nach Andreas Rett (1924 bis 1997), österreichischer Neuropädiater
Englisch: Rett's syndrome
Das Rett-Syndrom ist eine tiefgreifende, genetisch bedingte Entwicklungsstörung, die nur bei Mädchen vorkommt. Es handelt sich um eine frühkindliche beginnende und progressive Enzephalopathie, die durch eine De-novo-Mutation in den Keimzellen hervorgerufen wird.
Das Rett-Syndrom ist relativ selten. Die Prävalenz liegt zwischen 1:15.000 und 1:10.000, nach anderen Quellen nur bei 1:22.800.[1] Die Angaben sind mit einer Unsicherheit behaftet, da ihnen kein eindeutig definiertes Nachweiskriterium zugrundeliegt.
In über 90% der Fälle ist die Ursache eine Mutation im Methyl-CpG-Bindeprotein 2 (MECP2)-Gen oder eine Deletion dieses Gens. Die restlichen Fälle werden mit MECP2-Duplikationen in Verbindung gebracht oder werden durch Mutationen in CDKL5 (Cyclin-dependent kinase-like 5) oder FOXG1 (Forkhead box protein G1) verursacht.
Es handelt sich um eine X-chromosomal-dominante, gonosomale Vererbung. Das heißt, dass die krankheitsauslösende Mutation erst in den Gonaden, im speziellen Fall in den Spermien, erfolgt. Aus diesem Grund sind die Eltern von betroffenen Kindern selbst nicht erkrankt.
Die Erkrankung manifestiert sich nur bei weiblichen Nachfahren. Männliche Neugeborene, die das mutierte X-Chromosom der Mutter erhalten, sterben meist vor der Geburt. Bei den sehr selten beobachten Fällen von betroffenen Jungen handelt es sich meist um somatische Mosaike oder um Jungen mit mehr als einem X-Chromosom (z.B. Klinefelter-Syndrom).
Charakteristisch für das Rett-Syndrom sind die Stereotypien der Hände, die sogenannten "washing movements". Betroffene Kinder zeigen des Weiteren ein teilweises autistisches Verhalten, Demenz und ein verringertes Kopfwachstum. Das Sozialverhalten und die Spieleentwicklung solcher Kinder sind stark gehemmt, während hingegen das Sozialinteresse weiter besteht.
Später treten vermehrt epileptische Anfälle und Spastiken auf. Es kommt zur Apraxien, Muskelschwund und Symptomen, die vom Extrapyramidalmotorischen System ausgehen. Hierbei handelt es sich unter anderem um Bewegungsstörungen im Bereich des Thorax.
Weitere klinisch relevante Symptome sind Schluckstörungen und Obstipation sowie Atemstörungen, die sich durch Hyperventilation, Aerophagie und Apnoe äußern.
Betroffene Mädchen entwickeln sich scheinbar normal. Zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat kommt es jedoch zu einem Stillstand und sogar zu einer Rezession in der Entwicklung. Dies bedeutet, dass bereits erlernte Fähigkeiten, wie z.B. das Benutzen der Hände, verlernt werden. Die Lebenserwartung ist nicht verändert.
Es gibt eine weltweit anerkannte Einteilung des Rett-Syndroms in vier Stadien nach Hagberg und Witt-Engerström:
Die motorische Entwicklung verlangsamt sich und kommt irgendwann komplett zum Erliegen. Das autistische Verhalten äußert sich in einem Desinteresse an der Umwelt, seltenerem Blickkontakt, und einer Abnahme der Aktivitäten. Der Kopfumfang wächst langsamer als bei gleichaltrigen Kindern.
In diesem Stadium kommt es nun zu der bereits beschriebenen Regression in der Entwicklung. Das bedeutet, dass bereits erlernte Fähigkeiten wieder vergessen werden. Besonders betrifft dies die Sprache und den Gebrauch der Hände. Hier treten nun erstmalig die sogenannten "washing movements" auf. Das Sozialverhalten der Kinder nimmt stark ab; sie isolieren sich. Es kann zu plötzlich einsetzenden Schreiphasen kommen.
Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch ein Abklingen der Symptomatik. Die autistischen Verhaltensweisen treten in den Hintergrund und die Sozialkompetenz der Kinder verbessert sich leicht. Epileptische Anfälle, Apraxien und Stereotypien treten jedoch weiterhin auf bzw. können sich sogar leicht verstärken. Auffällig wird ein unsicheres Gehen.
In dem letzten Stadium verbessert sich das Sozialverhalten der Mädchen weiter; sie werden kontaktfreudiger. Es kommt seltener zu Anfällen und es zeigen sich kognitive Fortschritte. Entgegengesetzt verhält es sich mit der Grobmotorik. Diese verschlechtert sich so rapide und stark, dass ein Großteil der Patientinnen an den Rollstuhl gefesselt sind.
Zur Zeit (2019) ist keine kausale Therapie des Rett-Syndroms bekannt. Mit verschiedenen Therapieformen, wie Musiktherapie, Hippotherapie, Ergotherapie oder Physiotherapie können jedoch eine Verbesserung der Lebensqualität sowie eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufes erreicht werden.
Schluckstörungen und die daraus resultierenden Probleme bei der Nahrungsaufnahme kann man durch den Einsatz einer PEG-Sonde vermindern. Ein Arzneistoff zur Behandlung der Apnoe (Sarizotan) befindet sich in klinischer Entwicklung.
Tags: Enzephalopathie, Syndrom
Fachgebiete: Kinderheilkunde, Neurologie
Diese Seite wurde zuletzt am 7. Dezember 2020 um 13:57 Uhr bearbeitet.
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