Aorteninsuffizienz
Synonyme: Aortenklappeninsuffizienz, AKI
Englisch: aortic regurgitation
Definition
Die Aorteninsuffizienz, kurz AI, ist ein Herzklappenfehler, bei dem in der Diastole ein pathologischer Blutrückfluss (Regurgitation) aus der Aorta in den linken Ventrikel des Herzens besteht. Eine Aorteninsuffizienz kann akut auftreten oder chronisch bestehen.
Ätiologie
Die akute Aorteninsuffizienz entsteht oft aufgrund einer direkten Klappenschädigung bei einer bakteriellen Endokarditis. Weitere mögliche Ursachen sind Traumata oder eine Aortendissektion Typ Stanford A.
Zu den erworbenen Ursachen für die chronische Aorteninsuffizienz gehört die degenerative Dilatation der Aortenwurzel bzw. der Aorta ascendens – beispielsweise bei Arteriosklerose, beim Marfan-Syndrom oder beim Ehlers-Danlos-Syndrom. Des Weiteren tritt sie auch postinfektiös auf, u.a. als mögliche Folge des rheumatischen Fiebers oder einer Syphilis. Die chronische Aorteninsuffizienz kann zudem auch aufgrund einer bikuspiden Anlage der Aortenklappe als kongenitaler Herzklappenfehler auftreten.
Bei Kindern ist die häufigste Ursache einer chronischen Aorteninsuffizienz ein Ventrikelseptumdefekt mit Prolaps der Aortenklappe.
Pathophysiologie
Bei einem Rückfluss von mehr als 15 % der Ejektionsfraktion, besteht eine relevante Aorteninsuffizienz. Es resultiert eine chronische Volumenbelastung des linken Ventrikels (Linksherzbelastung).
Infolge der Volumenbelastung entsteht eine exzentrische Hypertrophie des linken Ventrikels. Die zunehmende Dilatation des linken Ventrikels führt zur Herzinsuffizienz.
Der Sauerstoffbedarf des hypertrophen und dilatierten Ventrikels ist höher, der Perfusionsdruck der Koronararterien herabgesenkt. Dadurch kommt es zu einer relativen Mangelversorgung des Myokards mit Sauerstoff.
Das Ausmaß einer Aortenklappeninsuffizienz wird bestimmt/gesteigert durch:
- die Größe des Klappendefekts bzw. der Rückflußfläche
- einen erhöhten peripheren Widerstand (das Pumpen gegen höheren Widerstand bedingt höhergradigen Rückfluss)
- eine längere Dauer der Diastole (bei Bradykardie)
Klinik
Eine akute Aortenklappeninsuffizienz äußert sich in einer dekompensierten Linksherzinsuffizienz mit den Symptomen Dyspnoe und Leistungsknick. Außerdem kommt es zu einem Lungenödem, in schweren Fällen zu einem kardiogenen Schock.
Die klinische Symptomatik einer chronischen Aorteninsuffizienz tritt erst in späteren Stadien der Erkrankung in den Vordergrund. Es sollte möglichst bereits vor der Entwicklung von Symptomen therapeutisch eingegriffen werden.
Mögliche Symptome sind:
- verminderte Leistungsfähigkeit
- Palpitationen
- Angina pectoris
- ggf. Synkopen
- Belastungsdyspnoe (beginnende kardiale Dekompensation)
Bei fortgeschrittener Erkrankung kann ein systolisches Schwirren über den Karotiden oder der Herzspitze tastbar werden. Es wird durch das hohe Schlagvolumen bei niedrigem diastolischen Aortendruck verursacht.
Weitere mögliche klinische Zeichen ergeben sich aus den pulssynchronen Pulsationen verschiedener Organe:
- Corrigan-Zeichen: Pulsation der Karotiden
- Musset-Zeichen: pulssynchrones Kopfnicken
- Quincke-Zeichen: Pulsation der Kapillaren im Nagelbett
- Becker-Zeichen: Pulsation der Retinaarterien
- Rosenbach-Zeichen: Pulsation der Leber
- Gerhard-Zeichen: Pulsation der Milz
- Müller-Zeichen: Pulsation der Uvula
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
Die Verdachtsdiagnose ergibt sich aus dem Auskultationsbefund des Herzens. Die Aorteninsuffizienz imponiert durch ein diastolisches Decrescendo-Herzgeräusch mit Punctum maximum über dem Erb-Punkt. Das Herzgeräusch ist in der Regel beim vornüber gebeugt sitzenden Patienten am besten zu hören. Des Weiteren kann bei einer schweren Aorteninsuffizienz ein Austin-Flint-Geräusch auskultiert werden.
Audiodatei freundlicherweise zur Verfügung gestellt von 3M Littmann
Zusätzlich finden sich bei der klinischen Untersuchung ein niedriger diastolischer Blutdruck, eine hohe Blutdruckamplitude und ein sogenannter Pulsus celer et altus (Wasserhammerpuls). Bei schwerer Aorteninsuffizienz können zusätzlich ein Quincke-Zeichen (Kapillarpuls), Musset-Zeichen (pulssynchrones Kopfnicken), Corrigan-Zeichen (sichtbarer Puls der Arteria carotis communis) oder ein Müller-Zeichen (sichtbarer Kapillarpuls der Uvula) auftreten.
Apparative Diagnostik
- EKG: Elektrokardiographisch erkennt man Zeichen der Linksherzhypertrophie sowie eine Betonung der Q-Zacken.
- Echo: Die wichtigste Untersuchung zur Sicherung der Diagnose ist die Echokardiographie. Sie dient der Quantifizierung des diastolischen Rückflusses, der Bestimmung der Druckhalbwertszeit sowie der Beurteilung der Klappenmorphologie.
- Bildgebung: Im Röntgen-Thorax zeigt sich eine Vergrößerung des linken Ventrikels mit aortaler Konfiguration und einer Elongation der Aorta. Mittels Herzkatheteruntersuchung lässt sich der Blutrückfluss quantifizieren. Außerdem können die Koronararterien und die ventrikuläre Funktion beurteilt werden.
Schweregrad
Im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung kann das Ausmaß des diastolischen Rückflusses zur Stadieneinteilung einer Aorteninsuffizienz herangezogen werden:
- Grad I: Es besteht eine minimale Regurgitation. Der linke Ventrikel kontrastiert sich zu keiner Zeit komplett. Die Regurgitationsfraktion liegt bei unter 20 %.
- Grad II: Die Regurgitationsfraktion liegt zwischen 20 und 40 %. Der Ventrikel kontrastiert sich nach einigen Herzaktionen komplett. Die Kontrastmitteldichte im Ventrikel ist jedoch geringer als in der Aorta ascendens.
- Grad III: Die Kontrastmitteldichte in Aorta ascendens und linkem Ventrikel ist gleich. Die Regurgitationsfraktion beträgt 40 bis 60 %.
- Grad IV: Die Regurgitationsfraktion übersteigt 60 %. Die Kontrastmitteldichte im Ventrikel ist höher als in der Aorta ascendens.
Therapie
Die Therapie der Aorteninsuffizienz kann in frühen Stadien medikamentös erfolgen. Geeignet sind vor allem Vasodilatatoren um die Nachlast zu senken (z.B. ACE-Hemmer).
Der optimale Zeitpunkt für eine Operation ist Gegenstand kontroverser Diskussionen. Weitgehender Konsens besteht darin, dass eine Operationsindikation bei auftretender Symptomatik gegeben ist. Weitere im Allgemeinen anerkannte Operationsindikationen sind:
- Verschlechterung der linkventrikulären Funktion (z.B. fehlender Anstieg der Ejektionsfraktion unter Belastung oder eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion ≤ 50 % in Ruhe)
- Ein maximaler Durchmesser der Aorta ascendens ≥ 55 mm (≥ 50 mm beim Marfan-Syndrom)
Gängige chirurgische Verfahren umfassen den Aortenklappenersatz durch Einsatz einer Klappenprothese oder eines pulmonalen Autografts (Ross-Operation) sowie die Aortenklappenrekonstruktion.
Patienten in frühen Stadien sollten zur Verlaufskontrolle engmaschig einer Echokardiographie unterzogen werden.
Prognose
Ohne Operation versterben Patienten nach Stellung der Operationsindikation nach durchschnittlich vier Jahren an den Folgen einer dekompensierten Herzinsuffizienz. Eine zeitgerechte Operation verbessert die Prognose erheblich.
Bildquelle
- Bildquelle Auskultationsgeräusch: ©Pavel Danilyuk/Pexels