FlexiEssay: Die Rolle von Pestiziden bei der Pathogenese des Morbus Parkinson
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Einleitung
Symptome und Entstehung der Parkinson-Krankheit
Die Parkinson-Krankheit ist mit einer Prävalenz von 200/100 000 und einer jährlichen Inzidenz von 20/100 000 eine der am häufigsten vorkommenden neurologischen Erkrankungen. Ihre Symptomatik zeichnet sich klassischerweise durch die Trias Tremor, Rigor und Akinese aus, die zunächst immer halbseitig auftreten (Hemiparkinson) und verschieden stark ausgeprägt sein können (Äquivalenztyp, Tremordominanztyp und akinetisch-rigider Typ).
Desweiteren kommt es zu einer Verminderung der Stell- und Haltereflexe, was sich z.B. in einer verstärkten Fallneigung äußert, sowie zum Auftreten vegetativer Symptome, wie Harnverhalt, orthostatischer Hypertonie, Hypersalivation und Seborrhö, die sich charakteristisch als Salbengesicht erweist. Als psychopathologisches Syndrom kommen häufig noch depressive Verstimmungen vor (1).
Die Ursache für die motorischen Symptome besteht in der Atrophie und nachfolgendem Verlust der dopaminergen Neurone der Substantia nigra pars compacta (geschädigte Zellen imponieren durch die lichtmikroskopisch sichtbaren Lewy-Körperchen), die physiologischerweise zum Striatum (Putamen und Nucleus caudatus) ziehen. Dieses ist Teil der Basalganglien des Mittelhirns, welche für die Vorausplanung komplexer willkürlicher und unwillkürlicher Bewegungen verantwortlich sind (sog. extrapyramidalmotorisches System) (2).
Durch welche Auslöser die nigrostriatalen dopaminergen Neurone jedoch wie oben beschrieben geschädigt werden, ist bis heute noch überwiegend unklar, zumal andere dopaminproduzierende Neurone (z.B. im Hypothalamus, der Area postrema oder dem mesolimbisch-mesocortikalen System mit Zellkörpern im ventralen Tegmentum) keine derartigen oder viel geringere Schäden bei Parkinson-Patienten zeigen.
Es konnten allerdings bei der familiären Form der Krankheit (Prävalenz < 5% der Patienten mit Morbus Parkinson) Mutationen des ubiquitinähnlichen Proteins Parkin und von Alpha-Synuclein nachgewiesen werden (3). Einen wichtigen Erkenntnisgewinn zum Pathomechanismus erbrachte in den 80er Jahren die Untersuchung von Jugendlichen in Kalifornien, die sich eine mit 1-Methyl-4-phenyl-1, 2, 3, 6-tetrahydropyridin (MPTP) verunreinigte Designerdroge injiziert hatten und danach am Vollbild des Parkinsonismus erkrankten. Mit MPTP konnte ebenfalls bei Primaten eine Parkinsonsymptomatik ausgelöst werden, wobei sich die charakteristischen Veränderungen der nigrostriatalen Neurone zeigten, und somit ein wichtiges Forschungsmodell gefunden wurde (1, 2, 3, 4).
Allerdings sind die für die Parkinsonsche Erkrankung pathognomischen Lewy-Körperchen in diesem Modell nicht nachweisbar. Auch Pestizide, wie das Insektizid Dieldrin, das Fungizid Maneb oder das Herbizid Paraquat werden seit einiger Zeit auf ihre Rolle bei der Entstehung der Parkinson-Erkrankung hin untersucht. Man nimmt heutzutage immer mehr an, daß es sich um eine multifaktorielle Erkrankung handelt, deren Auslöser endogene, genetische und Umweltfaktoren sein dürften (4).
Die gewonnenen Erkenntnisse spielen bei derzeitigen (und zukünftigen) Versuchen, die Degeneration der nigrostriatalen Neurone aufzuhalten, zu verhindern und eventuell sogar umzukehren, anstatt nur eine symptomatische Behandlung durchzuführen, eine bedeutsame Rolle.
Besonders weit fortgeschritten ist die Erforschung des Insektizids und Fischgiftes Rotenon, einem Derivat der Derriswurzel, das noch immer häufig in der Landwirtschaft und im Garten eingesetzt wird. Es schädigt die dopaminergen nigrostriatalen Neurone durch die Inhibition des Komplexes I (NADH-Ubichinon-Oxidoreduktase) der Atmungskette. Darüber hinaus wird ein Schaden durch reaktive Autooxidation vermutet (4, 5). Daher wird in der folgenden Arbeit Rotenon und seine Rolle bei der Entstehung der Parkinson-Krankheit untersucht werden.
Ziele dieser Arbeit
- Übersicht über Zellinienmodelle, bei denen Rotenon für die Parkinson-Krankheit charakteristische Effekte verursacht
- Übersicht über Tiermodelle der Parkinson-Krankheit, wobei der Schwerpunkt auf die Verabreichung von Rotenon an Ratten gelegt wird. Die Modelle für die präsymptomatischen und symptomatischen Stadien der Parkinson-Krankheit sollen dabei unter den folgenden Gesichtspunkten dargestellt werden:
- histologische Veränderungen der nigrostriatalen Neurone,
- Marker für nekrotische und apoptotische Prozesse,
- Vorhandensein von Lewy-Körperchen(-Äquivalenten),
- parkinsonähnliches Verhalten der Versuchstiere.
Methoden
Am 09. 02. 2006 wurde eine Literaturrecherche in der Datenbank PubMed durchgeführt, da diese bekanntermaßen eine umfassende Auflistung der meisten Artikel der wichtigsten internationalen Forschungszeitschriften beinhaltet.
Als Suchwort wurde die Kombination "rotenone parkinson's disease rat" ohne weitere Einschluß- bzw. Ausschlußkriterien verwendet, um die Suche möglichst weitgefächert und ohne unnötige Einschränkungen erfolgen zu lassen, die die Ergebnisse hätten verzerren können.
Englisch wurde als Sprache gewählt, da die wichtigsten Publikationsorgane englischsprachig sind und auch die meisten Artikel in Englisch verfaßt werden. Es wurden als Ergebnis 92 Artikel angezeigt.
Ergebnisse
Ergebnisse der Suche mit PubMed
Von diesen 92 Artikeln konnten 78 nachträglich ausgeschlossen werden, da es sich um einfache News-Meldungen in den entsprechenden Magazinen handelte, die keine Originalarbeiten waren, oder um Arbeiten, die das Pestizid Rotenon nur am Rande erwähnten und sich nicht weiter mit ihm beschäftigten.
Teilweise waren von den Artikeln keine Volltextversionen verfügbar; desweiteren gab es diverse Arbeiten, in denen Rotenon zwar zur Auslösung der charakteristischen parkinsonartigen Veränderungen verwendet wurde, die aber nicht weiter erforscht wurden: Beispielsweise wurden andere Substanzen auf mögliche regenerative Effekte untersucht, oder es wurden Verfahren zur exakten Einbringung des Rotenons in einzelne Zellen beschrieben, so daß eine Berücksichtigung nicht nur über die Aufgabenstellung hinausgegangen wäre, sondern auch den Rahmen der vorliegenden Arbeit gesprengt hätte.
Ausgeschlossen werden mußte, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse des Autors, auch eine in Französisch erschienene Originalarbeit. Schlußendlich wurden vom Autor in Absprache mit dessen Betreuer auch einige Manuskripte ausgeschlossen, die sich mit speziellen Einzelaspekten der Rotenonwirkung befaßten, die für die Fragestellung nicht relevant gewesen wären. Es verblieben daher 14 Arbeiten (6-19), die den Zielen der Arbeit entsprachen und im folgenden ausgewertet werden.
Die Wirkung von Rotenon auf zellulärer Ebene
Die erste systematische und bis heute maßgebliche Untersuchung von Rotenon und seinen Effekten auf die Basalganglien erfolgte durch Betarbet et al. (6), die ein Modell der Genese der Parkinson-Krankheit erforschten, das den in früheren Veröffentlichungen festgestellten Defekt des mitochondrialen Komplexes I der Atmungskette in den dopaminergen Neuronen Parkinson-Kranker berücksichtigen sollte.
Das eingangs erwähnte MPTP wird in Gliazellen durch die Monoaminoxidase B (MAO B) zu MPP+ oxidiert und als permanentes Kation über den Dopamintransporter spezifisch in die dopaminergen Neurone aufgenommen, wo es mit Komplex I interagiert. Es wirkt überdies nicht systemisch. Rotenon dagegen wirkt durch seine Lipophilie systemisch, da es Zellmembranen permeiert und den Komplex I inhibiert. Im Versuch wurde Ratten das Rotenon in Dosen von 1 bis 12 mg/kg*d mittels einer Minipumpe in die Jugularvene appliziert, wobei hohe Dosen zu systemischer Toxizität und unspezifischen Hirnschäden führten, während die Dosis zur Auslösung der Parkinson-Symptome, nämlich Hypokinese, Rigidität und ein Ruhetremor der Pfoten, bei 2-3 mg/kg*d lag.
Eine Inhibition von Komplex I in Leber- wie auch in Hirnmitochondrien wurde nachgewiesen, die zu einer fortschreitenden Degeneration der dopaminergen Neurone zunächst im anterioren Striatum und dann in der Substantia nigra pars compacta führte, wie es auch bei Parkinson-Patienten nachgewiesen werden konnte. Die anderen Neurone dieser Region blieben intakt. Auch Lewy-Körperchen ähnelnde fibrilläre Einschlüsse, die Ubiquitin und Alpha-Synuclein enthielten, wurden in der histologischen Untersuchung gefunden, ebenso eine Aktivitätsverringerung der Tyrosinhydroxylase (TH), dem geschwindigkeitsbestimmenden Enzym der Dopaminsynthese, ein Resultat, das später quantitativ untersucht wurde und womöglich mit dem Zelluntergang durch Apoptose in engem Zusammenhang steht (7).
Um die genaue Rolle des Komplexes I zu verstehen, fanden diverse Untersuchungen statt: Sherer et. al. (8) untersuchten SK-N-MC humane Neuroblastomzellen und Kulturen von Mittelhirnschnitten von Lewis-Ratten, wobei sie durch Rotenonbehandlung den Zelltod hervorrufen konnten. Wurden hingegen Neuroblastomzellen verwendet, die zusätzlich die rotenoninsensitive NADH-Dehydrogenase aus Saccharomyces cerevisiae (NDI1) exprimierten, so waren die Zellen gegen die Rotenoneffekt geschützt und überlebten. Ein Abfall der ATP-Konzentration konnte als Folge des Ausfalls von Komplex I nachgewiesen werden, war aber offensichtlich nicht alleiniger Auslöser des Zelltods, da ein ATP-Verlust nach der Behandlung der Zellen mit 2-Desoxyglucose keinen vergleichbaren Effekt bewirkte. Stattdessen wurden deutlich erhöhte Proteincarbonyl-Spiegel bei gleichzeitig verringerten Glutathionkonzentrationen gemessen, wodurch ein oxidativer Schaden der Zelle nachgewiesen werden konnte. Bei Vorbehandlung der Zellkultur mit Alpha-Tocopherol oder Coenzym Q10, beide als Antioxidantien bekannt, wobei Q10 als Shuttle zwischen Komplex I/II und Komplex III fungiert, ließen sich die schädigenden Auswirkungen des Rotenons reduzieren. In Kulturen von Mittelhirnschnitten fanden sich ähnliche Ergebnisse in Bezug auf die Proteincarbonyl- und Glutathionwerte, besonders in Regionen, in denen dopaminerge Neurone vorkamen (z. B. Striatum, Bulbus olfactorius).
Weiterhin konnte nachgewiesen werden, daß eine In-vitro-Transfektion von Ratten-PC12-Zellen mittels eines rekombinanten adenoassoziierten Virusvektors, der das NDI1-Gen trug, zur Expression von NDI1 und zur Resistenz gegen Rotenon führte (9). Da die Rolle mitochondrienschädigender Prozesse offensichtlich von Bedeutung ist, wurden weitere Forschungen auf diesem Gebiet vorgenommen, die sich mit den einzelnen Mitochondrien bzw. submitochondrialen Partikeln beschäftigten (10). Diese wurden nach Rotenoninjektion in Versuchsratten durch Zellhomogenisation gewonnen. Es ergab sich zunächst eine Erhöhung der Zahl an Hirnmitochondrien, jedoch nicht an Lebermitochondrien behandelter Tiere.
Die Atmung der Hirnmitochondrien war signifikant inhibiert, und zwar im Zustand 3 (ADP, Sauerstoff und Substrat sind im Überschuß vorhanden), wie auch im Zustand 3U (Entkoppelung der Atmungskette z. B. durch Carbonylcyanid-p-chlorophenylhydrazon (CCCP)). Erstaunlicherweise war in diesen Stadien auch die Oxidation von Succinat inhibiert, welches ein Substrat des Komplexes II der Atmungskette (Succinat-Ubichinon-Oxidoreduktase) ist, und zwar im selben Maße wie die Oxidation der Substrate des Komplexes I, Pyruvat und Alpha-Ketoglutarat. In Lebermitochondrien fand keine Komplex-II-Inhibition statt, auch nicht bei Rotenonzugabe zu Hirnmitochondrien in vitro. Da bei der Aufbereitung der Mitochondrien das Rotenon mit Rinder-Albumin-Serum ausgewaschen worden war, und die o. g. Effekte dennoch auftraten, konnte daraus gefolgert werden, daß der Kollaps der Atmungskette nicht von der direkten Bindung des Rotenons am Komplex I, sondern von einem durch das Rotenon am Komplex hervorgerufenen indirekten Schaden verursacht wurde.
Das Ruhemembranpotential der Mitochondrien wurde von Rotenon nicht verändert, was auf die Intaktheit der inneren Mitochondrienmembran (keine Schädigung durch Lipidperoxidation oder andere Mechanismen) schließen ließ. Durch die verringerte ATP-Synthese war zusätzlich die Fähigkeit der Mitochondrien, Calcium zu sequestrieren, deutlich verringert; da Zellen bereits bei einer recht geringfügigen Überladung mit frei verfügbaren Calcium absterben, könnte dies ein weiterer Grund für die Apoptose der Neurone sein. Bei der Beobachtung der Auswirkungen von Rotenon auf die Produktion von Superoxidradikalen und Wasserstoffperoxid, die auch unter physiologischen Bedingungen bei der Spontanreduktion molekularen Sauerstoffes während des aeroben Stoffwechsels der Mitochondrien entstehen, ließ sich zunächst feststellen, daß unter normalen Umständen Hirnmitochondrien etwa sechsmal mehr Superoxidradikale produzieren, als Lebermitochondrien. Dem Rotenon ausgesetzte Hirnmitochondrien erzeugten eine doppelt so große Menge an Superoxidradikalen, wie unbehandelte Mitochondrien. Zugleich wurde eine Inhibition der Freisetzung der Radikale ins Zytosol beobachtet, die durch den Mangel an energiereichem ATP in den Mitochondrien hervorgerufen werden dürfte; ebenfalls war die Produktion von Wasserstoffperoxid erhöht und in diesem Falle auch seine Freisetzung. Sowohl die erhöhte Menge an Superoxidradikalen als auch die an Wasserstoffperoxid ließ sich als überwiegende Folge der Inhibition von Komplex I deuten, die gleichzeitig zur Schädigung dieses Komplexes und auch von Komplex II führen könnte.
Auch die Frage, ob Rotenon die Bildung von Stickstoffmonoxid (NO) und von Produkten der Peroxidation von Fettsäuren induziert, war Gegenstand einer Arbeit (11): Zu diesem Zweck wurde Ratten 1,5 mg/kg Rotenon intraperitoneal einmal täglich gegeben und nach 60 Tagen der präfrontale Kortex, der Nucleus accumbens (beide mit dopaminergen Neuronen reichlich ausgestattet) und das Striatum untersucht, worauf als Ergebnis eine signifikante Steigerung der NO- und Peroxidkonzentrationen in den Zellen bestimmt werden konnte.
Die Tatsache, daß die dopaminergen nigrostriatalen Neurone bei Parkinson-Patienten deutlich stärker geschädigt werden, als beispielsweise dopaminerge Neurone des Hypothalamus, konnte im Versuch mit Rattenhirnschnitten bestätigt werden (12): Neurone der Substantia nigra zeigten mit TH-Immunmarkierung deutliche Schäden des Dendritenbaumes, bis hin zum vollständigen Fehlen sichtbarer Dendriten, bei einer Konzentration von 1 µM Rotenon, während es bei einer Konzentration von 10 µM zu massiven Zellverlusten und Schäden des Zellkörpers mit Vakuolierungen und Einschrumpfungen kam. Dies war auch mit der Calbindin-Immunmarkierung und der Cresyl-Violett-Färbung klar erkennbar. Nichtkatecholaminerge Neurone blieben dagegen intakt.
Da frühere Versuche (11) eine besonders ausgeprägte Schädigung nigrostriataler Neurone durch exzitatorische Aminosäuren, wie die Glutamatagonisten Kainat und NMDA, zeigten, wurde auch überprüft, ob mit entsprechenden Rezeptorantagonisten ein protektiver Effekt hervorgerufen werden könnte, was mit den Substanzen Dizozilpinmaleat und 6-Zyano-7-nitrochinoxalin-2, 3-dion immerhin teilweise gelang. Daraus ließ sich der Schluß ziehen, daß die spezifische Läsion nigrostriataler dopaminerger Neurone auch auf glutamaterger Exzitotoxizität beruht.
Weitere Autoren (13) konnten eine selektive Aktivierung der Mikroglia im Bereich der dopaminergen Neurone nach Rotenonverabreichung an Ratten erzeugen, wie sie auch bei Parkinson-Patienten vorkommt, während der Kortex ausgespart blieb. Die Mikrogliazellen waren vergrößert und zeigten viele kurze, dicke Fortsätze als Zeichen ihrer Aktivierung. Im Bereich direkt um die Läsionen kam es desweiteren zu einer Aktivierung von Astrozyten, wie sie ebenfalls bei Parkinson-Patienten nachgewiesen werden konnte.
Schließlich soll noch auf die Beteiligung des endoplasmatischen Retikulums und die Rolle mißgefalteter Proteine hingewiesen werden, die bei der Rotenonbehandlung von PC12-Zellen entstehen (14) und überwiegend im Proteasom abgebaut werden. Teilweise wird jedoch im endoplasmatischen Retikulum durch Chaperone eine korrekte Faltung versucht. Mißlingt diese, was bei von vornherein fehlgebildeten Proteinen immer der Fall ist, werden die Streßkinasen PERK und IRE1-Alpha phosphoryliert, wodurch es zu einer Induktion der Transkriptionsfaktoren CHOP und ATF4 kommt, was den apoptotischen Zelltod verursachen kann.
Änderungen des Verhaltens mit Rotenon behandelter Versuchstiere
Andere Tierexperimente hatten vor allem die Erforschung von Verhaltensänderungen von mit Rotenon behandelten Ratten zum Ziel, wobei mittels intraperitonealer (i. p.) Injektion niedrige (1,5 mg/kg*d) und mittlere (2,5 mg/kg*d) Dosen appliziert wurden (15). Die Untersuchung auf kataleptisches Verhalten bzw. Lokomotion erfolgte mittels eines Gittertests, wobei die Tiere mit den Pfoten an ein vertikal stehendes Gitter platziert wurden. Danach maß man die Zeit, die verging, bis das Tier die Pfoten bewegte und in die physiologische Körperhaltung zurückkehrte. Auch zur Messung der Aktivität angewendet wurde der Open-field-Test.
Es konnte festgestellt werden, daß das kataleptische Verhalten nach Rotenonbehandlung ebenso wie eine allgemeine Aktivitätsverminderung signifikant war. Ähnlich verhält es sich bei der Aktivität von Parkinson-Patienten gegenüber Gesunden. Weiterhin fand man die Aktivität der mit einer mittleren Dosis behandelten Tiere gegenüber denen mit niedriger Dosis behandelten klar verringert. Auch die Aktivität der TH im Striatum und dem präfrontalen Kortex war bei den mit 2,5 mg/kg*d behandelten Tieren deutlich geringer als bei den mit 1,5mg/kg*d behandelten, ebenso wie die gefundenen Mengen von Dopamin und seiner Abbauprodukte.
Die selben Autoren konnten weiterhin in einem zweiten Experiment (16) feststellen, daß L-DOPA, ein seit langem in der Parkinsonbehandlung eingesetztes Dopamin-Prodrug, die Symptome der Versuchstiere deutlich abschwächen konnte.
Nicht alle Versuche konnten jedoch immer eine der Parkinsonerkrankung ähnelnde Symptomatik hervorrufen: Höglinger et al. (17) fanden bei ihren Versuchstieren nach intravenöser Rotenoninjektion keine klassischen Symptome, sondern Dystonien der Gliedmaßen und posturale Instabilität, mit verstärkter Bildung von Beta-Amyloid und Tau-Proteinen sowohl in der Substantia nigra wie auch im Striatum und dem Globus pallidus, wie sie bei Patienten mit Morbus Pick oder progressiver supranukleärer Lähmung vorkommen.
Um zuverlässig ein parkinsonähnliches Krankheitsbild erzeugen zu können, wurde daher von Saravanan et al. eine einseitige intranigrale Applikation von 1µl Rotenonlösung an Ratten vorgenommen (18), wobei Dosen von 6 und 12µg verwendet wurden. Die Substantia nigra der Tiere wies histologisch auf der behandelten Seite alle bereits beschriebenen Zeichen, d. h. Inhibition des Komplexes I, Absinken des Dopaminspiegels und der Glutathionwerte, verminderte Aktivität der TH und vermehrte Bildung von Hydroxylradikalen, auf.
Weiter wurden Verhaltensstudien der Tiere unternommen (19), wobei die Rotenoninfusionen entweder ins mediane Vorderhirnbündel oder in die Substantia nigra pars compacta erfolgten. Nach dem Eingriff wurde beobachtet, daß die Tiere, die den Eingriff an der Substantia nigra erhalten hatten, über drei Tage sich spontan im Kreis kontralateral um die Seite der Infusion drehten. Hob man sie an der Schwanzwurzel nach oben, erfolgte eine Inklination des Kopfes zur kontralateralen Seite. Am Vorderhirnbündel behandelte Tiere hingegen zeigten keine Kreisdrehungen und zunächst die Inklination des Kopfes zur kontra-, nach etwa drei Wochen jedoch zur ipsilateralen Seite. Alle diese Befunde sind mit einer erhöhten Dopaminfreisetzung nach Zerstörung der dopaminergen Neurone vereinbar (man möge sich daran erinnern, daß die motorischen Nervenbahnen kreuzen und damit die jeweils andere Körperseite versorgen).
Gab man den Tieren die dopaminfreisetzende Substanz Amphetamin i. p., kam es bei den Tieren mit Läsion an der Substantia nigra zu Drehungen zur ipsilateralen Seite, was ebenfalls ein Anzeichen für den Untergang der dopaminergen Neurone auf der behandelten Seite ist. Nach vierwöchiger Behandlung trat dieser Effekt auch bei den Tieren mit Läsion am Vorderhirnbündel auf. Nach subkutaner Injektion des Dopaminagonisten Apomorphin kam es bei Substantia-nigra-geschädigten Ratten wiederum zu Drehungen um die ipsilaterale Seite, während bei den anderen Tieren sich eine Drehung um die kontralaterale Seite wieder erst nach mehreren Wochen ausbildete und somit den Ergebnissen der Amphetamininjektion zumindest teilweise vergleichbar war.
Histologisch glich das Bild weitgehend den vorhergegangenen Erforschungen, wobei sich auch im medianen Vorderhirnbündel ein massiver Verlust dopaminerger Neurone offenbarte. Abschließend ließ sich festhalten, daß mit der neuen Injektionstechnik nicht nur gezielte Läsionen der Substantia nigra verursacht werden konnten, sondern durch die halbseitige Applikation des Rotenons eindeutigere, statistisch besser auswertbare Schadenszeichen hervorruft, die auch dem halbseitigen Beginn der Parkinson-Krankheit beim Menschen nahekommen.
Diskussion
Es wurde eine Übersicht über die Wirkungen von Rotenon auf neuronale Zellinien und dopaminerge Neurone in vivo verfaßt, wofür eine Recherche in der Datenbank PubMed stattfand, die erfolgreich verlief.
Als Hauptwirkung des Rotenons ließ sich die Inhibition des Komplexes I der mitochondrialen Atmungskette ausmachen, die zu einem Energieverlust und oxidativen Schäden an den betroffenen Zellen führte, die überwiegend typische Schädigungen wie bei idiopathischem Parkinsonismus aufwiesen. Desweiteren konnten bei den Versuchen in vivo deutliche Verhaltensänderungen der Tiere festgestellt werden, die den Symptomen der humanen Parkinson-Krankheit entsprachen. Es läßt sich festhalten, daß es vielfältige Versuche (9, 10, 14) mit Zellinien gab, und auch die Tiermodelle der voll entwickelten Parkinson-Krankheit (7, 15, 16, 19), in denen die charakteristischen Zellveränderungen, wie Lewy-Körperchen-Äquivalenten und Verlust nigrostriataler Neurone, kombiniert mit den entsprechenden Verhaltensänderungen, auftraten.
Somit wurde in diesen Punkten die Aufgabenstellung voll erfüllt. Leider fand der Autor bei seiner Recherche kein Tiermodell, in dem das präsymptomatische Stadium der Parkinson-Krankheit erforscht worden wäre; lediglich ein Vergleich der Symptome nach einer verabreichten niedrigen und einer mittleren Dosis Rotenon ließ sich ermitteln (15).
Möglicherweise hätte eine Datenbanksuche speziell zu dieser Unteraufgabe ein passendes Ergebnis erbracht. Insgesamt verändert das Fehlen eines Modells für den Zustand vor Ausbruch der Krankheit aber nicht die wichtigsten Schlüsse, die aus dem Vergleich der Arbeiten gezogen werden können:
- Rotenon ist ein systemisch wirkender Inhibitor des Komplexes I der mitochondrialen Atmungskette, der zwar nicht ausschließlich (17), aber dennoch mit hoher Zuverlässigkeit auf histologischer, wie auf Verhaltensebene Veränderungen und Symptome des Parkinsonismus hervorruft. Daher kann es als geeignetes Agens zur Erforschung der Pathophysiologie der idiopathischen Parkinson-Krankheit des Menschen verwendet werden.
- Eine wichtige Folge der Komplex-I-Schädigung ist die Bildung von Peroxiden, NO und reaktiven Sauerstoffspezies, einhergehend mit einer Verarmung an Glutathion, die der Zelle oxidative Schäden zufügen und die Apoptose einleiten.
- Wie auch bei Parkinson-Patienten ist die Aktivität des geschwindigkeitsbestimmenden Enzyms des Dopaminstoffwechsels, der TH, in den geschädigten Zellen deutlich reduziert.
Noch ungeklärt ist allerdings die Hauptfrage, weswegen es überhaupt die dopaminergen nigrostriatalen Neurone sind, die untergehen, da Rotenon systemisch auf alle Zellen des Körpers wirkt. Ein wichtiger Grund liegt sicherlich in der applizierten Dosis: Bei großen Mengen kommt es zu systemischer Toxizität, während es bei niedrigen oder mittleren Mengen nur zu der beschriebenen Schädigung der spezifischen nigrostriatalen Neurone kommt (6).
Ganz offensichtlich haben andere Gewebe, wie z. B. das Epithel der Leber (10), bessere Abwehrmechanismen, als die dopaminergen nigrostriatalen Neurone. Eine Ursache dafür könnte im Abbau des Dopamins durch die MAO liegen, bei dem Wasserstoffperoxid entsteht und bereits bei intakten Neuronen große Mengen des Reduktionsäquivalentes Glutathion verbraucht werden. Auch durch nichtenzymatische Prozesse könnte Dopamin oxidiert werden.
Daraus kann man folgern, daß bei der erhöhten Entstehung von reaktiven Oxidationsprodukten nach Schädigung von Komplex I durch Rotenon nicht mehr genügend Glutathion zur Verfügung steht und es zur Schädigung der Zellen durch Sauerstoffradikale und NO kommen könnte (8). Jedoch werden bekanntermaßen auch die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin (20) ebenso wie Serotonin (21) durch MAOs abgebaut und die Neurone nicht geschädigt, so daß auch diese Hypothese nicht vollkommen zur Lösung der Problematik beiträgt. Völlig unklar ist weiterhin, weshalb fast ausschließlich dopaminergen Neurone des nigrostriatalen Systems apoptotisch werden, während andere dopaminerge Neurone, wie beispielsweise die des mesolimbisch-mesocortikalen Systems, unbeschädigt bleiben.
Auf diesem Gebiet besteht daher noch Forschungsbedarf, wobei die auf Rotenon basierenden Zell- und Tiermodelle von hohem Nutzen sein werden. Dabei darf jedoch nicht vernachlässigt werden, daß auch von anderen Substanzen, wie den eingangs erwähnten Pestiziden Paraquat und Dieldrin, möglicherweise eine Parkinson-Symptomatik ausgelöst werden kann, so daß derzeit auf diesem Gebiet ebenfalls Untersuchungen erfolgen, die in der Zukunft gewiß verstärkt werden.
Eine weitere Frage diesbezüglich wird sein, wie hoch der Anteil derartiger Stoffe, mit denen beinahe jeder von uns über die Umwelt und die Nahrung in Kontakt gerät, an der Genese der Parkinson-Krankheit ist, und ob gegebenenfalls für die Anfälligkeit gegen solche Agenzien eine genetische oder andere Form der Prädisposition besteht, so daß Schutzmaßnahmen eingeleitet werden können (5). Da die Parkinson-Erkrankung besonders häufig in Nordeuropa und Nordamerika vorkommt (1), wäre es auch von Interesse zu erfahren, ob in diesen Regionen Pestizide, die im Verdacht stehen, M. Parkinson auszulösen, besonders häufig im Einsatz waren oder noch sind.
Schließlich ist vorauszusehen, daß die Erforschung neuer kurativer und prophylaktischer Maßnahmen verstärkt werden wird, wobei mitochondrialen Defekten besondere Achtung geschenkt werden dürfte, wie beispielsweise die Arbeit von Seo et al. (9) zeigt, die mit der erfolgreichen Infektion von Neuronen mit einem "Schutzfaktor" einen möglicherweise auch eines Tages in vivo wirkenden Ansatz präsentiert. Durch das gehäufte Vorkommen der Krankheit in der nördlichen Hemisphäre ist es denkbar, daß sich auch zukünftig die pharmazeutische Industrie stärker in der Forschung engagieren wird, um einen lukrativen potentiellen Markt ausreichend beliefern zu können.
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Primärautor
Dieser Flexikon-Artikel ist eine Umsetzung einer Hausarbeit von Elmar Engin Borsdorff, vorgelegt der Medizinischen Fakultät der Charité, Berlin.
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