Psychologische Diagnostik

Die psychologische Diagnostik basiert auf den Grundprinzipien der empirischen Psychologie und folgt im Idealfall den Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität. Sie dient der Beschreibung individueller Merkmale, der Erklärung beobachteten Verhaltens, der Vorhersage psychologischer Entwicklungen sowie der Evaluation therapeutischer oder organisatorischer Maßnahmen. Der diagnostische Prozess gliedert sich typischerweise in fünf Phasen:

1. Auftragsklärung
2. Hypothesenbildung
3. Datenerhebung
4. Auswertung und Interpretation
5. Urteilsbildung und Rückmeldung der Ergebnisse

Je nach Fragestellung werden unterschiedliche Methoden kombiniert, um ein möglichst umfassendes Bild der psychischen Funktionen und Eigenschaften einer Person zu gewinnen. Dazu gehören:

• Psychometrische Tests, also standardisierte Verfahren zur Erfassung von Intelligenz, Persönlichkeit, Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder emotionalen Zuständen.
• Interviewverfahren, meist strukturierte oder halbstrukturierte Gespräche zur Erhebung biographischer Daten oder Symptomatik.
• Verhaltensbeobachtungen, die Verhalten in natürlichen oder experimentellen Situationen systematisch erfassen.
• Projektive Verfahren, bei denen unbewusste Motive und Konflikte über mehrdeutige Stimuli sichtbar gemacht werden (z.B. Rorschach-Test, Thematischer Apperzeptionstest).
• Physiologische Verfahren, die biologische Korrelate psychischer Prozesse messen (z.B. Herzfrequenz, Hautleitwert).

Psychologische Diagnostik wird in nahezu allen Teildisziplinen der Psychologie eingesetzt, z.B.

• in der klinischen Psychologie zur Diagnosestellung, Therapieplanung und Therapiekontrolle,
• in der Arbeits- und Organisationspsychologie zur Eignungsdiagnostik und Potenzialanalyse,
• in der pädagogischen Psychologie zur Lern- und Entwicklungsdiagnostik,
• in der forensischen Psychologie zur Beurteilung von Schuldfähigkeit oder Rückfallrisiko,
• sowie in der Gesundheitspsychologie zur Erfassung von Stress, Coping und Lebensqualität.

Eine spezialisierter Anwendungsbereich ist die neuropsychologische Diagnostik, die kognitive, emotionale und behaviorale Funktionen im Zusammenhang mit Schädigungen oder Erkrankungen des Gehirns untersucht.

Viele Verfahren der psychologischen Diagnostik sind standardisiert und normiert, um objektive Vergleiche zu ermöglichen. Häufig eingesetzte Testbereiche sind:

• Intelligenzdiagnostik
• Persönlichkeitsdiagnostik
• Entwicklungsdiagnostik
• Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdiagnostik
• Gedächtnis- und Lerndiagnostik
• Emotion, Affekt und Stimmung
• Motivation und Interessen
• Soziale Kognition und Interaktion
• Klinisch-psychopathologische Symptomatik
• Projektive und tiefenpsychologische Verfahren
• Neuropsychologische Funktionsdiagnostik (bspw. Exekutive Funktionen, Visuokonstruktion, Sprache)

Die Durchführung psychologischer Diagnostik erfordert Fachkompetenz und ethisches Verantwortungsbewusstsein. Grundlage bilden die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Dazu gehören die Einholung informierter Einwilligung, die Wahrung der Schweigepflicht, die transparente Kommunikation von Ergebnissen und der verantwortungsvolle Umgang mit sensiblen Daten.

• Schmidt-Atzert und Amelang. Psychologische Diagnostik. Springer. 2018
• American Educational Research Association et al. Standards for Educational and Psychological Testing. 2014
• Diagnostik- und Testkuratorium. Qualitätsstandards für psychologische Gutachten. Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. 2017
• International Test Commission et al. Internationale Richtlinien für die Testanwendung. Deutsche Fassung. ZPID. 2001