Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom
Englisch: posterior reversible encephalopathy syndrome(PRES), reversible posterior leukoencephalopathy syndrome (RPLS)
Definition
Das posteriore reversible Enzephalopathie-Syndrom, kurz PRES, ist ein selten auftretendes neurologisches Syndrom, das durch Kopfschmerzen, Sehstörungen, Krampfanfälle und Verwirrtheit gekennzeichnet ist. In der Bildgebung sind typischerweise vasogene Ödeme in den Parietal- und Okzipitallappen nachweisbar.
- ICD10-Code: G93. – Enzephalopathie, nicht näher bezeichnet
Ätiologie
Auslöser der Erkrankung sind beispielsweise:
- Arterielle Hypertonie (häufigster auslösender Faktor)
- Immunsuppressiva und Zytostatika (z.B. Ciclosporin, Tacrolimus)
- Nierenerkrankungen
- Thrombotische Mikroangiopathien
- Präeklampsie, Eklampsie
- Autoimmunerkrankungen (SLE, Sjögren-Syndrom)
- Porphyrie
- Sepsis/Infektionen
- Z.n. Transplantation
- Pseudoephedrin
- reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom
Pathophysiologie
Der genaue Pathomechanismus ist derzeit (2024) noch nicht geklärt. In der Literatur finden sich u.a. zwei Theorien zur Pathophysiologie des PRES:
Gestörte zerebrale Autoregulation und Hypertonie
Ein rapider Blutdruckanstieg führt dazu, dass die autoregulatorischen Kapazitäten der zerebralen Gefäße nicht ausreichen. Dies führt zu einem kapillären Leak und der Enstehung eines vasogenen Ödems. Das posteriore Stromgebiet ist besonders gefährdet.
Endotheliale Dysfunktion
Ca. 30 % der PRES-Fälle gehen nicht mit einer Hypertonie einher und beruhen nicht auf einer Überlastung der zerebralen Autoregulationsmechanismen. Es wird vermutet, dass in diesen Fällen eine direkte Toxin-vermittelte endotheliale Dysfunktion ursächlich für die Krankheitsenstehung ist. Die endotheliale Dysfunktion geht ebenfalls mit kapillären Leaks einher, die zu Störungen der Blut-Hirn-Schranke und zur Entstehung eines vasogenen Ödems führen. Dieser Mechanismus wird v.a. für das Zytostatika-induzierte PRES beschrieben.
Klinik
Es handelt sich um ein akutes bis subakutes Krankheitsbild, das sich innerhalb von wenigen Stunden bis Tagen entwickelt. Die Symptome bilden sich nach Tagen bis Wochen meist vollständig, seltener inkomplett zurück.
Klinische Symptome sind zum Beispiel:[1][2]
- Enzephalopathie mit
- Kopfschmerzen (in der Regel dumpf und diffus)
- Verwirrtheit
- Übelkeit, Erbrechen
- Vigilanzstörungen variabler Schwere, teils im Verlauf fluktuierend
- sekundär generalisierte tonisch-klonische Krampfanfälle mit fokalem Beginn (häufig schwer zu beobachten)
- kortikale Sehstörungen verschiedener Ausprägung
- Verschwommensehen
- Gesichtsfeldausfälle, z.B. homonyme Hemianopsie
- komplette kortikale Blindheit
- visuelle Halluzinationen (selten)
- Paresen, Sensibilitätsstörungen, Neglect, Bálint-Syndrom, spinale Syndrome (selten)
- hypertensive Entgleisung oder hypertensive Krise (möglich)
Diagnostik
Die Diagnose des PRES wird anhand der klinischen und radiologischen Befunde gestellt. In der Bildgebung des Schädels zeigen sich subkortikal und meist kortikal bilateral vasogene Ödeme in den Okzipital- und Parietallappen. Weitere mögliche Lokalisationen sind u.a. der Frontallappen, das Cerebellum, der Hirnstamm, die Basalganglien oder das Corpus callosum. Die Befunde lassen sich am besten mit einer kranialen MRT (cMRT) darstellen:
- T2-Gewichtung mit FLAIR-Sequenz: symmetrisch hyperintense Signale in den parieto-okzipitalen Lappen beider Hemisphären
- T1-Gewichtung: hypointense Signale in den betroffenen Arealen
- DWI: hypo- oder isointenses Signal (manchmal gering hyperintens aufgrund des T2-Durchscheineffekts)
- ADC: hyperintense Signale
Differenzialdiagnosen
- reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom (RCVS): möglicher Auslöser, hohe Überschneidung beider Krankheitsbilder
- Schlaganfall im vertebrobasilären Stromgebiet: Er lässt sich kernspintomografisch abgrenzen – es wären in der DWI hyper- und in der ADC hypointense Signale zu erwarten.
- zerebrale Vaskulitis
- Enzephalitis unterschiedlicher Genese (z.B. viral oder autoimmun)
Therapie
Die Therapie sollte unter intensivmedizinischer Überwachung erfolgen. Im Vordergrund stehen:
- Kontrolle auslösender Faktoren
- Therapie zugrundeliegender Erkrankungen
- Absetzen auslösender Pharmaka und Noxen
- aggressive antihypertensive Therapie bei vorliegendem Hypertonus (hierunter oft rasche klinische Besserung)
- Antikonvulsiva bei epileptischen Anfällen
Literatur
- Anderson et al. Posterior Reversible Encephalopathy Syndrome (PRES): Pathophysiology and Neuro-Imaging, Front Neurol. 2020
- Neurology - Posterior reversible encephalopathy syndrome (PRES), abgerufen am 01.08.2022
- Ito et al. Cisplatin neurotoxicity presenting as reversible posterior leukoencephalopathy syndrome, AJNR Am J Neuroradiol, 1998
- Fugate et al. Posterior reversible encephalopathy syndrome: clinical and radiological manifestations, pathophysiology, and outstanding questions, The Lancet Neurology, 2015
- Raman et al. Various Imaging Manifestations of Posterior Reversible Encephalopathy Syndrome (PRES) on Magnetic Resonance Imaging (MRI), Pol J Radiol. 2017
- Staykov et al. Posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom, Der Nervenarzt, 2012
- UpToDate - Reversible posterior leukoencephalopathy syndrome, abgerufen am 02.08.2022
- Matthaei et al. Posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom, DGNeurologie, 2019
Quellen
- ↑ Staykov D, Schwab S.: "Posteriores Reversibles Encephalopathiesyndrom" Der Nervenarzt, 2012.
- ↑ Fischer, M., Schmutzhard, E.: "Das posteriore reversible Enzephalopathiesyndrom" Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin, 2016.