Cumarin-Derivat
Synonyme: Vitamin-K-Antagonisten, Cumarine
Englisch: coumarin derivative
Definition
Als Cumarin-Derivate oder kurz Cumarine bezeichnet man die von Cumarin abgeleiteten synthetischen Verbindungen, die eine Strukturähnlichkeit mit einem Fragment des Vitamin K aufweisen und damit als kompetitive Antagonisten in den Vitamin-K-Stoffwechsel eingreifen können.
Wirkmechanismus
Cumarin-Derivate hemmen die Vitamin-K-abhängige γ-Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX, X (Merkhilfe "1972": IX, X, II, VII) sowie der antikoagulatorischen Proteine C, S und Z in der Leber. Sie haben keine Wirkung als Antikoagulantien in vitro.
Wirkstoffe
Wichtige, in der Humanmedizin therapeutisch eingesetzte, Cumarin-Derivate sind:
- Phenprocoumon mit einer langen Plasmahalbwertszeit (HWZ) von 140 Stunden
- Warfarin mit einer mittleren HWZ von 40 Stunden
- Acenocoumarol mit einer kurzen HWZ von 10 Stunden (nicht in Deutschland zugelassen)
Die Dauer bis zum Wirkungseintritt beträgt bei allen drei Cumarinen rund 2 bis 3 Tage. Je länger die HWZ, desto länger die Wirkdauer. Der Nachteil einer langen Wirkdauer ist, dass die Medikation vor operativen Eingriffen früher abgesetzt werden muss.
Andere Cumarine mit einer wesentlich längeren Eliminationshalbwertszeit (sog. "Supercumarine") werden als wirksame Rodentizide (Rattengift) eingesetzt.
Indikationen
Cumarine werden zur oralen Antikoagulation und Prophylaxe von Thrombembolien verwendet. Eine häufige Indikation ist das chronische Vorhofflimmern, wobei die Ausbildung von Thromben im Vorhof verhindert und das Schlaganfallsrisiko gesenkt wird. Bei Herzklappenersatz werden ebenfalls Cumarine eingesetzt. Bei Bioklappen erfolgt die Antikoagulation vorübergehend, bei mechanischen Herzklappen hingegen lebenslang.
Dosierung
Die therapeutische Dosis ist von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass das für die Vitamin-K-Wirkung verantwortliche Enzym, die Vitamin-K-Epoxid-Reduktase, hochgradig polymorph ist. Darüber hinaus gibt es verschiedene Varianten im Abbaustoffwechsel der Cumarine. Schließlich ist die Wirkung noch von der Vitamin-K-Aufnahme des Patienten abhängig. Deshalb wird die Dosierung der Cumarine nach der INR eingestellt und während der Behandlung fortlaufend kontrolliert. Je nach erwünschter Stärke der Antikoagulation liegt der INR-Zielbereich bei 2 bis 3 oder 3 bis 4,5. Ein Indikator für die Qualität der laufenden Gerinnungskontrolle und Dosisanpassung ist die Time in Therapeutic Range.
Sicherheitshinweise
Aufgrund der kürzeren Plasmahalbwertszeit der antikoagulatorischen Proteine C und S im Vergleich zu den prokoagulatorischen Gerinnungsfaktoren kann es zu Beginn einer Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten zur fehlenden Hemmung der Blutgerinnung und damit zu lebensbedrohlichen Thrombosen oder Embolien, wie der sog. Cumarinnekrose, kommen. Deswegen wird eine Cumarin-Therapie immer parallel mit der Gabe von Heparin begonnen. Die Wirkung der Vitamin-K-Antagonisten beginnt etwa nach sechs Stunden und ist erst nach ein bis zwei Tagen voll erreicht.
Cumarin-Derivate können fruchtschädigend wirken und eine Cumarin-Embryopathie (z.B. Dandy-Walker-Syndrom oder fetales Warfarin-Syndrom) auslösen. Sie müssen deswegen während der Schwangerschaft abgesetzt und gegen andere Antikoagulantien ausgetauscht werden. Es muss sichergestellt sein, dass Patientinnen während der Therapie nicht schwanger werden.
Bei dauerhafter Behandlung mit Cumarinen sollten die Patienten einen Antikoagulanzien-Pass mit sich tragen, in dem die Dosierung und INR/Quick-Werte im Verlauf dokumentiert werden.
Der Patient ist darauf hinzuweisen, dass auch kleinere Bagatelltraumen zur Ausbildung von verhältnismäßig großen Hämatomen führen können. Bei venösen Blutentnahmen ist auf eine möglichst minimale Traumatisierung des Gewebes Wert zu legen und die Kompression der punktierten Vene im Anschluss länger durchzuführen. Intramuskuläre Injektionen sind bei mit Cumarinen behandelten Patienten streng kontraindiziert.
Medikation bei invasiven Eingriffen
Vor planbaren operativen Eingriffen wird die blutgerinnungshemmende Medikation vorübergehend umgestellt (Bridging). Bei Notfalleingriffen oder Blutungskomplikationen müssen Cumarin-Derivate abgesetzt werden bzw. ihre Wirkung antagonisiert werden. Nach Absetzen besteht aufgrund des biologischen Wirkungsmechanismus eine Latenzzeit von 2-3 Tagen bis die Vitamin-K-vermittelte Synthese der Gerinnungsfaktoren wieder einsetzen kann. Zudem ist zu beachten, dass Phenprocoumon eine sehr lange Eliminationshalbwertszeit aufweist, die zur sehr langsamen Erholung der Blutgerinnung beiträgt. Die Eliminationshalbwertszeit des Warfarins ist kürzer.
Muss die Blutgerinnung schneller wiederhergestellt werden, ist als zusätzliche Maßnahme zum Absetzen der Cumarine die Gabe von Vitamin K oral - oder i.v. - sinnvoll. Dieses wirkt mit der gleichen Latenz wie die Cumarine in entgegengesetzter Richtung. Kann nicht lange zugewartet werden, können die Gerinnungsfaktoren substituiert werden. Dies kann in Form von Prothrombinkomplex-Konzentrat (PPSB) oder - falls gleichzeitig ein Volumenmangel vorliegt - durch Gerinnungsaktives Plasma erfolgen. Diese Präparate wirken sofort und ermöglichen eine schnelle Normalisierung der Gerinnung für eine Operation, z.B. bei einer Schenkelhalsfraktur.
Nebenwirkungen
Die wichtigste unerwünschte Wirkung der Cumarine ist die Blutung. Je niedriger der Quick-Wert ist, desto höher ist das Risiko für Blutungen. Blutungen können in vielen verschiedenen Organsystemen entstehen, z.B.:
Die Blutung ist eigentlich keine "Nebenwirkung" von Cumarinen, sondern ein unerwünschter Effekt der Hauptwirkung, also der Antikoagulation.
Selten kommt es nach Einnahme von Cumarinen zu Urtikaria, Ekzemen und diffusem Haarausfall (reversibel). In einzelnen Fällen sind Leberschädigung (Transaminasen), Erbrechen und Diarrhö nach Einnahme von Cumarinen beschrieben. Sehr selten kann es zu Nekrosen der Haut, sogenannten Cumarinnekrosen kommen (siehe Sicherheitshinweise).
Wechselwirkungen
Durch die hohe Plasmaproteinbindung und vorwiegend hepatische Elimination der Cumarine sind vielfältige Wechselwirkungen mit anderen eingenommenen Arzneimitteln zu erwarten.
Eine Wirkungsverstärkung erfolgt beispielsweise durch:
- NSAR
- Tetrazykline
- Valproat
- Erythromycin
- Allopurinol
- Anabolika
- Levothyroxin
- Sulfonamide (z.B. auch Sulfonylharnstoffe)
- Chloramphenicol
Eine Abschwächung der Wirkung lösen aus:
Wechselwirkungen mit Nahrung/Genußmitteln
Eine chronische Einnahme von Alkohol (z.B. in Form von 2 Flaschen Bier/d) bewirkt durch eine Induktion der Biotransformation in der Leber eine abgeschwächte Wirkung von Cumarinen.
Werden unter der Therapie mit Cumarinen größere Mengen stark Vitamin-K-haltiger Nahrungsmittel (z.B. Grünkohl) aufgenommen, kann die Wirkung von Cumarinen stark abgeschwächt werden. Der Patient muss daher informiert sein, dass er keine abrupten Diätwechsel vornehmen darf.
Kontraindikationen
Kontraindikationen für die Anwendung von Cumarinen sind:
- Erhöhte Blutungsbereitschaft (z.B. bei Hämorrhagischer Diathese, Leberfunktionsstörung)
- Schwangerschaft
- Stillzeit: Cumarine gehen in geringem Umfang in die Muttermilch über. Das diesbezügliche Risiko wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Da Studien an Frühgeborenen nicht vorhanden sind, sollte eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Säuglinge können prophylaktisch Vitamin K1 erhalten.
- Gastroduodenale Ulkuskrankheit
- Hypertonie (unbehandelt)
- Apoplexie (Gefahr von sekundären Einblutungen)
- Schädel-Hirn-Trauma
- Hirnarterienaneurysma
- blutungsgefährdete Retinopathien
- erhöhte Fallneigung (erhöhtes Risiko für ausgedehnte Hämatome/Blutungen)
- Malignome
Pharmazeutisch relevante Droge
- Steinkleekraut (Droge: Meliloti herba, Stammpflanze: Melilotus officinalis L. , Familie: Fabaceae)
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