Lebensbedrohliche Einsatzlage
Definition
Lebensbedrohliche Einsatzlagen, kurz LebEL, umfassen Amokläufe, Terroranschläge und vergleichbare Täterlagen, bei denen eine unklare, dynamische Gefahrenlage besteht. Patienten, Unbeteiligte und Einsatzkräfte sind zugleich bedroht. In dieser Einsatzart gilt der Eigenschutz als oberste Priorität, da ohne gesicherte Lage eine medizinische Versorgung nur eingeschränkt möglich ist.
Hintergrund
Die Zunahme schwerer Gewaltereignisse, darunter der Anschlag in Paris 2015, Nizza 2016, Berlin 2016 führte zur Entwicklung standardisierter Handlungsempfehlungen für Rettungsdienst und Notarztdienst. Diese Empfehlungen stützen sich auf Erfahrungen aus realen Ereignissen und dienen dazu, medizinisches Handeln sicher mit polizeilichen Maßnahmen zu verzahnen.
Aus Lessons-Learned haben sich zentrale Einsatzgrundsätze etabliert (Auswahl)[1]:
- Win the fight – Der polizeiliche Auftrag zur Gefahrenabwehr hat Priorität.
- Hand on red – Direkte Blutungskontrolle rettet Leben.
- Get off X – Gefahrenbereich schnell verlassen; Vorrang für Evakuation
- Communication is Key – Frühzeitige, klare Abstimmung zwischen Polizei und Rettungsdienst
Regelmäßige Übungen sind wichtig zur Festigung der Skills.
Grundstruktur des Einsatzes
Wenn bei der Notrufannahme Hinweise auf eine Täterlage bestehen, aktiviert die Leitstelle über Alarmstichworte definierte Einsatzpläne. Rettungsmittel sammeln sich daraufhin zunächst in einem ausreichend entfernten Bereitstellungsraum.
Bei einem aktiven Täter liegt der unmittelbare Handlungszwang bei der Polizei. Ziel ist das "Finden und Binden" des Täters, um weiteren Schaden zu verhindern. Die zuerst eintreffenden Polizeikräfte gehen dabei häufig ein hohes Risiko ein. Sie dringen in die rote Zone vor und fixieren den Täter.
Nach ersten polizeilichen Maßnahmen werden Patienten mit lebensrettenden Sofortmaßnahmen versorgt und an Patientenübergabepunkt dem Rettungsdienst übergeben. Anschließend kann je nach Ausmaß und Anzahl der Betroffenen eine weitere Sichtung, Aufbau eines Behandlungsplatztes mit Patientenablage und Rettungsmittelhalteplatz betrieben werden. Die medzinische Sanitätseinsatzleitung, bestehend aus Leitendem Notarzt und Organisatorischem Leiter Rettungsdienst, kann die Sichtungskategorien, Transportprioritäten und Zielkrankenhäuser abklären. Einige Bundesländern haben für die Ersatzversorgung bei Bedrohungslagen ihre Notfallausrüstung des Rettungsdienstes mit REBEL-Sets ergänzt, welche zusätzliches Material zur Versorgung von Traumapatienten enthalten.
Gefahrenbereiche
Die Gefahrenbereiche während einer Bedrohungslage sind wie folgt gegliedert:
Rote Zone (Einwirkungsbereich)
In der roten Zone besteht akute, unmittelbare Gefahr. Tätig werden ausschließlich polizeiliche Kräfte. Medizinische Maßnahmen beschränken sich auf unvermeidbare lebensrettende Handlungen wie die Kontrolle lebensbedrohlicher Blutungen. Die Evakuation von Verletzten ist nur unter strikter Beachtung des Eigenschutzes möglich.
Gelbe Zone (Erweiterter Gefahrenbereich)
Dieser Übergangsbereich zwischen roter und grüner Zone erlaubt begrenzte medizinische Maßnahmen. Vorrang haben schnelle Blutungskontrolle, einfache lebensrettende Interventionen und die rasche Überführung Betroffener in den gesicherten Bereich.
Grüne Zone (Gesicherter Bereich)
In der grünen Zone besteht keine unmittelbare Gefahr. Sie wird polizeilich abgesichert und dient als Raum für Patientenablage, Sichtung, erweiterte Behandlung, logistische Organisation und Führungsstrukturen.
Krankenhäuser
Krankenhäuser als kritische Infrastruktur müssen eigene Konzepte für LebEL vorhalten. Neben der Versorgung eines massiven Verletztenaufkommens nach einem Anschlag umfasst dies auch interne Gefährdungen wie Bombendrohungen, Geiselnahmen oder Gewaltanwendungen innerhalb des Gebäudes.
Die Krankenhaus-Alarm- und Einsatzplanung (KAEP) bildet dabei den zentralen Rahmen. Erforderliche Maßnahmen umfassen unter anderem:
- bauliche Sicherheitsstrukturen und kontrollierte Zugänge,
- klare räumliche Trennung von Einsatzbereichen,
- Notfalldekontaminationsmöglichkeiten,
- Materialbevorratung für längere Lagen,
- definierte Kommunikations- und Alarmwege.
Aus-/Fortbildung
Aus den Erfahrungen vergangener Terroranschläge und den Erkenntnissen aus militärischen Konflikten wurden strukturierte Aus- und Fortbildungskonzepte entwickelt, die die Versorgung von Patienten in hochdynamischen Bedrohungslagen verbessern sollen. Kurssysteme wie Tactical Combat Casualty Care (TCCC) und Tactical Emergency Casualty Care (TECC) vermitteln standardisierte Vorgehensweisen zur präklinischen Versorgung bei Schuss-, Explosions- und penetrierenden Verletzungen. Unter realitätsnahen Bedingungen werden taktische Abläufe, Eigenschutzmaßnahmen, Blutungskontrolle und die prioritätenorientierte Patientenversorgung trainiert, um Handlungssicherheit und Wirksamkeit im Einsatz zu erhöhen.
Literatur
- Schaefer H et. al.: Lebensbedrohliche Einsatzlagen im Krankenhaus – Handlungsanweisungen für Amoklagen und Bombendrohungen. Anästh Intensivmed 2025;66:292–300. DOI: 10.19224/ai2025.292
- Ärztlicher Bezirksverband München: Lebensbedrohliche Einsatzlagen aus polizeilicher Sicht, abgerufen am 24.11.2025
- S. Liebl. Taktische Medizin, Lebensbedrohliche Einsatzlagen – Amok, Anschlag, Springer-Verlag 2024
- Wurmb. et. al: Bewältigung von besonderen Bedrohungslagen, Notfall + Rettungsmedizin 2018, Springer-Verlag
- Pfenninger et. al: Handlungsempfehlung zur Zusammenarbeit zwischen Polizei, Kliniken und nichtpolizeilicher Gefahrenabwehr, Die Anaesthesiologie 2024.
Quellen
- ↑ N. Schorscher et. al: Lessons learned from terror attacks: thematic priorities and development since 2001—results from a systematic review, European Journal of Trauma and Emergency Surgery 2022