Komplexometrie
Synonym: Chelatometrie
Englisch: complexometry
Definition
Die Komplexometrie ist ein volumetrisches maßanalytisches Verfahren zur Bestimmung von Kationen und Salzen unter Verwendung eines Komplexbildners als Maßlösung. Es ist eine spezielle Form der Titration.
Hintergrund
Komplexe sind Verbindungen höherer Ordnung, bei denen ein Zentralteilchen (meistens ein Metallkation) von einem Liganden gebunden ist. In der Regel werden die Bindungselektronen vom Liganden und nicht vom Zentralatom zur Verfügung gestellt. Deshalb ist die Komplexbindung weniger stark als eine koordinative Bindung, entsteht aber wesentlich schneller.
Liganden können mehrere Bindungsstellen haben, mit denen sie ein Zentralatom binden. Dieser Fall tritt häufig bei organischen Liganden auf, die dann als mehrzähnig bzw. als Chelator bezeichnet werden. Den entstehenden Komplex nennt man Chelat. Da Chelate meist stabiler sind als Komplexe mit einzähnigen Liganden, werden in der Komplexometrie in der Regel Maßlösungen mit mehrzähnigen Liganden verwendet.
Die Stabilität eines Komplexes hängt von verschiedenen Parametern ab, unter anderem dem pH-Wert. Diese Abhängigkeit wird als α-Wert beschrieben und ist von hoher Bedeutung, da sich manche Komplexe nur bei bestimmten pH-Werten bilden und bei anderen zerfallen. Die Titration funktioniert also nur bei einem richtig eingestellten pH-Wert. Allgemein gilt, dass Kationen, die wenig stabile Komplexe bilden, im Basischen titriert werden müssen, während Kationen, die stabile Komplexe bilden, auch im Sauren titriert werden können.
Als Maß für die Stabilität eines Komplexes dient der pK-Wert. Eine komplexometrische Titration kann durchgeführt werden, wenn pKeff = pK-logα größer als 7 ist. In der Lösung enthaltene Fremdionen sind für die Bestimmung vernachlässigbar, wenn ihr pK-Wert kleiner als 3 ist.
In der Titrationskurve wird der negative dekadische Logarithmus der Metallionenkonzentration pMe gegen den Titrationsgrad τ aufgetragen.
Vorgehen
Direkte Bestimmung
Bei der direkten Titration ist die Konzentration eines Kations in der Probe zu bestimmen. Die Probe wird gelöst und mit einer Maßlösung titriert, die einen Komplexbildner enthält. In der Lösung findet eine Reaktion statt, in welcher das Kation Mex+ mit dem Komplexbildner (Ligand Ly-) zum Komplex reagiert:
Mex+ + Ly- --> [Me-Y]x-y
Wenn der Äquivalenzpunkt erreicht ist, sind alle in der Lösung enthaltenen Kationen als Komplex gebunden und der Indikator führt eine Farbänderung durch. Es wird das Volumen der verbrauchten Maßlösung abgelesen und mit dieser die Konzentration der ursprünglich enthaltenen Kationen berechnet.
Durch die Wahl richtiger Bedingungen kann eine Simultantitration durchgeführt werden, bei der verschiedene Kationen in einer Probe bestimmt werden können. Hierfür nutzt man die pH-Abhängigkeit der Stabilitätskonstante aus. Beispielsweise wird in einer Mischung aus Bismut, Zink und Magnesium bei einer Titration bei einem pH-Wert von 3 nur Bismut erfasst, da die anderen Kationen unter diesen Bedingungen keine ausreichend stabilen Komplexe mit EDTA bilden können. Bei einem pH-Wert von 6 kann die Summe aus der Bismut- und Zinkkonzentration ermittelt werden, während bei einem pH-Wert von 10 alle drei Metalle bestimmt werden. Durch Subtraktion der Konzentrationen voneinander können die jeweiligen Metallkonzentrationen ermittelt werden.
Indirekte Bestimmung
Neben einer direkten Bestimmung gibt es auch die indirekte Bestimmung, mit der man ebenfalls Anionen ermitteln kann. Hierbei wird, wie oben beschrieben, das Kation bestimmt, über die Stöchiometrie des Salzes jedoch die Konzentration des Anions berechnet. Löst man zum Beispiel Zinksulfat in Wasser, ist die Stoffmenge des Sulfats identisch mit der des Zinks. Durch Titration von Zink kann man also die Konzentration an Sulfationen berechnen. Werden jedoch mehrere Salze mit demselben Anion, aber verschiedenen Kationen in Wasser gelöst (z.B. MgSO4, BaSO4 und K(SO4)2) kann man aus der ermittelten Zinkkonzentration nicht auf die Sulfatmenge schließen.
Bei der Rücktitration wird die Probe mit einer bestimmten Menge an Komplexbildner versetzt, der sämtliche Metallionen bindet. Im nächsten Schritt wird der überschüssige Komplexbildner mit einer metallhaltigen Maßlösung titriert. Hieraus ermittelt man den Anteil an Komplexbildner, der nicht durch Kationen gebunden wurde. Da die Ursprungskonzentration des Komplexbildners bekannt ist, kann aus der Differenz die gebundene Metallmenge berechnet werden, die der Konzentration in der Probe entspricht.
Häufig verwendete Chemikalien
Maßlösungen
Maßlösungen sind auf eine bestimmte Konzentration eingestellt und werden dazu verwendet, den Titranden zu titrieren. Am häufigsten wird 0,1 M Na-EDTA als Maßlösung verwendet. Die Maßlösung wird mit Zink als Urtiter eingestellt.
Zur Rücktitration (s.o.) werden 0,1 M Blei(II)nitrat-Lösung, 0,1 M Zinksulfat-, 0,1 M Magnesiumchlorid oder 0,02 M Kupfer(II)sulfatlösung verwendet.
Indikatoren
Indikatoren zeigen den Äquivalenzpunkt einer Titration an. Indikatoren für die Komplexometrie sind Komplexbildner, die eine andere Farbe annehmen, wenn sie ein Metallion gebunden haben. Um die Titration nicht zu stören, muss die Stabilitätskonstante des Indikator-Titrand-Komplexes kleiner sein als die des Titrators mit dem Metallion. Nicht jeder Indikator ist für die Bestimmung eines jeden Metalls geeignet, da manche Indikatoren nur mit bestimmten Metallen farbig werden. Beispiele sind
- Calcein (für Calcium)
- Calcon (für Calcium)
- Dithizon (für Aluminium)
- Eriochromschwarz T (für viele Metalle geeignet, z.B. Cadmium, Quecksilber, Mangan, Blei und Zink
- Methylthymolblau (für Bismut, Calcium, Magnesium, Blei, Zinn, Zink)
- Xylenolorange (für Bismut, Cadmium, Cobalt, Kupfer, Quecksilber, Blei, Zink)
- Pyridylazonnaphthol (für Cu(II) und Al(III))
- Naphtarson (für Barium und Bismut)
- Phthaleinpurpur (für Barium, Calcium, Strontium)
Beispiele für Titrationen
Es folgt eine beispielhafte Auflistung von Ionen, die laut Arzneibuch komplexometrisch titriert werden können:
- Aluminium
- Barium
- Bismut
- Blei
- Calcium
- Magnesium
- Quecksilber
- Zink
Literatur
- Eberhard Ehlers: Analytik II - Kurzlehrbuch quantitative und instrumentelle pharmazeutische Analytik, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart, 2002, 10. Auflage