Geschlechtsinkongruenz
Synonyme: Transidentität, Transgeschlechtlichkeit, Trans*, Trans, Transsexualität (veraltet), Transsexualismus (veraltet), Geschlechtsidentitätsstörung (veraltet)
Englisch: transsexualism, transgender
Definition
Geschlechtsinkongruenz beschreibt den Zustand der Nichtübereinstimmung der Geschlechtsidentität einer Person mit dem biologisch zugewiesenen Geschlecht. Es besteht keine direkte Beziehung zur Homosexualität oder zum Transvestitismus.
Terminologie
Die ehemalige Bezeichnung "Transsexualität" soll nicht mehr verwendet werden. Sie implizierte das Vorliegen einer Sexualstörung und wurde im ICD-10 den Störungen der Geschlechtsidentität zugeordnet. Mit Veröffentlichung des ICD-11 hat die Weltgesundheitsorganisation jedoch eine Entpathologisierung vorgenommen. Dort wird die Geschlechtsinkongruenz als Zustand mit Bezug zur sexuellen Gesundheit klassifiziert. Der Begriff "Transsexualität" wurde analog durch "Geschlechtsinkongruenz" ersetzt.[1]
Das Adjektiv, mit dem Personen mit einer Geschlechtsinkongruenz beschrieben werden können, lautet "trans".
Trans Frauen identifizieren sich mit dem weiblichen Geschlecht, obwohl ihnen bei ihrer Geburt aufgrund körperlicher Merkmale das biologisch männliche Geschlecht zugewiesen wurde. Umgekehrt fühlen sich trans Männer dem männlichen zugehörig, obwohl ihnen das biologisch weibliche Geschlecht zugewiesen wurde. Bei manchen Menschen liegt die Geschlechtsidentität zwischen- oder außerhalb des männlichen oder weiblichen Geschlechts. Mögliche Bezeichnungen sind "nichtbinär", "genderfluid" oder "agender".
Die Änderung der Geschlechtsrolle (also von Frau zu Mann oder andersherum) wird Transition genannt. Dabei werden die soziale und die medizinische Transition unterschieden. Die soziale Transition bezieht sich allein auf die Anpassung des Verhaltens in Bezug auf die Geschlechtsrolle. Wenn die körperlichen Geschlechtsmerkmale durch medizinische Behandlungen verändert werden, spricht man von einer medizinischen Transition.
Da die o.a. Begrifflichkeiten dem traditionellen Geschlechterverständnis entgegenlaufen, ist ihre Akzeptanz in der medizinischen Literatur uneinheitlich.
Ätiologie
Die Ätiologie ist unklar. Es existieren psychologische und biologische Erklärungsmodelle, die aber nicht auf alle Betroffenen zutreffen.
Symptome
Mögliche Anzeichen für eine Geschlechtsinkongruenz sind:
- Beginn bereits in der Kindheit oder zur Pubertät
- Körperkonstitution und erlebte Psychosexualität sind inkongruent
- Leid- und Schamgefühle das eigene Geschlecht betreffend
- Besserung negativer Symptome durch das Ausleben des gefühlten Geschlechts
- Wunsch nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen
Wenn durch eine Geschlechtsinkongruenz ein hoher Leidensdruck entsteht, spricht man von einer Geschlechtsdysphorie. Betroffene können die Symptome einer Angsterkrankung oder einer Depression entwickeln. Diskriminierung und mangelnde Akzeptanz im Umfeld der betroffenen Personen begünstigen ebenso die Entstehung psychiatrischer Erkrankungen.
Diagnose
Die Diagnose basiert auf einer ausführlichen Anamnese, insbesondere bezogen auf biografische und soziale Aspekte sowie die Sexualität. Allgemein gilt, dass es keine objektiven Mess- oder Testmöglichkeiten gibt und sich die Diagnose auf die subjektiven Aussagen der behandlungssuchenden Person stützt.
Aspekte, die in der Anamnese zur Sprache kommen können:
- psychosexuelle Entwicklung
- Beziehungserfahrungen
- "Coming-out" und ggf. Reaktionen
- Besteht der Wunsch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen?
- Besteht ein akuter Leidensdruck?
- Dauer der Symptomatik
- belastende Lebensereignisse
- Krankheitsanamnese
Eine körperliche Untersuchung und ggf. weiterführende Diagnostik sind notwendig, um Kontraindikationen für eine geschlechtsangleichende Therapie auszuschließen (z.B. Vermeidung von Hormonpräparaten bei Blutgerinnungsstörungen). Zudem geben Laboruntersuchungen Hinweise darauf, welche Werte während einer medizinischen Transition (s.u.) beachtet werden müssen.
Differentialdiagnose
Geschlechtsinkongruentes Empfinden kann auch passager in der Pubertät oder im Rahmen von anderen psychiatrischen Erkrankungen auftreten. Dazu gehören:
- psychotische Störungen
- dissoziative Störungen
- emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ
Ebenso ist es möglich, dass Varianten der Geschlechtsentwicklung zu einer Geschlechtsinkongruenz führen. Dazu zählen:
Therapie
Die Behandlung der Geschlechtsinkongruenz bzw. Geschlechtsdysphorie teilt sich in psychotherapeutische und somatische Maßnahmen.
Eine somatische Geschlechtsangleichung kann durch folgende Maßnahmen erfolgen:
Rechtliches
Falls der Wunsch nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen besteht, muss die Person nach deutschem Recht eine psychotherapeutische Begleittherapie machen sowie psychiatrische Gutachten nachweisen (Stand 2023). Diese sind auch die Grundlage für eine Kostenübernahme der Behandlung durch die gesetzliche Krankenkasse (GKV).
Durch das Selbstbestimmungsgesetz wird voraussichtlich ab Ende 2024 eine Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister durch Selbstauskunft möglich sein.[2] Bis zu diesem Zeitpunkt sind hierfür psychiatrische Gutachten und eine Gerichtsentscheidung notwendig, was von Betroffenen und Fachgesellschaften kritisiert wurde. Die Auswirkungen des Gesetzes auf Konzepte wie die Frauenquote oder die Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum werden kontrovers diskutiert.
Seit 2020 sind Konversionsbehandlungen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbst empfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind, gesetzlich verboten.
Literatur
- Bundeszentrale für politische Bildung – Medizinische Einordnung von Trans*identität, abgerufen am 28.11.2023
- Turner et al., Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit, PSYCH up2date, 2020
Quellen
- ↑ Rudolph H et al. Von der Psychopathologisierung zum affirmativen Umgang mit Geschlechtervielfalt. Swiss Medical Forum 2023
- ↑ Ärzteblatt.de – Bundeskabinett bringt Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg, abgerufen am 29.11.2023