Sensibilitätsstörung
Definition
Sensibilitätsstörungen sind neurologische Symptome, die auf einen teilweisen oder kompletten Ausfall der Sensibilität in Körperarealen zurückzuführen sind.
Ausfall sensibler Qualitäten
Bei der Prüfung von Sensibilitätstörungen sollte immer einer Unterscheidung der verschiedenen sensiblen Qualitäten erfolgen.
- Berührungsempfindung
- Temperaturempfindung
- Vibrationsempfindung
- Schmerzempfindung
- Bewegungsempfindung
- Lageempfindung
- Kraftempfindung
Zur Prüfung der einzelnen Qualitäten siehe: Sensibilität.
Als Grundbegriffe von Sensibilitätstörungen gelten:
Verteilungsmuster von Sensibilitätsstörungen
Aus der Verteilung von Sensibilitätsstörungen über den Körper lassen sich Rückschlüsse auf die Ursache der Störung ziehen.
Charakteristische Verteilungsmuster der Befunde lassen sich bei der Verletzung peripherer Nerven, bei radikulärer Schädigung eines Spinalnerven erheben.
Peripheres Verteilungsmuster
Das periphere Verteilungsmuster entspricht dem Ausfall der Sensibilität im Versorgungsgebiet eines peripheren Nerven (z.B. Nervus femoralis). Es fallen alle sensiblen Qualitäten gleichzeitig aus.
Charakteristischerweise ist das Areal mit Analgesie kleiner als das Areal der Anästhesie. Zusätzlich bestehen vegetative Störungen wie Anhidrosis, da im peripheren Nerven verlaufende vegetative Fasern auch geschädigt sind.
Radikuläres Verteilungsmuster
Das radikuläre Verteilungsmuster entsteht bei einer Schädigung der Spinalnervenwurzel. Am besten wird eine radikuläre Sensibilitätsstörung durch Prüfung der Schmerzempfindung aufgedeckt.
Der Sensibilitätsausfall für Schmerzen erstreckt sich dann streng segmental auf das Dermatom, welches von der Nervenwurzel versorgt wird. Bei Prüfung der Schmerzempfindung gelingt diese Zuordnung genauer, da sich die Berührungsempfindung benachbarter Dermatome in der Regel weiter überlappt.
Eine gesondert anzusprechende Form des radikulären Sensibilitätsausfalls ist die sogenannte Reithosenanästhesie, welche einen Notfall darstellen kann.
Querschnittförmiges Verteilungsmuster
Besteht eine Sensibilitätsstörung ab einer bestimmten Höhe, so kann hieraus fast immer auf den Ort der Schädigung geschlossen werden. Bei Querschnittsyndromen besteht am Übergang von sensibler und gestörter Etage häufig ein dysästhetisches Areal mit Missempfindungen.
Dissoziierte Sensibilitätsstörungen
Dissoziierte Sensibilitätsstörungen bezeichnen einen Zustand, bei dem an einer Körperstelle keine Schmerzen und Temperatur empfunden werden, jedoch Berührungen immer noch wahrgenommen werden. Sie sind Ausdruck von Schädigungen, bei denen aufsteigende Bahnen im Rückenmark teilweise kreuzen und so bei definierter Schädigung auf dem Weg ins Gehirn nur einzelne Qualitäten ausfallen. Die Druckwahrnehmung ist auch nicht betroffen.
Störung komplexer Sensibilitätsleistungen
Durch bestimmte Erkrankungen kann es zu Ausfällen komplexer Sensibilitätsleistungen wie einer Astereognosie oder fehlender Dermolexie kommen.
Polyneuropathien
Bei Polyneuropathien finden sich bevorzugt Sensibilitätsstörungen im Bereich kleiner distaler Nerven der Extremitäten, wobei meist mehrere kleine Nerven gleichzeitig betroffen sind und zu einer strumpf- bzw. handschuhförmigen Sensibilitätsstörung führen.
Ätiologie
Art und Ausmaß der Sensibilitätsstörung erlauben eine Zuordnung von Ursachen.
Ein peripheres Verteilungsmuster ergibt sich bei Schädigung eines oder mehrerer peripherer Nerven, zusätzlich auch als komplexe Ausfälle mehrerer Nerven bei Plexusläsionen (z.B. Erb-Lähmung). Besteht eine motorische Funktion des Nerven, bestehen zusätzlich zum Sensibilitätsausfall auch Paresen bzw. Paralysen.
Ein radikuläres Verteilungsmuster ist typisch für rückenmarksnahe Affektionen von einer oder mehrerer Spinalnervenwurzeln (lumbales Wurzelsyndrom, zervikales Wurzelsyndrom, Spinalkanalstenose).
Ein komplettes Querschnittssyndrom entsteht häufig traumatisch oder durch verdrängend wachsende Raumforderungen und führen zu einem entsprechenden Sensibilitätsausfall.
Ein inkomplettes Querschnittsyndrom kann durch verschiedene Erkrankungen hervorgerufen werden (Brown-Sequard-Syndrom, Arteria-spinalis-anterior-Syndrom) und ruft charakteristischerweise eine dissoziative Empfindungsstörung hervor. Gleiches gilt für Läsionen auf Ebene des Hirnstamms, die auch als Alternans-Syndrom bezeichnet werden.
Vorzugsweise Schädigung der Hinterstrangbahnen, beispielsweise bei der Tabes dorsalis (Syphilis) und der funikulären Myelose, führen zu ausgeprägten Sensibilitätsstörungen und Ataxie.
Umschriebene Läsionen der Großhirnrinde führen meist zu Ausfällen komplexer Sensibilitätsfunktionen (Astereognosie, pathologischer sensibler Funktionswandel mit z.B. fehlender Dermolexie). Läsionen der Capsula interna haben eine kontralaterale Hypästhesie und Hypalgesie zur Folge.
Bei einer Schädigung des Thalamus kommt es zu einer Hyperpathie mit ausgeprägten Schmerzen und komplexen Sensibilitätsausfällen, wobei insbesondere Bewegungs- und Lageempfindung eingeschränkt sind.