Binge-Eating-Störung
von englisch: binge - schlingen
Synonyme: Essanfallsstörung, Binge-Eating-Disorder
Englisch: binge eating disorder
Definition
Die Binge-Eating-Störung, kurz BES, ist eine psychisch bedingte Essstörung, bei der Betroffene unabhängig vom Hungergefühl unverhältnismäßig große Nahrungsmengen in einem bestimmten Zeitraum zu sich nehmen. Dieses als "Essanfall" oder "Heißhungerattacke" umschriebene Phänomen entzieht sich der Kontrolle des Betroffenen. Charakteristisch für eine BES ist das Fehlen von kompensatorischen Maßnahmen nach einer Essattacke.
Die Essstörung ist nicht in der ICD-10 aufgeführt und wird unter den nicht näher bezeichneten Essstörungen (F 50.9) eingeordnet.
Epidemiologie
Es sind etwa 2-5% in der Allgemeinbevölkerung von einer BES betroffen. Typischerweise manifestiert sie sich zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr. Bei der BES kann im Alter zwischen 45 und 54 Jahren eine zweite Häufung der Erstmanifestation statistisch nachgewiesen werden. Frauen leiden 1,5-mal häufiger an dieser Essstörung. Besonders übergewichtige Personen erkranken mit einer Prävalenz von 4-9% deutlich häufiger. Eine weitere Statistik geht davon aus, dass bis zu 30% der Teilnehmer an Gewichtsreduktionsprogrammen eine BES vorweisen.
Die BES-Population lässt sich darüber hinaus in zwei Gruppen unterteilen:
- Die sogenannte diet-first-Gruppe führt typischerweise vor ihrer ersten Fressattacke eine Diät durch und weist im Durchschnittsalter von 26 Jahren eine erste Essattacke auf.
- Davon abgegrenzt werden Personen, die einen Essanfall erleben, bevor sie je eine Diäterfahrung gemacht haben. Sie werden in der binge-first-Gruppe zusammengefasst und zeigen das Störungsbild bereits im Alter von 12 Jahren.
Ätiologie und Pathogenese
Die Ätiologie der BES ist größtenteils noch ungeklärt. Es wird von einem Zusammenwirken biologischer, persönlichkeitsbezogener und soziokultureller Faktoren ausgegangen. Es lässt sich ein Zusammenhang zwischen den komorbiden depressiven Verstimmungen und dem Ausmaß an psychosozialen Belastungen, der Häufigkeit der Essanfälle, dem Schweregrad der Adipositas sowie dem Therapieerfolg nachweisen. Daher gelten prädisponierende Faktoren einer Adipositas als auch psychische Störungen begünstigend für die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer BES.
Die Patienten versuchen, ihr gestörtes Essverhalten zu verheimlichen, und ziehen sich daher (v. a. zum Essen) von Freunden und Bekannten zurück, um ihre Essattacken zu verbergen. Mehr als die Hälfte der Betroffenen ist in der Vergangenheit einmal depressiv gewesen.
Übergewichtige Patienten mit BES weisen über die Essanfälle hinaus eine negativere Einstellung gegenüber dem Essen, der eigenen Figur und dem Körperbild im Vergleich zu übergewichtigen Patienten ohne BES auf. Dies hat einen entscheidenden Einfluss auf die Pathogenese.
Symptome
Eine BES ist geprägt von folgenden psychischen Symptomen:
- Unkontrollierbare Essanfälle
- Gestörtes Essverhalten zwischen den Essanfällen
- Abwechselnd restriktives und unkontrollierbares Essverhalten
- Unregelmäßige Ernährung
- Wahrnehmungsstörungen in Bezug auf Hunger-/Sättigungsregulation
- Negatives Körperkonzept
Diagnostik
Diagnosekriterien einer BES sind im aktuellen Diagnosesystem DSM-IV-T der American Psychiatric Association (APA) beschrieben:
- Wiederholte Episoden von "Essanfällen", die folgendermaßen charakterisiert sind:
- Essen einer Nahrungsmenge in einem abgrenzbaren Zeitraum, die definitiv größer ist, als die meisten Menschen in einem ähnlichen Zeitraum unter ähnlichen Umständen zu sich nehmen würden
- Ein Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen während des Anfalls
- Die Essanfälle treten zusammen mit mindestens drei der folgenden Symptome auf:
- Wesentlich schneller essen als normal
- Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl
- Essen großer Nahrungsmengen, obwohl man sich nicht hungrig fühlt
- Alleine essen aus Verlegenheit über die Menge, die man isst
- Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit oder Schuldgefühle nach übermässigem Essen
- Es besteht ein deutliches Leiden im Bezug zu den Essanfällen.
- Die Essanfälle treten im Durchschnitt an mindestens zwei Tagen in der Woche über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten auf
- Die Essanfälle gehen nicht mit dem Einsatz von unangemessenen kompensatorischen Verhaltensweisen einher, wie:
- Sie treten ebenfalls nicht ausschließlich auf im Verlauf von:
Therapie
Hier wird eine Normalisierung des Essverhaltens und die Behandlung der zugrunde liegenden seelischen Konflikte (wie Selbstwertdefizite) angestrebt. Ziel der Therapie ist nicht eine Gewichtnormalisierung bzw. -reduktion, sondern die Rückgewinnung der Kontrolle über das Essverhalten.
Psychotherapeutische Interventionen wurden hauptsächlich von Behandlungskonzepten der Bulimia nervosa abgeleitet und angepasst. Für eine Verhaltenstherapie (KVT), eine interpersonale Therapie (IPT) und modifizierte Formen der dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) konnte eine statistische Reduktion der Essanfälle und der psychischen Komorbidität nachgewiesen werden.
Neben den genannten verhaltenstherapeutischen Ansätzen kommt eine medikamentöse Behandlung grundsätzlich in Frage, die Essanfälle und Übergewicht beeinflussen sollen. Dabei kommen vor allem Antidepressiva, vorrangig Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI]) wie Fluvoxamin, Fluoxetin, Citalopram und Sertralin zum Einsatz. Auch Substanzen mit gewichtsreduzierender Wirkung (Sibutramin, Orlistat, Topiramat) werden bei einer BES verordnet. Eine medikamentöse Behandlung bei einer BES erscheint jedoch fraglich, ist der Einsatz der beschriebenen Medikamente in Studien einem Placebo nicht immer überlegen. Des Weiteren muss mit teilweise erheblichen Nebenwirkungen gerechnet werden.
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