Maligne Hyperthermie
Synonyme: Narkose-Hyperthermie-Syndrom, maligne Hyperpyrexie
Englisch: malignant hyperthermia
Definition
Bei der malignen Hyperthermie, kurz MH, handelt es sich um eine lebensbedrohliche Funktionsstörung der Skelettmuskulatur, die als Komplikation bei einer Allgemeinanästhesie auftreten kann. Ursächlich ist eine genetisch determinierte Fehlregulation des Calciumstoffwechsels, die unter Narkose zu einer hypermetabolischen Stoffwechselentgleisung führt.
Ätiopathogenese
Auslöser sind vermutlich Mutationen der Ryanodin-Rezeptoren oder der L-Typ-Calciumkanäle, die eine Störung der Calciumtransportvorgänge im Sarkoplasma auslösen. Der Defekt wird autosomal-dominant vererbt. Erhalten prädisponierte Patienten nun im Rahmen der Allgemeinanästhesie Inhalationsnarkotika (z.B. Halothan) und/oder depolarisierende Muskelrelaxantien wie Succinylcholin, kommt es zu einer massiven Calciumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum. Dies führt zu anhaltenden Muskelkontraktionen, die einen Anstieg der Körperkerntemperatur nach sich ziehen.
Epidemiologie
Bei Kindern tritt die maligne Hyperthermie bei etwa einer von 5.000 Narkosen auf, bei Erwachsenen bei einer von 50.000.
Klinik
Das erste, unspezifische Anzeichen einer malignen Hyperthermie ist die Tachykardie. Sie wird gefolgt von einer Hyperkapnie, die als erstes spezifisches Zeichen zu werten ist und mittels Kapnometrie feststellbar ist. Typisches Merkmal der malignen Hyperthermie ist ein früh einsetzender Rigor, der sich besonders schnell im Gesicht zeigt. Er manifestiert sich u.a. als Masseterspasmus, sodass ein Öffnen des Kiefers unmöglich ist.
Im weiteren Verlauf kommt es zur Hypoxie und damit zu Zyanose, Azidose und Hyperkaliämie. Zuletzt erfolgt der namensgebende Temperaturanstieg, der zu Kreislaufversagen, Eiweißdenaturierung (ab 41,5 °C), Degeneration des Muskelgewebes (Rhabdomyolyse), Myoglobinurie und Nierenversagen führt. Weiterhin können ein Crush-Syndrom und Hyperkaliämie-bedingte Herzrhythmusstörungen auftreten, die schließlich zum Tod des Patienten führen.
Triggerfaktoren
Als Triggerfaktoren für eine maligne Hyperthermie kommen in Frage:
- alle Inhalationsanästhetika, z.B. Halothan, Sevofluran, Desfluran, Isofluran – ausgenommen Lachgas
- depolarisierende Muskelrelaxantien wie Succinylcholin
- Stress
Sofortmaßnahmen
- Die Triggersubstanzen müssen sofort abgesetzt werden. Die Narkose sollte beendet oder als TIVA weitergeführt werden.
- Das Beatmungssystem sollte sofort mit maximalem Frischgasfluss mit reinem Sauerstoff gespült werden, um das Inhalationsanästhetikum aus der Atemluft zu entfernen. Der CO2-Absorber ist ebenfalls auszuwechseln. Das Schlauchsystem und Beatmungsgerät müssen nicht zwingend ausgetauscht werden.
- Das Ventilationsvolumen (Atemminutenvolumen) sollte in dem Maß erhöht werden, dass durch Hyperventilation und mit 100 % Sauerstoff unter kapnometrischer Kontrolle, annähernd ein physiologischer endexspiratorischer CO2-Wert erreicht wird.
- Wenn machbar (abhängig vom Narkosegerät), erhöht man das CO2-Absorbervolumen (Atemkalk) auf ein Maximum.
- Zur Durchbrechung der Calcium-Fehlregulation ist Dantrolen i.v. (Muskelrelaxans-Derivat) das Mittel der Wahl. Der wahrscheinliche Wirkmechanismus ist eine Blockierung des Ryanodin-Rezeptors.
- Des Weiteren sind grundsätzliche Maßnahmen wie Kühlung, Azidoseausgleich (mittels Natriumbicarbonat), Volumensubstitution, Maßnahmen zur Vermeidung einer Crush-Niere und intensivmedizinische Überwachung dringend indiziert.
Sichere Anästhetika
- Lachgas
- Injektionsanästhetika
- Nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien
Veterinärmedizin
Die maligne Hyperthermie ist auch bei Schweinen bekannt und wurde wahrscheinlich durch den Pietrain-Eber in die Zucht eingebracht. Die Symptome treten meist unter Stress z.B. während des Transportes zum Schlachthof auf. Aufgrund der starken Skelettmuskelkontraktionen und der erhöhten Wärmebildung entsteht das sogenannte PSE-Fleisch.