Kaufsucht
Synonyme: Oniomanie, pathologisches Kaufen, Kaufrausch
Englisch: compulsive buying disorder (CBD), shopping addiction, oniomania
Definition
Kaufsucht ist eine Impulskontrollstörung, die durch ein wiederkehrendes, nicht kontrollierbares Bedürfnis gekennzeichnet ist, Waren zu erwerben, ohne dass ein realer Bedarf oder Nutzen besteht. Die Betroffenen erleben vor dem Kauf eine innere Spannung oder ein dranghaftes Verlangen, das sich durch den Kaufakt kurzfristig reduziert. Unmittelbar danach treten häufig Schuldgefühle, Scham und Reue auf.
Epidemiologie
Die Prävalenz der Kaufsucht liegt in bevölkerungsbasierten Studien zwischen 4 und 6 %, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer.[1] Der Beginn liegt typischerweise im späten Jugend- oder frühen Erwachsenenalter. Ein erhöhter sozioökonomischer Status ist dabei kein Schutzfaktor, da die Störung unabhängig von Einkommen und Bildung auftreten kann.
Klassifikation
In der ICD-10 wird der Kaufzwang nicht als eigenständige Diagnose geführt, sondern unter die Kategorie "Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ (F63.8) subsumiert. In der ICD-11 wird er als Form einer "Disorder of Impulse Control" beschrieben. In der wissenschaftlichen Diskussion wird die Oniomanie zudem als potenziell eigenständige Verhaltenssucht ("behavioral addiction") betrachtet – ähnlich der Spielsucht –, da sie auf ähnliche neurobiologische Mechanismen im dopaminergen Belohnungssystem zurückzuführen ist.
Ätiologie und Pathogenese
Die Entstehung der Kaufsucht ist multifaktoriell. Psychologisch betrachtet, dient das Kaufen häufig der kurzfristigen Emotionsregulation. Negative Gefühle wie Stress, Angst, Einsamkeit oder Selbstwertprobleme werden durch das positive Erleben beim Kauf kompensiert. Neurobiologisch wird eine Dysregulation dopaminerger Bahnen im mesolimbischen Belohnungssystem angenommen, die zu einer Sensitivierung für Belohnungsreize führt. Hinzu kommen gesellschaftliche und mediale Einflüsse – etwa Konsumdruck, soziale Vergleichsprozesse und die ständige Verfügbarkeit von Online-Shops. Komorbid treten häufig depressive Störungen, Angststörungen, Essstörungen sowie andere Impulskontrollstörungen auf.
Symptomatik
Betroffene berichten über ein intensives, wiederkehrendes starkes Verlangen (Craving) zu kaufen, das häufig durch emotionale Belastungen ausgelöst wird. Der Kaufakt selbst führt zu einer kurzfristigen Stimmungsaufhellung, gefolgt von Scham- und Schuldgefühlen. Häufig wird heimlich gekauft, und die erworbenen Gegenstände bleiben unbenutzt oder werden versteckt. Die Kontrolle über das Kaufverhalten geht zunehmend verloren, was langfristig zu Überschuldung, Partnerschaftskonflikten und sozialem Rückzug führen kann.
Diagnostik
Die Diagnose stützt sich auf das charakteristische klinische Bild und den Leidensdruck des Betroffenen. Ergänzend können psychometrische Instrumente wie die Compulsive Buying Scale (CBS) oder die German Compulsive Buying Scale (GCBS) eingesetzt werden. Wichtig ist die Abgrenzung zu anderen Störungen, insbesondere zu manischen Phasen bipolarer Störungen, bei denen gesteigertes Kaufverhalten ebenfalls vorkommen kann, und zum Kaufzwang.
Therapie
Als wirksam hat sich insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) erwiesen, die auf die Identifikation und Modifikation dysfunktionaler Denkmuster und Konsumgewohnheiten abzielt. Ein Schwerpunkt liegt auf der Emotionsregulation, der Verbesserung der Impulskontrolle und der Entwicklung alternativer Bewältigungsstrategien.
Gruppentherapien und Selbsthilfegruppen bieten soziale Unterstützung und helfen, Rückfälle zu vermeiden. Pharmakologisch können selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei komorbider Depression oder Angststörung hilfreich sein, wenngleich eine spezifische medikamentöse Therapie bislang nicht etabliert ist.
Prognose
Der Verlauf ist häufig chronisch-rezidivierend. Eine frühzeitige Diagnostik und psychotherapeutische Intervention können die Prognose deutlich verbessern. Unbehandelt besteht ein hohes Risiko für soziale Isolation, finanzielle Notlagen und sekundäre psychische Erkrankungen.
Literatur
- Black DW. A review of compulsive buying disorder. World Psychiatry. 2007;6(1):14-18. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC1805733/
- Müller A, Brand M, Claes L, et al. Buying-shopping disorder-is there enough evidence to support its inclusion in ICD-11?. CNS Spectr. 2019;24(4):374-379. doi:10.1017/S1092852918001323
- Kellett S, Bolton JV. Compulsive buying: a cognitive-behavioural model. Clin Psychol Psychother. 2009;16(2):83-99. doi:10.1002/cpp.585
- Müller A, Mitchell JE, de Zwaan M. Compulsive buying. Am J Addict. 2015;24(2):132-137. doi:10.1111/ajad.12111
Quellen
- ↑ Mueller A, Mitchell JE, Crosby RD, Gefeller O, Faber RJ, Martin A, Bleich S, Glaesmer H, Exner C, de Zwaan M. Estimated prevalence of compulsive buying in Germany and its association with sociodemographic characteristics and depressive symptoms. Psychiatry Res. 2010 Dec 30;180(2-3):137-42. doi: 10.1016/j.psychres.2009.12.001. Epub 2010 May 21. PMID: 20494451.