Abhängigkeit
Synonyme: Sucht, Abhängigkeitserkrankung, Abhängigkeitssyndrom
Englisch: addiction
Definition
Nomenklatur
Abhängigkeit von bzw. Missbrauch einer Substanz kann, je nach Auswirkung auf den Konsumenten, ergänzende Bezeichnungen erhalten. Sie dienen der ersten Einschätzung des Ausmaßes der Abhängigkeit:
- unerlaubter Gebrauch: von der Gesellschaft nicht tolerierter Gebrauch/Missbrauch
- dysfunktionaler Gebrauch: Gebrauch/Missbrauch, durch den der Konsument psychischen oder sozialen Anforderungen nicht mehr gerecht wird
- gefährlicher Gebrauch: Gebrauch/Missbrauch mit möglicherweise schädlichen Folgen für den Konsumenten
- schädlicher Gebrauch: Gebrauch/Missbrauch infolge dessen bereits Schäden für den Konsumenten entstanden sind (zumeist im Sinne physischer Schädigungen)
Ursachen
Die Abhängigkeit basiert auf komplexen Abläufen des Gehirnstoffwechsels, bei denen Neurotransmitter, die der "Belohnung" des Gehirns dienen, eine wichtige Rolle spielen. Ihre Ausschüttung kann entweder direkt durch Drogen (z.B. Kokain) oder eine bestimmte Situation, die beim Individuum ein Glücksgefühl auslöst, beeinflusst werden. Demnach kann eine Abhängigkeit nicht nur von chemischen Substanzen, sondern auch von bestimmen Situationen bzw. Verhaltensmustern bestehen ("Adrenalin-Junkie", Spielsucht) .
Die Faktoren, die für eine Abhängigkeit disponieren, sind noch nicht vollständig erforscht. Genetische Faktoren und frühe Umwelteinflüsse scheinen jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Vulnerabilität bzw. Resilienz gegenüber Abhängigkeitserkrankungen haben.
Einteilung
...nach betroffenem System
Aus klinischer Sicht wird die Abhängigkeit unterteilt in:
- physische Abhängigkeit
- psychische Abhängigkeit
Die Grenzen zwischen beiden Formen sind jedoch fließend und basieren auf der Art, Dauer und Intensität der auslösenden Reize bzw. Drogen. Auch die psychische Abhängigkeit basiert letztlich auf stofflichen Anpassungsvorgängen wie z.B. der veränderten Produktion und Ausschüttung von Neurotransmittern. Sie kann sich durch die neuronale Plastizität auch dauerhaft morphologisch im ZNS niederschlagen.
Physische Abhängigkeit
Bei der physischen oder körperlichen Abhängigkeit hat sich der Körper durch den regelmäßigen Konsum der Droge an die Zufuhr der psychotropen Substanz angepasst. Er braucht sie schließlich für ein normales Funktionieren.
Nach DSM-V gelten Entzugserscheinungen und Toleranzentwicklung als Zeichen körperlicher Abhängigkeit. Da die Toleranzentwicklung jedoch bei fast allen Drogen auftritt, ist sie zwar ein notwendiges, aber kein hinreichendes Merkmal einer körperlichen Abhängigkeit. Körperliche Entzugssymptome wie Zittern, Schweißausbrüche, Unruhe oder Magenkrämpfe gelten dagegen als weitgehend sichere Zeichen.
Eine körperliche Abhängigkeit ist im Vergleich zur psychischen deutlich einfacher zu behandeln. Auch wenn die Überwindung sehr belastend und schmerzhaft ist, kann sie je nach Substanz binnen weniger Wochen erreicht sein.
Typische Substanzen, die - teils schon nach kurzem Konsum - eine körperliche Abhängigkeit hervorrufen, sind Benzodiazepine und Morphin-Derivate wie Heroin. Bei längerem Gebrauch können auch Genussmittel wie Alkohol und Nikotin zu einer Abhängigkeit führen.
Psychische Abhängigkeit
Die psychische Abhängigkeit besteht in einem unwiderstehlichen und nicht mehr kontrollierbaren Verlangen nach erneuter Einnahme der Droge (craving). Die Gedanken des psychisch Abhängigen sind ständig auf die Droge und ihre Beschaffung fokussiert. Bei Unterlassen des Konsums treten keine körperliche Entzugserscheinungen i. e. S. auf, der Betroffene fühlt sich aber zunehmend unwohl, depressiv oder leidet an Angstzuständen. Weitere Zeichen sind Stimmungsabfall, Gereiztheit und Aggressivität, die Vernachlässigung anderer Interessen und das Fortsetzen des Konsums wider besseres Wissen.
Daher sind Therapie und Überwindung einer psychischen Abhängigkeit meist deutlich aufwendiger als bei körperlicher Abhängigkeit. Oft ist eine psychische Abhängigkeit praktisch nicht reversibel.
Prinzipiell führen fast alle Drogen nach längerem Konsum in eine psychische Abhängigkeit. Typische Drogen, die praktisch ausschließlich psychisch abhängig machen sind Amphetamine, Kokain und mit geringem Potenzial auch Cannabis.
...nach Stimulus
Abhängigkeit kann nicht nur durch psychotrope Substanzen, sondern auch durch substanzungebundene Reize ausgelöst werden. Dementsprechend differenziert man:
- Substanzgebundene Abhängigkeit ("Abhängigkeitssyndrom durch psychotrope Substanzen")
- Substanzungebundene Abhängigkeit ("Nichtstoffliche Abhängigkeit")
Weitere Varianten sind der in der ICD10-Klasse F55 erfasste "Schädliche Gebrauch von körperlich nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen" (Beispiel: Medikamentenabhängigkeit von Laxantien oder Analgetika) und die so genannte Co-Abhängigkeit, wenn Bezugspersonen die substanzgebundene Abhängigkeit einer Person verstärken.
...nach Noxe
Symptome
Zu den typischen Symptomen der Abhängigkeit gehören:
- Toleranzsteigerung
- Kontrollverlust
- Kontinuierliche Dosiserhöhung
- Körperliche Entzugssymptome beim Absetzen
- Negative Auswirkungen durch das Abhängigkeitsverhalten
Diagnostik
Die Diagnose einer Substanzabhängigkeit im Sinne des ICD10 kann gestellt werden, wenn drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig während der letzten zwölf Monate erfüllt waren:
- Körperliches Entzugssyndrom
- Toleranzentwicklung gegenüber den Substanzeffekten
- Starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren
- Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d.h. über Beginn, Beendigung oder die Menge des Konsums
- Einengung auf den Substanzgebrauch
- Anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen
um diese Funktion zu nutzen.