Samenleiteraplasie
Synonyme: kongenitale Aplasie des Vas deferens, CAVD
Englisch: congenital aplasia of vas deferens
Definition
Unter einer Samenleiteraplasie, kurz CAVD, versteht man eine angeborene Nichtanlage (Aplasie) eines oder beider Samenleiter.
ICD-10 Codes
- Q55.3 Atresie des Ductus deferens
- Q55.4 (Sonstige angeborene Fehlbildungen des Ductus deferens, des Nebenhodens, der Vesiculae seminales und der Prostata)
Hintergrund
Der Samenleiter ist ein Teil des männlichen Genitaltrakts. Er wird auch als Ductus deferens oder Vas deferens bezeichnet. Es handelt sich um einen etwa 50 cm langen, dünnen Muskelschlauch, der durch peristaltische Bewegungen die Spermien aus dem Ductus epididymidis in den Ductus ejaculatorius weiterleitet.
Einteilung
Eine Samenleiteraplasie kann ein- oder beidseitig vorliegen. Entsprechend unterscheidet man:
- kongenitale unilaterale Aplasie des Vas deferens (CUAVD)
- kongenitale bilaterale Aplasie des Vas deferens (CBAVD)
Das Vas deferens kann dabei komplett fehlen oder rudimentär vorliegen.[1]
Assoziationen
Eine Samenleiteraplasie kann isoliert oder in Verbindung mit anderen Fehlbildungen des Harntrakts oder der Niere auftreten. Auch ein Fehlen der Samenblasen ist möglich.
Epidemiologie
Die Prävalenz der isolierten CUAVD ist aufgrund der fehlenden Symptomatik schwer abzuschätzen.
Eine CBAVD ist mit einer obstruktiven Azoospermie und damit auch mit einer Infertilität verbunden. Die Prävalenz wird mit 1 bis 5 Fällen auf 10.000 Männer angegeben. Die Vererbung erfolgt autosomal-rezessiv oder X-chromosomal. In etwa 3 % der Azoospermiefälle ist eine CBAVD ursächlich.
Ätiologie
Bei einer CAVD liegen in etwa 75 bis 90 % der Fälle verschiedene Mutationen des CFTR-Gens auf Chromosom 7 an Genlokus 7q31.2 vor. Die CAVD kann dabei als isoliertes Symptom oder als Teilmanifestation einer Mukoviszidose auftreten. Bei einer manifesten Mukoviszidose zeigt sich fast immer auch ein angeborenes Fehlen der Derivate des Wolff-Gangs. Anderseits ist eine sonst typische Manifestation der zystischen Fibrose bei einer sogenannten CFTR-RD ("'CFTR-related disorder") nicht obligat.
Wie eine CFTR-Mutation zum Fehlen des Samenleiters führt, ist derzeit (2023) noch unklar. Sowohl eine Entwicklungsstörung als auch frühzeitige degenerative Prozesse sind denkbar. Typisch für die CBAVD ist eine zugrunde liegende Compound-Heterozygotie – meist eine Kombination aus einer "schwerwiegenden" und einer "milden" CFTR-Variante.
Bei Patienten mit assoziierten Nierenanomalien sind hingegen fast nie CFTR-Mutationen nachweisbar. Hier spielen offenbar andere genetische Ursachen eine Rolle. Weitere nachgewiesene Ursachen sind Mutationen des ADGRG2-Gens auf dem X-Chromosom.
Diagnostik
Erste Hinweise ergeben sich aus dem Spermiogramm. Hier sieht man eine Azoospermie mit Zeichen einer Obstruktion, d.h. eine niedrige Fruktosekonzentration und einen erniedrigten pH-Wert. Der Hormonstatus ist unauffällig. Die Samenleiter lassen sich nicht tasten.
Im transrektalen Ultraschall (TRUS) lassen sich ggf. keine Samenblasen darstellen. Aufgrund einer möglichen assoziierten Nierendysplasie oder Nierenagenesie ist bei einer obstruktiven Azoospermie eine Ultraschalluntersuchung des gesamten Harntrakts indiziert.
Nach der S2k-Leitlinie "Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung (ART)" sollte im Falle eines Verdachts auf eine obstruktive Azoospermie nach Ausschluss anderer Ursachen eine Analyse des CFTR-Gens erfolgen. Wenn die CFTR-Analyse einen unauffälligen Befund erbringt, sollte zusätzlich eine Analyse des ADGRG2-Gens unternommen werden.[2]
Therapie
Eine Therapie bei einer isolierten CBAVD ist nur bei Kinderwunsch nötig. Dabei ist eine operative Rekonstruktion des Genitaltrakts nicht möglich. Einzige Option ist eine testikuläre Spermienextraktion (TESE) mit anschließender intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).
Quellen
- ↑ Bieth E, Hamdi SM, Mieusset R. Genetics of the congenital absence of the vas deferens. Hum Genet. 2021 Jan;140(1):59-76. doi: 10.1007/s00439-020-02122-w.
- ↑ Rudnik-Schöneborn, S., Tüttelmann, F. & Zschocke, J. Genetische Diagnostik vor assistierter Reproduktion – Empfehlungen der neuen S2k-Leitlinie 2019. Gynäkologische Endokrinologie 18, 97–107 (2020).