Atlanto-axiale Dislokation
Synonym: atlantoaxiale Dislokation
Englisch: atlanto-axial dislocation
Definition
Die atlanto-axiale Dislokation, kurz AAD, bezeichnet eine pathologische Fehlstellung zwischen dem ersten Halswirbel (Atlas) und dem zweiten Halswirbel (Axis) infolge einer Störung der normalen artikulären Beziehung im Atlantoaxialgelenk. Die Fehlstellung reicht morphologisch von einer Subluxation bis zu einer kompletten Luxation und ist von der atlanto-axialen Instabilität als funktionellem Konzept abzugrenzen.
Ätiologie
Die AAD kann nach ihrer Ursache in traumatische, kongenitale und entzündliche Formen unterteilt werden.
Traumatische Ursachen
- Direkte oder indirekte Gewalteinwirkung (z.B. Sturz, Verkehrsunfall, Sportverletzung) mit Ruptur des Transversalligaments
- Häufig begleitend Verletzung der Alarligamente
- Typ-II-Densfrakturen sind häufig mit AAD assoziiert
- Posttraumatische Os-odontoideum-Bildung kann zu chronischer Instabilität führen
Kongenitale Ursachen
Bestimmte Fehlbildungssyndrome gehen mit ligamentärer Laxität oder ossären Fehlbildungen der kraniocervikalen Region einher, z.B.:
- Down-Syndrom
- Goldenhar-Syndrom
- Morquio-Syndrom (Mukopolysaccharidose Typ IV)
Entzündliche Ursachen
Insbesondere im Rahmen einer rheumatoiden Arthritis führt die chronische Synovialitis zu ligamentärer Insuffizienz.
Klinik
Die klinischen Symptome reichen von leichten Nackenschmerzen bis zu schweren neurologischen Ausfällen:
- Nackenschmerz und eingeschränkte Beweglichkeit
- Parästhesien und Muskelschwäche
- Pyramidenbahnzeichen
- Ateminsuffizienz, Tetraplegie oder plötzlicher Tod bei spinaler Kompression
Chronisch-kongenitale Formen zeigen häufig eine progrediente Myelopathie und respiratorische Symptome. Akute Verläufe treten oft nach Bagatelltraumen auf.
Diagnostik
Zur bildgebenden Diagnostik der atlanto-axiale Dislokation werden zunächst Röntgenaufnahmen in Seitprojektion sowie in Flexions- und Extensionsstellung angefertigt, um das atlantodentale Intervall (ADI) zu beurteilen. Bei Erwachsenen gilt ein ADI von bis zu 3 mm, bei Kindern bis zu 5 mm als normal; Werte darüber weisen auf eine Instabilität hin. Der Space Available for Cord (SAC) beschreibt den Raum für das Rückenmark und liegt im Normalfall über 14 mm – ein geringerer Abstand ist mit einem hohen Risiko für eine Querschnittslähmung assoziiert.
Die CT ermöglicht die detaillierte Darstellung knöcherner Fehlbildungen, während die MRT insbesondere zur Beurteilung von Weichteilen, des Myelons und der ligamentären Strukturen dient. Ein Traktionstest kann helfen, zwischen reponiblen und irreponiblen Dislokationen zu unterscheiden.
Klassifikation
Es existieren mehrere Klassfikationssysteme:
- Greenberg (1968): unterscheidet reponible und irreponible Dislokationen
- Fielding und Hawkins (1977): Klassifikation nach Dislokationsrichtung (anterior, posterior, lateral, rotatorisch)
- Wang-Klassifikation (2013): klinisch-therapeutisch orientiert
| Typ | Beschreibung | Diagnose | Therapie |
|---|---|---|---|
| I | Instabilität | Reponibel in dynamischem Röntgen | Posteriore Fusion |
| II | Reponible Dislokation | Reponibel unter Traktion | Posteriore Fusion |
| III | Irreponible Dislokation | Nicht reponibel unter Traktion | Anteriore Dekompression und posteriore Fusion |
| IV | Knochenanomalien | Sichtbar im CT | Transorale Odontoidektomie |
Therapie
Ziel ist die Wiederherstellung der anatomischen Stellung, die Dekompression neuraler Strukturen und eine stabile Fusion.
Bei akuten Fällen ohne neurologische Defizite kann eine konservative Therapie durch kurzzeitige Traktion über 24 bis 48 Stunden erfolgen. Bei Kindern mit einem Grisel-Syndrom oder einer akuten ligamentären Läsion ist dieses Vorgehen ebenfalls möglich. Anschließend erfolgt die Versorgung mit einer Orthese und eine kontrollierte Mobilisation, bis eine ausreichende Stabilisierung erreicht ist.
Indikationen für einen operativen Eingriff sind neurologische Symptome, instabile ADI > 5 mm, Nicht-Reponibilität oder Myelopathie.
Prognose
Unbehandelt besteht ein erhebliches Risiko für eine Myelopathie und plötzliche Atemlähmung. Nach korrekter Reposition und Fusion ist die Prognose meist gut, wobei eine Einschränkung der Rotationsbewegung von bis zu 50 % verbleibt.
Quellen
- Yang et al., A Review of the Diagnosis and Treatment of Atlantoaxial Dislocations, Global Spine Journal, 2014
- Wang et al., Novel Surgical Classification and Treatment Strategy for Atlantoaxial Dislocations, Spine, 2013