Thalamische Aphasie
Englisch: thalamic aphasia
Definition
Als thalamische Aphasie bezeichnet man eine Sprachstörung, der eine Läsion des Thalamus zugrundeliegt. Sie gilt als vergleichsweise mild und geht vor allem mit semantischen Paraphasien einher.
Epidemiologie
Populationsbezogene epidemiologische Daten liegen nicht vor. Unter Patienten mit isolierten Thalamusinfarkten entwickeln etwa 44 % eine Aphasie.[1]
Ätiologie und Pathogenese
Ursächlich sind vor allem Läsionen des linksseitigen oder beider Thalami, gelegentlich aber auch desjenigen der rechten Seite.[1][2][3][4] Auslöser sind dabei beispielsweise:[2][3][5]
- Thalamusinfarkte
- Thalamusblutungen
- tiefe Hirnstimulation in Thalamusnähe (z.B. bei Morbus Parkinson, essentiellem Tremor)
- Tumoren
- Infektionen, Hirnabszesse
- Thalamotomie
Die genaue Rolle des Thalamus für Sprachgenerierung und -verständnis ist komplex und derzeit (2025) noch nicht abschließend geklärt. Für verschiedene Thalamuskerne ist eine starke Konnektivität zu den kortikalen Sprachzentren sowie eine Einbindung in Neuronenschleifen für Sprachinitiierung, Artikulation und Wortselektion beschrieben.[2][3] Dem Thalamus wird dabei die Rolle einer Leitstation und/oder einer Koordinierungssinstanz zugesprochen.[2][5]
Aphasische Störungen werden dabei primär durch eine Netzwerkstörung mit Dysfunktion (Diachisis) oder Entkopplung (Diskonnektion) angebundener Kortexanteile erklärt.[2][3][5] Als Mechanismus einer kortikalen Diachisis wird dabei unter anderem eine kortikale Hypoperfusion diskutiert, was auch die rasche Rückbildungstendenz erklären könnte.[2][5] Möglicherweise entstehen insbesondere die semantisch-lexikalischen Störungen, die als zentrales Merkmal der Aphasieform gelten, auch durch den Ausfall einer direkten, aktiv integrativen Rolle des Thalamus beim lexikalischen Abruf.[2] Einige sprachliche Funktionsausfälle sind auch sekundärer Natur und Folge einer Antriebs- oder Exekutivfunktionsstörung (z.B. verminderte Spontansprache und Perseverationen), weswegen sie teilweise auch eher als kognitive Dysphasie aufgefasst werden.[3]
Klinik
Die Klinik einer thalamischen Aphasie kann je nach betroffenem Kerngebiet variieren.[2][3] Grundsätzlich gelten Aphasien durch Thalamusläsionen als vergleichsweise mild, wobei vor allem lexikalisch-semantische Störungen wie semantische Paraphrasien und seltener Neologismen im Vordergrund stehen.[1][2][5] Überdies können jedoch auch eine verminderte Spontansprache, Benennstörungen, Perseverationen und Wortwiederholungen vorkommen.[2][3] Schriftsprache, Syntax, Nachsprechen, Vorlesen und Sprachverständnis sind in der Regel intakt.[1][2][3][4]
In Abhängigkeit vom geschädigten Thalamusanteil zeigen sich typischerweise:[2][3][4]
| Kerngruppe | versorgendes Gefäß | Klinik |
|---|---|---|
| anteriore Thalamusanteile (v.a. Ncll. anteriores, Ncl. ventralis lateralis) | Arteria thalamoperforans anterior |
|
| inferomediale Thalamusanteile (v.a. Ncl. ventralis posteromedialis, Ncl. medialis dorsalis, Ncl. centromedianus, ventromediales Pulvinar) | Arteria paramediana thalami |
|
| inferolaterale Thalamusanteile (v.a. Ncl. ventralis posterolateralis) | Arteria thalamogeniculata |
|
| posterolaterale Thalamusanteil (insbesondere laterales Pulvinar) | Arteria choroidea posterior | Aphasie eher selten, wenn vorhanden:
|
Anmerkung: Die Gefäßversorgung einzelner Thalamusanteile kann deutlich variieren, weswegen Verschlüsse oben genannter Gefäße nicht zwingend mit einer spezifischen Kernschädigung oder einer klinischen Aphasievariante verbunden sind.
Diagnostik
Die Diagnosestellung geschieht klinisch im Rahmen der Sprachprüfung, wobei neben der Begutachtung der Spontansprache auch Benennprüfungen vorgenommen werden sollten. Zur Diagnosesicherung kann auf standardisierte Aphasietestverfahren wie die Aphasie-Check-Liste (ACL) oder die Aachener Aphasie-Testbatterie zurückgegriffen werden.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Ursache. Zudem können Maßnahmen einer linguistischen Rehabilitation erfolgen.
Prognose
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Rangus et al., Frequency and phenotype of thalamic aphasia, Journal of Neurology, 2021.
- ↑ 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 2,11 2,12 2,13 2,14 Fritsch et al., Thalamic Aphasia: a Review, Current Neurology and Neuroscience Reports, 2022.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 3,8 Heidler, Thalamische Aphasien: Ätiologie und Erscheinungsformen von Sprachverarbeitungsstörungen nach Thalamusläsionen, Zeitschrift für Neuropsychologie, 2019.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Nolte et al., Vaskuläre Syndrome des Thalamus, Der Nervenarzt, 2010.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 Fritsch et al., Aphasie nach ischämischem Hirninfarkt im links anterioren Thalamus, Nervenheilkunde, 2020.