Rett-Syndrom
nach Andreas Rett (1924 bis 1997), österreichischer Neuropädiater
Englisch: Rett's syndrome
Definition
Das Rett-Syndrom ist eine tiefgreifende, genetisch bedingte Entwicklungsstörung, die nur bei Mädchen vorkommt. Es handelt sich um eine frühkindlich beginnende und progressive Enzephalopathie, die durch eine Neumutation in den Keimzellen hervorgerufen wird.
- ICD10-Code: F84.2
Epidemiologie
Das Rett-Syndrom ist, abgesehen von der Trisomie 21, eine der häufigsten Ursachen für geistige Behinderung bei Mädchen. Die Prävalenz wird auf 5 bis 10 Fälle von 100.000 Frauen geschätzt.[1]
Ursache
In über 90 % der Fälle ist die Ursache eine Mutation im MECP2-Gen, das für das Methyl-CpG-Bindeprotein 2 kodiert oder eine Deletion dieses Gens. Die restlichen Fälle werden mit Duplikationen von MECP2 in Verbindung gebracht oder durch Mutationen in CDKL5 (Cyclin-dependent kinase-like 5) oder FOXG1 (Forkhead box protein G1) verursacht.
Vererbung
Es handelt sich um eine X-chromosomal-dominante, gonosomale Vererbung. Das heißt, dass die krankheitsauslösende Mutation erst in den Gonaden, im speziellen Fall in den Spermien, erfolgt. Aus diesem Grund sind die Eltern von betroffenen Kindern selbst nicht erkrankt.
Die Erkrankung manifestiert sich in der Regel nur bei weiblichen Nachfahren. Männliche Neugeborene, die das mutierte X-Chromosom der Mutter erhalten, sterben in der Regel vor der Geburt. Bei den sehr selten beobachteten Fällen von betroffenen Jungen handelt es sich meist um somatische Mosaike oder um Jungen mit mehr als einem X-Chromosom (z.B. Klinefelter-Syndrom).
Symptome
Charakteristisch für das Rett-Syndrom sind die Stereotypien der Hände, die sogenannten "washing movements". Betroffene Kinder zeigen des Weiteren ein teilweise autistisches Verhalten, Demenz und ein verringertes Kopfwachstum. Das Sozialverhalten und die Spielentwicklung der Kinder sind stark gehemmt, während das Sozialinteresse weiter besteht.
Später treten vermehrt epileptische Anfälle und Spastiken auf. Es kommt zur Apraxien, Muskelschwund und Symptomen, die vom extrapyramidalmotorischen System ausgehen. Hierbei handelt es sich unter anderem um Bewegungsstörungen im Bereich des Thorax.
Weitere klinisch relevante Symptome sind Schluckstörungen und Obstipation sowie Atemstörungen, die sich durch Hyperventilation, Aerophagie und Apnoe äußern.
Verlauf und Prognose
Betroffene Mädchen entwickeln sich zunächst scheinbar normal. Zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat kommt es jedoch zu einem Stillstand und sogar zu einer Regression in der Entwicklung. Dies bedeutet, dass bereits erlernte Fähigkeiten, wie z.B. das Benutzen der Hände, verlernt werden. Die Lebenserwartung ist meist leicht verringert.[2]
Es gibt eine weltweit anerkannte Einteilung des Rett-Syndroms in vier Stadien nach Hagberg und Witt-Engerström.
Stadium 1: Verlangsamungsstadium (6.-18. Lebensmonat)
Die motorische Entwicklung verlangsamt sich und kommt irgendwann komplett zum Erliegen. Das autistische Verhalten äußert sich in einem Desinteresse an der Umwelt, seltenerem Blickkontakt, und einer Abnahme der Aktivitäten. Der Kopfumfang wächst langsamer als bei gleichaltrigen Kindern.
Stadium 2: schnelles Destruktiv-Stadium (1.-4. Lebensjahr)
In diesem Stadium kommt es zu der bereits beschriebenen Regression in der Entwicklung. Das bedeutet, dass bereits erlernte Fähigkeiten wieder vergessen werden. Besonders betrifft dies die Sprache und den Gebrauch der Hände. Hier treten nun erstmalig die sogenannten "washing movements" auf. Das Sozialverhalten der Kinder nimmt stark ab; sie isolieren sich. Es kann zu plötzlich einsetzenden Schreiphasen kommen.
Stadium 3: Plateau- oder pseudostationäre Phase (2.–10. Lebensjahr)
Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch ein Abklingen der Symptomatik. Die autistischen Verhaltensweisen treten in den Hintergrund und die Sozialkompetenz der Kinder verbessert sich leicht. Epileptische Anfälle, Apraxien und Stereotypien treten jedoch weiterhin auf bzw. können sich sogar leicht verstärken. Auffällig wird ein unsicheres Gehen.
Stadium 4: spätes motorisches Verschlechterungsstadium (ca. ab dem 10. Lebensjahr)
Im letzten Stadium verbessert sich das Sozialverhalten der Kinder weiter; sie werden kontaktfreudiger. Es kommt seltener zu Anfällen und es zeigen sich kognitive Fortschritte. Entgegengesetzt verhält es sich mit der Grobmotorik. Diese verschlechtert sich so rapide und stark, dass ein Großteil der Betroffenen auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
Therapie
Zur Zeit (2024) ist keine kausale Therapie des Rett-Syndroms bekannt. Es befinden sich jedoch verschiedene Gentherapien in frühen Phasen der klinischen Entwicklung.[3]
Trofinetid, ein neuroprotektiv wirksames Peptid-Analogon, wurde 2023 in den USA für Erwachsene und Kinder ab 2 Jahren zur Behandlung zugelassen.[4] Die Substanz hat in klinischen Studien zu einer Verbesserung verschiedener Symptome, wie der Verhaltensstörung, geführt.[5]
Mit verschiedenen Therapieformen, wie Musiktherapie, Hippotherapie, Ergotherapie oder Physiotherapie können ggf. eine Verbesserung der Lebensqualität sowie eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufes erreicht werden.
Schluckstörungen und die daraus resultierenden Probleme bei der Nahrungsaufnahme kann man durch den Einsatz einer PEG-Sonde vermindern.
Weblinks
- Rett-Syndrom: Lotte hat plötzlich aufgehört zu sprechen - Bericht über den klinischen Verlauf eines Rett-Syndroms. Allgemeine Zeitung auf YouTube.
Quellen
- ↑ Petriti et al.: "Global prevalence of Rett syndrome: systematic review and meta-analysis" Systematic Reviews, 2023.
- ↑ Kirby et al. Longevity in Rett Syndrome: Analysis of the North American Database The Journal of Pediatrics 2010
- ↑ Askham AV: Alternative gene-therapy approaches take aim at Rett syndrome. Spectrum (6/2021), abgerufen am 28.4.2022
- ↑ DAYBUE™ (trofinetide) oral solution. Full prescribing information, abgerufen am 14.03.2023
- ↑ Singh, Gupta, Balasundaram: "Trofinetide in Rett syndrome: A brief review of safety and efficacy" Intractable & Rare Diseases Research, 2023.
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