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Kindesmisshandlung

Synonyme: nicht-akzidentelle Verletzung, Trauma X
Englisch: child abuse, non-accidental trauma, non-accidental injury, NAI, trauma X

1. Definition

Als Kindesmisshandlung bezeichnet man das alleinige oder kombinierte Auftreten von körperlicher Misshandlung, emotionaler Misshandlung, Vernachlässigung oder sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen.

2. Terminologie

In einigen Quellen wird für den Begriff Kindesmisshandlung auch der Euphemismus "nicht-akzidentelle Verletzung" verwendet. Als nicht-akzidentelle Verletzung bezeichnet man Verletzungen, die nicht zufällig (akzidentell) bzw. nicht durch einen Unfall bedingt sind. Beim Begriff Battered-Child-Syndrom handelt es sich um eine veraltete Bezeichnung.[1]

3. Hintergrund

Der Verdacht bzw. das Vorliegen einer Kindesmisshandlung ist ein maßgeblicher Anhaltspunkt für eine Kindeswohlgefährung. Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine gegenwärtige Gefahr festgestellt wird, die mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit im weiteren Verlauf zu einer erheblichen Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes führt (§ 1666 I BGB).

4. Formen

Es existieren verschiedene Formen der Kindesmisshandlung, die einzeln oder in Kombination auftreten können.

4.1. Körperliche Misshandlung

Als körperliche bzw. physische Misshandlung definiert man alle Handlungen von Eltern oder Bezugspersonen, die durch die Anwendung von körperlicher Gewalt zu vorhersehbaren erheblichen Beeinträchtigungen des Kindes führen. Dabei kann es sich sowohl um physische als auch psychische Folgen handeln.

Eine mögliche Komplikation körperlicher Misshandlung ist das nicht-akzidentelle Schädel-Hirn-Trauma (NASHT). Dabei handelt es sich um einen Symptomkomplex, der primär Verletzungen des Schädels und Gehirns im Rahmen einer Kindesmisshandlung umfasst.

4.2. Emotionale Misshandlung

Unter emotionaler Misshandlung versteht man die aktive Beeinträchtigung der psychischen Befindlichkeit von Kindern. Es handelt sich um eine Form der Kindesmisshandlung, die nur schwer fassbar ist. Die emotionale Misshandlung kann unter anderem auf folgende Weise geschehen:

  • Entwertung des Kindes durch negative Einstellung (z.B. grobe oder herabsetzende Sprache, inadäquate Strafen, unrealistische Anforderungen)
  • Instrumentalisierung der Kinder in elterlichen Konflikten
  • Vermitteln von Schuldgefühlen an Kinder
  • Verhinderung adäquater Entwicklungsmöglichkeiten

Die emotionale Misshandlung geht häufig mit einer emotionalen Vernachlässigung einher.

4.3. Vernachlässigung

Die Vernachlässigung kann ebenfalls emotionale oder körperliche Aspekte betreffen.

4.3.1. Emotionale Vernachlässigung

Die emotionale Vernachlässigung ist eine andauernde oder extreme Vernachlässigung der Bedürfnisse eines Kindes. Dazu zählen:

  • Das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit
  • Das Bedürfnis nach Akzeptanz und Selbstwertgefühl
  • Das Bedürfnis nach altersgemäßer Autonomie und Selbständigkeit

4.3.2. Körperliche Vernachlässigung

Eine körperliche Vernachlässigung besteht, wenn die sorgeberechtigten Personen ihrer Plicht zur Erfüllung der notwendigen physischen Bedürfnisse des Kindes nicht nachkommen. Zu diesen Befürfnissen zählen Nahrung, Flüssigkeit, Unterkunft, Kleidung und Schutz vor Gefahren oder Schaden.

4.4. Sexueller Missbrauch

Als sexuellen Missbrauch bzw. sexuelle Gewalt bezeichnet man jede sexuelle Handlung, die an Kindern gegen deren Willen vorgenommen wird. Darüber hinaus umfasst der Begriff jede sexuelle Handlung, dem das Kind aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Bei unter 14-Jährigen sind sexuelle Handlungen immer als sexuelle Gewalt definiert, da man grundsätzlich davon ausgeht, dass die Kinder und Jugendlichen ihnen nicht zustimmen können.

4.5. Sonderformen

Sonderformen der Kindesmisshandlung sind beispielsweise das Münchhausen-Syndrom by Proxy (MSbP) sowie das neonatale Drogenentzugssyndrom.

5. Epidemiologie

In Deutschland wurden 2017 45.748 Fälle von Kindeswohlgefährdungen festgestellt. Dabei gab es Anzeichen für:

  • Vernachlässigung (ca. 61 %)
  • psychische Misshandlungen (ca. 30 %)
  • körperliche Misshandlungen (26 %)
  • sexuellen Missbrauch (4,5 %)

Es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

6. Ätiologie

Die Ursachen können unterschiedlichen Ursprungs sein und reichen von sozioökonomischem Stress der Eltern bis hin zu psychopathologischen Faktoren. Allgemein kommt es zu einer Abladung vorhandener Aggressionen seitens der Bezugsperson gegenüber einem Kind.

Etablierte Risikofaktoren sind u.a. folgende Charakteristika der Misshandelnden, des betroffenen Kindes und der Umgebung:

7. Diagnostik

Der Verdacht auf eine Kindesmisshandlung ergibt sich meist aus dem Muster vorgefundener Verletzungen. Hinweisgebend ist außerdem, wenn Angaben bei der Anamnese nicht zum Tatgeschehen, zur Symptomatik und/oder zum Entwicklungsstand des Kindes passen.

7.1. Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung des Kindes sollte einen Ganzkörperstatus umfassen. Dabei sollte auch die anogenitale Region untersucht werden. Charakteristisch sind nicht-akzidentelle Verletzungen. Sturzbedingte und nicht-sturzbedingte Verletzungen unterscheiden sich unter anderem durch folgende Punkte:

Bei nicht-sturzbedingten Verletzungen macht der Arzt auch von der sogenannten Hutkrempenregel Gebrauch. Zieht man eine gedachte Linie am Kopf des Kindes, auf deren Höhe ein Hut enden würde, so sprechen Verletzungen oberhalb dieser Linie, also vor allem im Bereich der Haare, für einen Missbrauch. Die Hutkrempenregel gilt jedoch nur für ein Sturzgeschehen auf die ebene Erde und ist nicht zutreffend bei einem Sturzgeschehen mit gebeugter Körperhaltung beziehungsweise bei Stürzen von erhöhter Position.

Der Allgemeinzustand des Kindes ist ebenfalls von Bedeutung. Eine Unterernährung des Kindes oder auch eine psychische Zurückgezogenheit sind weitere Hinweise für eine Misshandlung. Liegt ausschließlich eine emotionale Misshandlung vor, ist dies nur äußerst schwer zu diagnostizieren und kann sich u.a. durch Verhaltensauffälligkeiten äußern.

7.2. Bildgebung

Zur Abklärung von Frakturen und inneren Verletzungen bei körperlicher Misshandlung werden bildgebende Verfahren wie konventionelles Röntgen und Magnetresonanztomographie eingesetzt.

siehe Hauptartikel: körperliche Misshandlung

8. Vorgehen

Liegt der Verdacht einer Kindesmisshandlung vor, sollten die Verletzungen sorgfältig dokumentiert werden. Neben einer Fotodokumentation (mit Maßstab) für sichtbare Verletzungen ist die Verwendung von Skizzenvordrucken zu empfehlen.[2]

Das weitere Vorgehen ist abhängig vom Verdachtsgrad und der Art der Misshandlung. Alle Handlungsoptionen müssen geprüft werden: Die Einbeziehung der Eltern ist wünschenswert, wobei ein Psychologe hinzugezogen werden sollte. Auch die Rücksprache mit dem Hausarzt oder weiteren Angehörigen ist sinnvoll. In schwerwiegenden Fällen und bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch können zudem Jugendamt und/oder Polizei involviert werden.[3] Hilfreich ist weiterhin die medizinische Kinderschutzhotline. Bei unsicherer Sachlage ist ein rechtsmedizinisches Konsil sinnvoll. Ist der Verdacht auf eine Kindesmisshandlung auf diese Weise gut begründet, sind keine rechtlichen Konsequenzen wegen unzulässiger Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht zu befürchten.

In § 1631 Absatz 2 BGB heißt es: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig." Entsprechend müssen Jugendämter Hilfe anbieten, gegebenenfalls die Kindeswohlgefährdung abschätzen und einschreiten. Das Familiengericht kann bei Gefährdung des Kindeswohls Maßnahmen ergreifen. Die Polizei kann, muss aber nicht involviert werden.

Eine Meldepflicht für Fälle von Kindesmisshandlung gibt es in Deutschland nicht. Ärzte haben gegenüber dem gefährdeten Kind eine Garantenstellung. Das bedeutet, sie haben eine größere Verpflichtung, der Kindeswohlgefährdung aktiv entgegenzutreten, als ein Laie. Die ärztliche Schweigepflicht kann unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) durchbrochen werden. Sollte es zu einem Verfahren gegen eine tatverdächtige Person kommen, können die behandelnden Ärztinnen und Ärzte als sogenannte sachverständige Zeugen oder auch als Sachverständige vom Gericht geladen werden.

9. Leitlinie

10. Weblinks

11. Literatur

12. Quellen

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