Übertragung (Geburtshilfe)
Definition
Unter dem Begriff Übertragung versteht man in der Geburtshilfe eine Überschreitung des errechneten Geburtstermins um mehr als 14 Tage. Für die Diagnose einer übertragenen Schwangerschaft ist die Abschätzung des genauen Gestationsalters von wesentlicher Bedeutung.
Ätiologie
Die genauen Gründe für eine Übertragung bleiben meist ungeklärt. Es wird angenommen, dass eine fehlende oder unzureichende Erregbarkeit der Muskulatur des Uterus für die Übertragung verantwortlich ist.
Mögliche Ursachen für eine Übertragung sind beispielsweise:[1][2]
- Terminfehler (falsche Berechnung des vorausichtlichen Entbindungstermins)
- Genetisch determinierte verlängerte Schwangerschaftsdauer von 41 + 6/7 SSW p.m.
- Exogene Einflüsse: z.B. Umweltgifte wie Ethylenoxid
- Anomalien, welche die fetale Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse betreffen (z.B. Anenzephalus)
- Sulfatasemangel der Plazenta
- Vorangegangene Übertragung
Es konnte gezeigt werden, dass ein Zusammenhang zwischen dem mütterlichen CRH-Spiegel in der ersten Hälfte der Schwangerschaft und der Schwangerschaftsdauer besteht. Bei einer Terminüberschreitung war der CRH-Spiegel in der ersten Schwangerschaftshälfte signifikant erniedrigt. Eine Adipositas der Schwangeren (mütterlicher BMI über 30 im 1. Trimester) ist mit erniedrigten CRH-Spiegeln im Serum verbunden und verringert somit die Chance auf einen spontanen Geburtsbeginn am Termin.[1]
Formen
Bei Überschreiten des errechneten Geburtstermins um mehr als 14 Tage wird von echter Übertragung gesprochen. Unter einer rechnerischen Übertragung versteht man eine Überschreitung um mehr als sieben bis zehn Tage.
Klinik
Bei echter Übertragung ist das Risiko für eine Plazentainsuffizienz und damit auch die perinatale Mortalität erhöht. Kommt es zu einer Plazentainsuffizienz, liegen typischerweise folgende klinische Symptome beim Neugeborenen vor:[1]
- überstehende Fingernägel
- vermindertes subkutanes Fettgewebe
- Grünfärbung und Abschilferung der Haut
- Fehlen von Vernix caseosa und Lanugobehaarung
- tiefe Falten an Handflächen und Fußsohlen ("Waschfrauenhände")
- Erhöhtes Risiko für eine perinatale Asphyxie
Besteht eine schwere Plazentainsuffizienz, ist das Risiko für ein Mekoniumaspirationssyndrom erhöht. Ursächlich ist eine verringerte Fruchtwassermenge, wodurch das angesaugte Mekonium weniger verdünnt ist.
Bleibt bei einer Terminüberschreitung die Funktion der Plazenta ungestört, entwickelt sich in der Regel ein makrosomer Fetus. Gefahren, die durch die fetale Makrosomie entstehen, sind beispielsweise:[1]
- fetales Trauma, bedingt durch einen protrahierten Geburtsverlauf
- mütterliches Weichteiltrauma im Geburtskanal
- Schulterdystokie mit neurologischen Verletzungen, schwerer Asphyxie, intrapartalem oder neonatalem Tod
Vorgehen
Die Schwangere sollte nach Überschreitung des errechneten Geburtstermins eng überwacht werden.
Zusätzlich wird der Geburtstermin neu berechnet und mit den bei der Fetometrie gewonnenen Daten abgeglichen. Wenn die Befunde unklar sind, wird davon ausgegangen, dass die während der 10. bis 14. Schwangerschaftswoche bestimmte Scheitel-Steiß-Länge das korrekte Gestationsalter angibt.
Mittels der Fetometrie werden Informationen über die aktuelle Größe des Kindes, die Fruchtwassermenge sowie über den Reifegrad der Plazenta gewonnen.
Wenn tatsächlich eine Überschreitung des Geburtstermins vorliegt, wird jeden zweiten Tag eine Kardiotokographie durchgeführt. Die Schwangere sollte zusätzlich nach Bewegungen des Kindes gefragt werden.
Ein Oxytocin-Belastungstest wird ab dem siebten Tag nach dem errechneten Geburtstermin durchgeführt.
Eine stationäre Aufnahme und Einleitung der Geburt mit Prostaglandin-Vaginalgel oder Oxytocin i.v. erfolgt ab dem 10. Tag nach dem errechneten Geburtstermin.
In manchen Fällen ist eine Entbindung durch eine Sectio caesarea erforderlich.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Springer Medizin - Terminüberschreitung und Übertragung der Schwangerschaft, abgerufen am 25.04.2023
- ↑ MDS-Manual - Übertragene und überreife Säuglinge, abgerufen am 25.04.2023
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