Non-Thyroidal-Illness-Syndrom
Synonyme: Euthyroid-Sick-Syndrom (ESS), Non–thyroidal illness (NTI), Thyroid allostasis in critical illness, tumors, uremia and starvation (TACITUS)
Englisch: Non-thyroidal illness syndrome
Definition
Das Non-Thyroidal-Illness-Syndrom, kurz NTIS bzw. TACITUS-Syndrom, ist eine charakteristische allostatische Konstellation des thyreotropen Regelkreises, die häufig in Hungerzuständen und bei schweren akuten oder chronischen Erkrankungen auftritt. Bei kritisch Kranken ist das Syndrom mit einer schlechteren Prognose assoziiert. In der klinischen Praxis bereitet es darüber hinaus oft differentialdiagnostische Probleme.
ICD10-Codes
- E07: Sonstige näher bezeichnete Krankheiten der Schilddrüse
- E07.8: Euthyroid-Sick-Syndrom
Allostatische Konstellation
Ein typisches NTIS ist durch drei Komponenten gekennzeichnet, die einzeln oder in Kombination auftreten können:
- eine zentrale Hypothyreose (thyreotrope Adaptation, Low-TSH-Syndrom),
- eine gestörte Bindung von Schilddrüsenhormonen an Plasmaproteine und
- eine verminderte Bildung von T3 bei gleichzeitig gesteigerter Konversion von T4 zu rT3 (Low-T3-Syndrom) und 3,5-T2.[1][2]
Weitere Komponenten bestehen in einer verminderten zellulären Wirkung von Iodothyroninen, gekennzeichnet durch
- gestörte Aufnahme von Schilddrüsenhormonen in die Zielzellen durch humane Iodothyronintransporter,
- verminderte Wirkung an Schilddrüsenhormonrezeptoren.
Allerdings lassen sich diese Teilkomponenten des Syndroms im klinischen Alltag nicht messen.
Seltene Verlaufsformen eines NTIS sind:
- ein Low-T4-Syndrom,
- ein Low-T3-low-T4-Syndrom,
- ein High-T4-Syndrom und
- ein High-T3-Syndrom
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des Non-Thyroidal-Illness-Syndroms ist bislang (2023) noch nicht hinreichend geklärt. Ursache für das Low-T3-Syndrom soll eine vermutlich im Rahmen von entzündlichen Prozessen durch verschiedene Botenstoffe (proinflammatorische Zytokine, Glucocorticoide und Stoffwechselmetabolite) vermittelte Verminderung der Konversion von T4 in T3 sein.
Darüber hinaus könnte die Dejodierung auch durch eine Leberparenchymschädigung im Rahmen der kritischen Grunderkrankungen und durch die Hemmung von Jodothyronin-Transmembrantransportern bedingt sein.
Die gestörte Plasmaproteinbindung könnte einerseits auf einer verminderten Proteinkonzentration, insbesondere als Folge eines Albuminmangels im Rahmen einer Leberparenchymschädigung, andererseits aber auch auf der Wirkung von Bindungsinhibitoren, wozu auch Medikamente wie Heparin, ASS oder Schleifendiuretika zählen, beruhen.
Die zentrale Komponente des NTIS ist möglicherweise ebenfalls multifaktoriell bedingt. Als ursächlich kommen beispielsweise endokrine Gründe wie ein verminderter Leptinspiegel und eine durch bakterielle Endotoxine vermittelte lokale Hyperdejodierung mit konsekutiv reduzierter TRH-Inkretion in Betracht.
Die vermehrte Bildung von rT3 im Rahmen eines TACITUS-Syndroms könnte auch der lokalen Akkumulation von Halogenen in Abwehrzellen, z.B. im Rahmen einer Sepsis, dienen. Tierexperimentelle Untersuchungen haben demonstriert, dass Schilddrüsenhormone als Substrat einer Typ-3-Dejodierung Jod für die Myeloperoxidase (MPO) in Granulozyten der Maus liefern. Mäuse, denen die Typ-3-Dejodinase fehlt, weisen einen Defekt in der Abwehr bakterieller Infektionen auf.
Diagnose
Die Diagnose eines NTIS und insbesondere die Differentialdiagnose zu anderen Funktionsstörungen des thyreotropen Regelkreises sind häufig erschwert:
Die basalen Hormonspiegel (TSH, fT4, fT3, falls gemessen auch TT4 und TT3) sind meist erniedrigt, allerdings gibt es einen großen Graubereich. rT3 ist üblicherweise erhöht, zuverlässige Assays sind aber selten verfügbar und die Bestimmung ist teuer.
Das Low-TSH-Syndrom und das Low-T4-Syndrom lassen sich durch einen geringen Anstieg des T4-Spiegels im TRH-Test nachweisen, allerdings ist der Test nicht ungefährlich, da gerade bei kritisch Kranken häufiger Hypophysenapoplexe auftreten können.
Therapie
Es ist nach wie vor umstritten, ob ein NTIS durch eine Substitutionstherapie mit Schilddrüsenhormonen behandelt werden soll.
Im Wesentlichen unterscheiden sich die Auffassungen dahin gehend, dass ein NTIS einerseits eine nützliche Adaptation des Organismus zur Einsparung von Energie, Reduktionsäquivalenten und Glutathion (Allostase) darstellen soll, und andererseits dass es sich um eine zentrale Hypothyreose handle, die einer Substitutionstherapie bedarf.
In Studien konnten durch eine Therapie mit Jodothyroninen Surrogatmarker wie das Herzzeitvolumen der Patienten verbessert werden, nicht jedoch das Überleben. Allerdings hatten alle Studien ein kleines Patientenvolumen, so dass die statistische Power möglicherweise nicht ausreichend war.
Prognose
Alle Komponenten eines NTIS sind mit einer signifikant schlechteren Prognose der betroffenen schwer kranken Patientinnen und Patienten assoziiert.
Literatur
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Quellen
- ↑ Dietrich JW, Müller P, Schiedat F, Schlömicher M, Strauch J, Chatzitomaris A, Klein HH, Mügge A, Köhrle J, Rijntjes E, Lehmphul I. Nonthyroidal Illness Syndrome in Cardiac Illness Involves Elevated Concentrations of 3,5-Diiodothyronine and Correlates with Atrial Remodeling. Eur Thyroid J. 2015 Jun;4(2):129-37. doi: 10.1159/000381543. Epub 2015 May 23. PMID 26279999
- ↑ Pinna G, Meinhold H, Hiedra L, Thoma R, Hoell T, Gräf KJ, Stoltenburg-Didinger G, Eravci M, Prengel H, Brödel O, Finke R, Baumgartner A. Elevated 3,5-diiodothyronine concentrations in the sera of patients with nonthyroidal illnesses and brain tumors. J Clin Endocrinol Metab. 1997 May;82(5):1535-42. PMID 9141546
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