Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation
Synonym: "Kreidezähne" (Trivialausdruck)
Englisch: molar incisor hypomineralization
Definition
Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation, kurz MIH, ist eine Zahnentwicklungsstörung mit Schmelzdefekten, welche vor allem die 1. Molaren und die Schneidezähne betrifft. Der Zahnschmelz der betroffenen Zähne ist nicht ausreichend mineralisiert und hat eine deutlich erhöhte Kariesanfälligkeit.
Epidemiologie
Ursache
Die Ursache ist weitgehend unklar. Vermutet wird ein multifaktorielles Geschehen, das während des Zeitraums der Zahnentwicklung der befallenen Zähne stattfindet - etwa vom 8. Schwangerschaftsmonat bis zum 4. Lebensjahr. Aufgrund des relativ großen Zeitfensters können beide Dentitionen, d.h. die Milchzähne als auch die bleibenden Zähne betroffen sein. Dabei werden folgende Einflussfaktoren diskutiert:[2]
- pränatale Faktoren, wie maternaler Stress oder Infektionen der Mutter
- niedriges Geburtsgewicht
- chronische Erkrankungen des Kindes (vor allem Atemwegserkrankungen)
- Medikamente (z.B. Antibiotika)
- Vitamin-D-Mangel
- Umwelttoxine (vor allem Kunststoffbestandteile, wie Bisphenol A, Dioxin)
Symptome
Die Veränderungen sind primär an den ersten Molaren (16, 26, 36, 46) und/oder den Schneidezähnen (Inzisivi) aufzufinden. Anfangs bestehen scharf vom gesunden Zahnschmelz abgegrenzte Opazitäten ("Flecken"), deren Farbe von weiß bis gelblich-braun variiert. Je dunkler die Opazität, desto geringer ist die Mineralisierung. Die Läsionen sind normalerweise asymmetrisch verteilt und sparen das zervikale Schmelzdrittel aus.
Nach dem Zahndurchbruch kommt es unter Einwirkung des Kaudrucks durch Infraktionen rasch zur Bildung von größeren, irregulär geformten, scharfrandigen Schmelzdefekten. Im schwach mineralisierten Schmelz breiten sich leicht Kariesherde aus.
Die von der MIH betroffenen Zähne sind oft überempfindlich, so dass das Trinken von kalten Getränken oder sogar das Zähneputzen für die Patienten sehr schmerzhaft sind.
Diagnose
Die Diagnose ist eine Blickdiagnose unter Hinzuziehung der Anamnese durch den Zahnarzt. Auch atypische Restaurationen der ersten Molaren oder ein fehlender 6-Jahres-Molar können Anzeichen für eine MIH sein. Abzugrenzen ist die MIH von einer Karies, wobei die von MIH betroffenen Zähne sehr kariesanfällig sind und es dadurch schnell zu einer Überlagerung der beiden Erkrankungen kommen kann.
Differentialdiagnose
Einteilung
Zur Einteilung der MIH werden verschiedene Klassifikationen vorgeschlagen - unter anderem der 2017 vorgestellte MIH-Treatment Need Index (MIH-TNI) des "Würzburger MIH-Konzeptes"[3] und die Einteilung nach Wetzel und Reckel.
MIH-TNI
Index | Klinik |
---|---|
0 | keine MIH, klinisch gesund |
1 | MIH ohne Hypersensibilität und ohne Substanzdefekte |
2 | MIH mit Substanzdefekt (je nach Ausdehnung des Defektes Untereinteilung in 2a, b und c) |
2a 2b 2c |
Substanzdefekt < 1/3 des Zahnes Substanzdefekt > 1/3 und < 2/3 des Zahnes Substanzdefekt > 2/3 des Zahnes |
3 | MIH mit Hypersensibilität |
4 | MIH mit Substanzdefekt und Hypersensibilität. (je nach Ausdehnung des Defektes Untereinteilung in 4a, b und c). |
MIH-Schweregrade nach Wetzel und Reckel
Grad | Beschreibung |
---|---|
I | Einzelne cremefarbene bis braune Areale an Kauflächen/Höckerspitzen bzw. Teilen der vestibulären Fläche bei erhaltener Zahnmorphologie |
II | Überwiegend gelb-brauner Zahnschmelz, hypomineralisierte Bereiche über die Okklusalfläche hinaus; erhöhte Gefahr für Schmelzfrakturen; gesteigerte Empfindlichkeit der betroffenen Zähne |
III | Große gelb-braune Areale im gesamten Zahnbereich mit Kronendefekten und starken Schmelzverlusten; hohe Empfindlichkeit der Zähne. |
Therapie
Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung und dem Alter des Patienten. Die Therapieplanung sollte dabei auf dem MIH-TNI basieren. Bei leichtem Befall kann eine intensive Prophylaxe (engmaschige Kontrollen, professionelle Zahnreinigung, Fluoridierung) und ein Sealing der Zähne (Überziehen der betroffenen Zähne mit speziellen Schutzlacken) ausreichen.
Zahndefekte müssen entsprechend restauriert werden. Hier können Restaurationen mit Glasionomerzementen (GIZ), Kompositen oder vorkonfektionierten Stahlkronen als vorübergehende Lösung gewählt werden, um den Zahn endgültig prothetisch zu versorgen, wenn der Patient ausgewachsen ist.
Alternativ kommt bei der Versorgung von Milchzähnen auch die Hall-Technik zum Einsatz. Hierbei wird die Karies nicht entfernt, sondern durch den luftdichten Verschluss mit einer Stahlkrone die Sauerstoffzufuhr der aeroben Karieserreger unterbunden. Dadurch verhindert man ein weitere Ausbreitung der Karies.
In fortgeschrittenen Fällen ist manchmal die Extraktion des Zahnes unumgänglich. In die Behandlungsplanung sollte ein Kieferorthopäde einbezogen werden, um einen späteren Lückenschluss zu ermöglichen.[4]
Quellen
- ↑ Global burden of molar incisor hypomineralization. Schwendicke F, Elhennawy K, Reda S, Bekes K, Manton DJ, Krois J. J Dent. 2018 Jan;68:10-18. doi: 10.1016/j.jdent.2017.12.002. Epub 2017 Dec 6. Review. Erratum in: J Dent. 2019 Jan;80:89-92
- ↑ Zahnärztekammer Nordrhein [1]
- ↑ The Würzburg MIH concept: the MIH treatment need index (MIH TNI) : A new index to assess and plan treatment in patients with molar incisior hypomineralisation (MIH).Steffen R, Krämer N, Bekes K.Eur Arch Paediatr Dent. 2017 Oct;18(5):355-361. doi: 10.1007/s40368-017-0301-0. Epub 2017 Sep 14.
- ↑ Dentista 12 (2018), Nr. 3 (22.08.2018) FOKUS, Seite 12-14 Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation: Das rätselhafte Bröckeln
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