Cushing-Syndrom
nach dem US-amerikanischen Neurochirurgen Harvey Williams Cushing (1869-1939)
Synonym: Hypercortisolismus
Englisch: Cushing's syndrome, hypercorticism, endogenous pathologic hypercortisolism
Definition
Das Cushing-Syndrom ist eine Stoffwechselerkrankung, die durch ein Überangebot von Glukokortikoiden (z.B. Cortisol) verursacht wird.
- ICD10-Code: E24.-
Nomenklatur
Von Cushing wurden noch weitere Formen des Hypercortisolismus als Cushing-Syndrom Typ II und Typ III beschrieben. Diese historischen Begriffe spielen in der heutigen Terminologie keine Rolle mehr.
Ursachen
Exogen
Die häufigste Ursache ist die iatrogene Langzeittherapie mit Glukokortikoiden, die zusätzlich eine Atrophie der Nebennierenrinde und damit eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz auslösen kann. Auch eine ACTH-Gabe, zum Beispiel im Rahmen einer Epilepsiebehandlung, kann ein exogenes Cushing-Syndrom auslösen.
Endogen
Das endogene Cushing-Syndrom entsteht durch erhöhte Sekretion von Cortisol oder ACTH. Es lässt sich daher wie folgt klassifizieren:[1]
- ACTH-abhängig (Adrenocorticotropes Hormon, ca. 85 % der endogenen Fälle):
- Zentrales Cushing-Syndrom (Morbus Cushing): Erhöhte Produktion von ACTH im Hypophysenvorderlappen (z.B. Hypophysenadenom) mit konsekutiv vermehrter Kortikoidfreisetzung aus der Nebennierenrinde
- Ektopes (paraneoplastisches) Cushing-Syndrom: Bildung von ACTH bzw. CRH (Corticotropin-releasing-Hormon) in ektopem Gewebe, beispielsweise im Rahmen eines Bronchialkarzinoms.
- ACTH-unabhängig (ca. 15 % der endogenen Fälle):
- Adrenales Cushing-Syndrom: Gesteigerte Sekretion von Gluko- oder Mineralokortikoiden aus der Nebennierenrinde im Zuge von Neoplasien (Adenome oder Karzinome) (seltener nodulär-adrenale Hyperplasie) mit konsekutiv supprimierter ACTH-Ausschüttung aus dem Hypophysenvorderlappen
- Hypothalamisch-hypophysäres Cushing-Syndrom: Störungen der hypothalamisch-hypophysären Regulation
Epidemiologie
Die Angaben zur Häufigkeit des endogenen Cushing-Syndroms sind uneinheitlich. Die Inzidenz wird mit 2–10 Fällen pro 1 Million Einwohner und Jahr angeben. Damit handelt es sich um eine eher seltene Erkrankung. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Etwa 70 % der Erkrankten sind Frauen, ca. 30 % Männer.
Genaue Angaben zur Inzidenz des exogenen Cushing-Syndroms fehlen. Da in Industrieländern aber etwa 1 % der Bevölkerung unter langandauernder Glukokortikoid-Medikation steht, ist gegenüber der endogenen Form mit einem deutlich höheren Auftreten zu rechnen.
Symptomatik
Die Symptome des Cushing-Syndroms sind durch die verstärkte hormonelle Wirkung der Kortikoide auf die Zielgewebe bedingt. Das klinische Bild des endogenen Cushing-Syndroms ist sehr variabel und hängt u.a. von der Dauer und Schwere der Erkrankung sowie vom Geschlecht und Manifestationsalter ab, was die Diagnosestellung häufig erschwert.
- Vollmondgesicht mit Plethora
- Stammfettsucht
- Wachstumsminderung bei Kindern
- Diabetische Stoffwechsellage mit gestörter Glukosetoleranz und Dyslipidämie (Erhöhung der Glukosekonzentration via Gluconeogenese, Steroiddiabetes)
- Hypertonie (mineralkortikoide Wirkung; vermehrte Natrium- und Wasserretention, vermehrte Kalium-Sekretion), selten Hypokaliämie
- Hypogonadismus: Potenzminderung (bei Männern); Zyklusstörungen, Amenorrhö und Infertilität (bei Frauen)
- Haut: Atrophie (Pergamenthaut), Striae distensae, Purpura, Striae rubrae, Hämatome, Akne, Hirsutismus (androgenartige Wirkung)
- Bewegungsapparat: Muskelschwäche und -atrophie, Osteoporose, Frakturen (als Substrat für die Gluconeogenese werden Aminosäuren aus z.B. Muskel und Knochen verwendet)
- Opportunistische Infektionen
- Verzögerte Wundheilung
- Fettleber
- Knöchelödeme
- Metabolische Alkalose
- Psyche: Depression, emotionale Labilität
Diagnostik
Allgemeine Diagnostik
- Medikamentenanamnese: Bei Verdacht auf iatrogenes, exogenes Cushing-Syndrom ist die Diagnose anhand der Medikamentenanamnese leicht zu stellen.
- Körperliche Untersuchung mit Hautinspektion
- Blutdruckkontrolle
- Gewichtskontrolle
Labor
- Leukozytose (durch Mobilisation der Leukozyten aus dem Knochenmark)
- Hyperglykämie
- Hypercholesterinämie, Hypertriglyzeridämie
- Hypokaliämie
- Hypernatriämie
- Hypervolämie
Endokrinologische Diagnostik
Ausschlussdiagnostik
- Cortisolausscheidung im 24-h-Urin (bei Cushing-Syndrom deutlich erhöht)
- Cortisol-Tagesprofil aus Blut und Speichel um 8, 20 und 24 Uhr (-> Typisch für das Cushing-Syndrom ist das Fehlen eines Cortisolabfalls in der ersten Nachthälfte. Ein Plasmakortisol-Spiegel von weniger als 1,8 μg/dl (50 nmol/l) um 24 Uhr schließt ein Cushing-Syndrom aus)
- Dexamethason-Kurztest
Differentialdiagnostik
Sie dient zur weiteren Differenzierung bei gesichertem Cushing-Syndrom.
- ACTH-Plasmapiegel: ACTH-Werte < 5 pg/ml (1.1 pmol/l) sprechen für ein ACTH-unabhängiges, ACTH-Werte > 20 pg/ml (4.4 pmol/l) für ein ACTH-abhängiges Cushing-Syndrom.
- CRH-Test
- Dexamethason-Langtest (Liddle-Test): Unterscheidung zwischen ektoper ACTH-Produktion und Cushing-Krankheit
Weitere Verfahren
- Insulin-Hypoglykämie-Test
- Desmopressin-Test: zur Differenzierung zwischen Cushing-Syndrom und Pseudo-Cushing
- Inferior Petrosal Sinus Sampling (IPSS): Katheterisierung des Sinus petrosus inferior zur Messung des ACTH-Spiegels mit gleichzeitiger ACTH-Messung in der Peripherie nach Stimulation mit CRH oder Desmopressin.
- Sinus-cavernosus-Katheterisierung (CSS): Wie IPSS, nur mit Katheterisierung des Sinus cavernosus
Bildgebung
- Darstellung der Nebennieren beziehungsweise der Hypophyse (Sonographie, CT, MRT). Ein Mikroadenom als Ursache des zentralen Cushing-Syndroms kann neuroradiologisch oft nicht detektiert werden.
Differentialdiagnosen
- Madelung-Syndrom
- Adipositas
- Pseudo-Cushing-Syndrom
- Inzidentalome der Nebenniere
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Ursache des Cushing-Syndroms: Adenome der Hypophyse oder der Nebennieren werden operativ entfernt. Bleibt die OP erfolglos oder bestehen Kontraindikationen, kann man die Hypophyse bestrahlen. Bei inoperablen Hypophysenadenomen kann die ACTH-Freisetzung medikamentös mit Pasireotid gehemmt werden. Die Therapie der Wahl bei einer Nebennierenrinden-Hyperplasie ist die Adrenalektomie und eine sich anschließende lebenslange Hormonsubstitution zur Vermeidung eines Addison-Syndroms.
Beim ektopen paraneoplastischen Syndrom oder bei inoperablem Nebennierenkarzinom kann man versuchen, die Cortisolsynthese medikamentös zu blockieren, z.B. mit adrenostatischen Wirkstoffen wie Ketoconazol, Aminoglutethimid, Mitotan oder Metyrapon. Alternativ kommen Antagonisten am Glukokortikoidrezeptor wie Mifepriston zum Einsatz.
Beim iatrogenen Cushing-Syndrom sollte die eingenommene Glukokortikoidmenge reduziert werden, sofern es die Grunderkrankung zulässt (7,5 mg Prednisolonäquivalent pro Tag gilt als Cushing-Schwellendosis).
Pseudo-Cushing-Syndrom
Ein Pseudo-Cushing-Syndrom (Cushingoid) kommt bei Alkoholismus, Depression, Angststörungen oder nach einem Schädelhirntrauma vor. Beim Pseudo-Cushing fehlt meist Muskelschwäche, während üblicherweise und typisch ein mitternächtliches Tief des Cortisolspiegels nachweisbar ist. Beim Pseudo-Cushing-Syndrom besteht die Therapie in der Behandlung der ursächlichen Gesundheitsstörung (z.B. des Alkoholismus). Eine weitere Bezeichnung für das Pseudo-Cushing-Syndrom ist non-neoplastic hypercortisolism.
Podcast
Quellen
- ↑ Susmeeta T Sharma, Lynnette K Nieman and Richard A Feelders: Cushing’s syndrome: epidemiology and developments in disease management. Clin Epidemiol. 2015; 7: 281–293. Published online 2015 Apr 17. doi: 10.2147/CLEP.S44336 PMCID: PMC4407747
Literatur
- Findling JW, Raff H: DIAGNOSIS OF ENDOCRINE DISEASE: Differentiation of pathologic/neoplastic hypercortisolism (Cushing's syndrome) from physiologic/non-neoplastic hypercortisolism (formerly known as pseudo-Cushing's syndrome). Eur J Endocrinol. 2017 May;176(5):R205-R216. doi: 10.1530/EJE-16-0946.
- Raff H, Carroll T: Cushing's syndrome: from physiological principles to diagnosis and clinical care. J Physiol. 2015 Feb 1;593(3):493-506. doi: 10.1113/jphysiol.2014.282871.
- Nieman LK: Update on subclinical Cushing's syndrome. Curr Opin Endocrinol Diabetes Obes. 2015 Jun;22(3):180-4. doi: 10.1097/MED.0000000000000159.
- Piper W: Innere Medizin. 2. Auflage, 2012. Springer Verlag
- Herold G, Innere Medizin, 2016, Gerd Herold Verlag
Bildquelle
- Bildquelle Podcast: ©Kamran Chaudhry / Unsplash