Fetales Varizellensyndrom
Synonyme: kongenitales Varizellensyndrom, kongenitales Varicella-Syndrom, konnatales Varizellensyndrom, Varizellen-Embryofetopathie
Englisch: congenital varicella syndrome
Definition
Das fetale Varizellensyndrom, kurz FVS, ist eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation einer Primärinfektion mit dem Varizella-Zoster-Virus (Windpocken) während der Schwangerschaft. Die Folge sind Fehlbildungen des Embryos bzw. Feten. Ein Risiko besteht insbesondere im ersten und zweiten Trimenon (ca. bis zur 25. SSW).
Epidemiologie
Aufgrund der hohen Durchseuchungsrate in der Bevölkerung und Einführung der Varizellen-Schutzimpfung ist die Anzahl der Frauen im gebärfähigen Alter ohne Immunität sehr gering.
Ätiologie
Im Rahmen der Erstinfektion mit VZV kommt es zu einer Virämie, die in 25 % der Fälle zu einer transplazentaren Infektion des Ungeborenen führt. Diskutiert wird auch die Möglichkeit einer aszendierenden Infektion über die Cervix uteri. Der überwiegende Teil dieser intrauterinen Infektionen verläuft asymptomatisch, jede achte bis neunte verursacht jedoch eine Embryo- bzw. Fetopathie. Sie zeichnet unter anderem durch entzündliche Veränderungen des Zentralnervensystems aus.
Einige Autoren unterstützen die Hypothese, dass die fetalen Symptome nicht direkt durch die intrauterinen Varizellen als Primärmanifestation zustandekommen, sondern die Folge einer fetalen Virusreaktivierung sind. Unterstützt wir dieses Erklärungsmodell durch das Erkrankungsmuster, da beispielsweise die Hautveränderungen dermatombezogen im Sinne eines "fetalen Zosters" auftreten.
Eine mütterliche VZV-Reaktivierung als Zoster stellt kein Risiko für den Feten dar, da sie nicht zu einer Virämie führt.
Symptome
Die Ausprägung des Krankheitsbildes ist sehr variabel. Folgende Fehlbildungen und Komplikationen können auftreten:
- Segmental angeordnete Hautveränderungen:
- Neurologische Schäden:
- Augenschäden:
- Skelettanomalien
- Abort (selten)
Diagnostik
Mutter
- Klinik: Typisches Exanthem (Windpocken)
- Labor: VZV-DNA, VZV-Antikörper
Kind
- Engmaschige sonographische Kontrolle (SSW 21-23), bei Auffälligkeiten ggf. Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie zum Nachweis von VZV-DNA
- Klinisches Bild des Neugeborenen postpartal
Therapie
Eine Therapie der intrauterinen Infektion steht aktuell (2021) nicht zur Verfügung. Daher kommt der Prophylaxe eine besonders wichtige Bedeutung zu. Eine antivirale Therapie der Schwangeren kann erwogen werden.
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe
Schwangere Frauen ohne Immunität (Impfung oder durchgemachte Erstinfektion) oder mit unbekanntem Immunstatus sollten jeden Kontakt zu an Varizellen erkrankten Personen meiden. Dazu gehören ggf. auch ganze Einrichtungen (z.B. Kindergärten), wenn dort Windpocken-Fälle bekannt sind. Auch Personen mit einem Zoster stellen ein Infektionsrisiko für Schwangere dar.
Aktive Immunisierung
Seit 2004 empfiehlt die STIKO die Varizellen-Schutzimpfung für alle Kinder und Jugendlichen sowie als Indikationsimpfung u.a. für seronegative Frauen mit Kinderwunsch.
siehe auch: Varizella-Zoster-Virus
Passive Immunisierung
Hat ein Kontakt mit einer erkrankten Person stattgefunden, ist eine passive Immunisierung als postexpositionelle Prophylaxe für schwangere Frauen immer dann indiziert, wenn kein sicherer Immunschutz vorliegt. Empfohlen ist die Gabe von Varicella-Zoster-Immunglobulin (VZIG) im besten Fall so schnell wie möglich nach dem Kontakt, spätestens aber innerhalb der ersten 96 Stunden.
Literatur
- Sauerbrei et al.: The congenital varicella syndrome, J Perinatol, 2000
- RKI-Ratgeber Varizellen und Zoster, Stand 2017
- S2k-Leitlinie Labordiagnostik schwangerschafts-relevanter Virusinfektionen, 2014
- Kunze, Müller. Wiedemanns Atlas klinischer Syndrome. 6. Auflage, 2010