening of Virchow-Robin spaces: MR appearance. AJNR Am J Neuroradiol. 1995
- Song CJ et al. MR imaging and histologic features of subinsular bright spots on T2-weighted MR images: Virchow-Robin spaces of the extreme capsule and insular cortex. Radiology. 2000
- Papayannis CE et al. Expanding Virchow Robin spaces in the midbrain causing hydrocephalus. AJNR Am J Neuroradiol. 2003
- Salzman KL et al. Giant tumefactive perivascular spaces. AJNR Am J Neuroradiol. 2005
- Inglese M et al. Dilated perivascular spaces: hallmarks of mild traumatic brain injury, AJNR Am J Neuroradiol. 2005
- Kwee RM, Kwee TC. Virchow-Robin spaces at MR imaging. Radiographics. 2007
- Doubal FN et al. Enlarged perivascular spaces on MRI are a feature of cerebral small vessel disease. Stroke. 2010
- Loos CM et al. Association between Perivascular Spaces and Progression of White Matter Hyperintensities in Lacunar Stroke Patients. PLoS One. 2015
- Zhang X, Ding L, Yang L, et al. Brain Atrophy Correlates with Severe Enlarged Perivascular Spaces in Basal Ganglia among Lacunar Stroke Patients. PLoS One. 2016
- Bakker EN et al. Lymphatic Clearance of the Brain: Perivascular, Paravascular and Significance for Neurodegenerative Diseases. Cell Mol Neurobiol. 2016
- Shi Y, Wardlaw JM. Update on cerebral small vessel disease: a dynamic whole-brain disease. Stroke Vasc Neurol. 2016
- Mestre H et al. The Brain's Glymphatic System: Current Controversies. Trends Neurosci. 2020
- Wardlaw JM et al. Perivascular spaces in the brain: anatomy, physiology and pathology. Nat Rev Neurol. 2020
- Liu XY et al. Perivascular space is associated with brain atrophy in patients with multiple sclerosis. Quant Imaging Med Surg. 2022
- Lynch KM et al. Brain perivascular space imaging across the human lifespan. Neuroimage. 2023
Quellen
- ↑ McArdle DJT et al. Opercular perivascular cysts: A proposed new subtype of dilated perivascular spaces. Eur J Radiol. 2020
- ↑ Lim AT et al. Large anterior temporal Virchow-Robin spaces: unique MR imaging features. Neuroradiology. 2015
- ↑ Rawal S et al. Subcortical cystic lesions within the anterior superior temporal gyrus: a newly recognized characteristic location for dilated perivascular spaces. AJNR Am J Neuroradiol. 2014
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