Transiente globale Amnesie
Synonym: transitorische globale Amnesie
Englisch: transient global amnesia
Definition
Die transiente globale Amnesie, kurz TGA, ist eine akut einsetzende, vorübergehende Störung der Gedächtnisfunktionen, die sich innerhalb von maximal 24 Stunden wieder zurückbildet.
- ICD10-Code: G45.4
Epidemiologie
Die Inzidenz der transienten globalen Amnesie liegt bei etwa 3 bis 8 Fällen pro 100.000 Personen/Jahr. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen. 75 % der Betroffenen sind zwischen 50 und 70 Jahre alt. Bei Personen < 50 Jahren handelt es sich um eine Rarität. Eine TGA bei Patienten < 30 Jahren wurde bisher (2023) nicht beschrieben.
Ätiologie
Die genaue Ursache der TGA ist derzeit (2023) unklar. Angenommen wird eine multifaktorielle passagere Funktionsstörung des mediobasalen Temporallappens unter Einschluss beider Hippocampi. Denkbar sind eine gestörte Konnektivität im limbischen System und der Verlust der Fehlertoleranz hippocampaler neuronaler Netzwerke mit Ausfall der synaptischen Übertragung.
Trigger
Das Risiko für eine TGA ist am Vormitag (10 bis 11 Uhr) und am späten Nachmittag (17 bis 18 Uhr) am größten. Bei bis zu 85 % der Betroffenen gehen der TGA Ereignisse voraus, die möglicherweise als Auslöser infrage kommen:
- ausgeprägte körperliche Anstrengungen
- emotional-psychische Belastungen
- Sprung ins kalte Wasser
- Geschlechtsverkehr
In den übrigen Fällen tritt die TGA spontan auf.
Zerebrale Ischämie
Eine zerebrale Ischämie als Ursache gilt als unwahrscheinlich. Es zeigt sich keine Assoziation mit kardiovaskulären Risikofaktoren und keine Häufung von Infarkten. Die Prävalenz eines Vorhofseptumdefekts ist bei TGA-Patienten deutlich häufiger als in der Gesamtbevölkerung. Ob eine paradoxe Hirnembolie einen möglichen Auslöser darstellt, ist jedoch umstritten.
Migräne
12 bis 30 % der TGA-Patienten weisen eine positive Migräneanamnese auf. Ein kausaler Zusammenhang ist umstritten. Als gemeinsames pathophysiologisches Korrelat liegt möglicherweise eine sogenannte Streudepolarisation vor.
Venöse Kongestion
Häufig geht der TGA eine Episode mit Valsalva-ähnlichem Manöver voraus. Denkbar ist, dass es duch den erhöhten intrathorakalen Druck zu einem reduzierten venösen Rückstrom zum Herzen und einer gleichzeitigen intrakraniellen venösen Hypertension kommt. Dies könnte mit einer passageren venösen Ischämie gedächtnisrelevanter Areale assoziiert sein.
Psychische und physische Stressoren
Einer TGA geht häufig ein emotional oder physisch belastendes Ereignis voraus. TGA-Patienten zeigen dabei signifikant häufiger psychiatrische Vorerkrankungen. Eine stressvermittelte Kaskade und eine vorübergehende Störung der zellulären Energieversorgung im Hippocampus könnte zugrunde liegen.
Klinik
Die TGA ist eine akut aufgetretene, ausgeprägte Gedächtnisstörung mit retrograder und anterograder Amnesie, die mindestens eine Stunde andauert und sich in der Regel binnen 24 Stunden zurückbildet. Meist dauert die Episode 6 bis 8 Stunden. Bei typischer Klinik kann die TGA auch bei einer unter einer Stunde andauernden Episode diagnostiziert werden.
Die Merkspanne für neue Informationen ist auf 30 bis 180 Sekunden begrenzt (anterograde Amnesie). Deshalb sind die Patienten zeitlich und situativ oft nicht, zur Person jedoch immer orientiert. Typisch sind repetitive Fragen. Es besteht keine Vigilanzminderung; die Patienten sind wach und kontaktfähig, erscheinen jedoch ratlos und beunruhigt. Gleichzeitig ist der Zugriff auf alte Gedächtnisinhalte gestört (retrograde Amnesie). Dabei sind Ereignisse aus der jüngeren Vergangenheit in der Regel stärker betroffen. Komplexe Tätigkeiten wie z.B. Auto fahren oder Kochen können ausgeführt werden.
Bis auf die Amnesie fehlen Fokalzeichen, die z.B. auf einen Schlaganfall deuten würden sowie zusätzliche kognitive Defizite. Ein vorangegangenes Trauma oder ein epileptischer Anfall als Ursache der Symptome müssen ausgeschlossen werden.
Mögliche unspezifische Begleitsymptome sind Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Schwitzen und Tachykardie. Vegetative Beschwerden (z.B. Nervosität, Reizbarkeit) können einige Tage anhalten. Nach Abklingen der TGA bleibt dauerhaft eine mnestische Lücke für den Zeitraum des akuten Intervalls.
Diagnostik
Die Diagnose der TGA wird klinisch gestellt. Bei untypischer Klinik oder Verdacht auf mögliche Differenzialdiagnosen muss eine weitergehende Diagnostik erfolgen.
Anamnese, körperliche Untersuchung
Die Diagnose der TGA basiert insbesondere auf der Eigen- und Fremdanamnese sowie der neurologischen Untersuchung. Klinische Symptome wie Somnolenz, starke Kopfschmerzen, Fieber oder eine inkomplette Rückbildung nach über 24 Stunden sprechen gegen eine TGA.
Das Ausmaß der Amnesie kann durch einfache klinische Untersuchungen, z.B. das Erinnern von 3 Begriffen oder das Wiederfinden von Objekten, die vorher im Raum versteckt wurden, beurteilt werden. Zusätzlich führt man formale neuropsychologische Tests durch. Ein Beispiel ist der Verbal Selektive Reminding Test (VSRT).
Labor
Laborchemisch werden insbesondere Glukose- und Elektrolytentgleisungen ausgeschlossen.
Bildgebung
Ein MRT ist bei typischer Klinik nicht obligat, sie kann die Diagnose jedoch positiv unterstützen. Der Nachweis von typischen uni- oder bilateralen punktförmigen diffusionsgestörten (DWI-hyperintensen, ADC-hypointensen), T2w-hyperintensen Läsionen im Hippocampus (insbesondere CA1-Region) belegt eine TGA. Diese Läsionen treten charakteristischerweise nach Abklingen der Symptome auf, mit der höchsten Detektionsrate 24 - 72 Stunden nach Symptombeginn. Diese Läsionen können noch 10 - 14 Tage nachweisbar sein. Bis zu 11 % der Patienten weisen zusätzlich kleine DWI-Veränderungen außerhalb des Hippocampus auf, jedoch muss in diesem Fall eine vaskuläre Genese bedacht und eine sonographische und kardiale Diagnostik durchgeführt werden.
Bei atypischer Klinik ist eine unverzügliche Bildgebung mittels CT oder MRT zum Ausschluss von akuten Differenzialdiagnosen notwendig.
Elektroenzephalographie
TGA-Patienten haben ein unauffälliges EEG, gelegentlich finden sich Theta- und Delta-Wellen in den temporalen Ableitungen. Ein EEG kann die Abgrenzung gegenüber den seltenen anmnestischen epileptischen Attacken, insbesondere bei höherfrequenten rezidivierenden Verläufen (> 3/Jahr) erleichtern. Ein unauffälliges EEG schließt eine epileptische Genese jedoch nicht aus.
Differentialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch müssen – vor allem bei atypischen Symptomen – ein ischämischer Schlaganfall bzw. eine TIA im Posteriorstomgebiet mit Beteiligung des Hippocampus ausgeschlossen werden. Dabei treten in der Regel weitere Symptome auf wie Vigilanzstörung, Ataxie, Hemianopsie, Nystagmus oder Dysarthrie auf.
Eine weitere Differenzialdiagnose ist die transiente epileptische Amnesie (TEA). Die Attacken sind meist kürzer als eine Stunde und häufiger (meist > 3 - 5 pro Jahr). Gegebenenfalls liegt eine positive Anamnese für klassische komplex-partielle Anfälle vor. Hinweisend sind weitere Zeichen der Epilepsie wie z.B. Schmatzen oder olfaktorische Halluzinationen und ein gutes Ansprechen auf Antikonvulsiva. Das interiktale EEG ist in der Regel auffällig. TGA und TEA können auch nacheinander auftreten, wobei die hippocampale Schädigung einen möglichen epileptischen Fokus darstellt.
Weitere Differenzialdiagnosen mit akut einsetzenden Gedächtnisstörungen lassen sich meist anamnestisch und klinisch abgrenzen. Dazu zählen:
- Schädel-Hirn-Trauma
- Intoxikationen, Medikamentennebenwirkungen
- Hypoglykämie
- Initialstadium der Herpes-Enzephalitis
- Blutung bzw. Ischämie von Hippocampus und Thalamus
- psychogene bzw. dissoziative Gedächtnisstörungen
- fluktuierende bzw. vorbestehende Symptome z.B. bei Morbus Alzheimer oder Korsakow-Syndrom
Therapie
Eine kausale Therapie ist bisher (2023) nicht bekannt. Im Vordergrund steht die Beruhigung des Patienten und der Angehörigen. Eine stationäre Überwachung für mindestens 24 Stunden bzw. bis zum Abklingen der Symptome kann erwogen werden, insbesondere wenn keine Möglichkeit einer Beaufsichtigung durch Angehörige besteht.
Prognose
Das Rezidivrisiko liegt zwischen 12 und 27 %. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen TGA-Rezidivrisiko und Migräne, Depression und sexueller Aktivität als Triggerfaktor.
Leichte kognitive Störungen können, vor allem bei wiederholter TGA, noch einige Wochen nach dem Ereignis bestehen. Bislang gibt es keine Hinweise auf chronische Folgeerscheinungen wie z.B. zerebrale Ischämien, chronische Gedächtnisstörungen oder demenzielle Syndrome. Auch die bildgebenden Befunde sind im weiteren Verlauf nicht mehr nachweisbar.
Quellen
- Sander D et al. AWMF S1-Leitlinie Transiente globale Anmnesie, Stand 10/2022
- Hufschmidt, Andreas; Lücking, Carl Hermann; Rauer, Sebastian; et al. (2017): Neurologie compact - Für Klinik und Praxis. Thieme. 697-698.
- Radiopaedia Transient global amnesia, abgerufen am 28.01.2023
Peer-Review durch Bijan Fink |
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