Bohring-Opitz-Syndrom
Synonym: C-like Syndrom (historisch)
Abkürzung: BOS
Englisch: Bohring-Opitz syndrome
Definition
Das Bohring-Opitz-Syndrom, kurz BOS, ist eine sehr seltene, genetisch bedingte Erkrankung mit schweren kongenitalen Fehlbildungen und intellektueller Behinderung.
- ICD-10: Q87.8
Epidemiologie
Ätiologie
In etwa 50 % der klinisch typischen Fälle liegt eine de novo auftretende Mutation im ASXL1-Gen auf Chromosom 20q11 vor. Meist handelt es sich um Frameshift- oder Nonsense-Mutationen mit Funktionsverlust des Proteins. Das Wiederholungsrisiko für Eltern ist gering, aber nicht null.[3][4][5]
Pathogenese
ASXL1 ist ein epigenetischer Regulator und an der Rekrutierung des PRC2 beteiligt. Trunkierende Mutationen führen zu einer gestörten epigenetischen Regulation, insbesondere der HOXA-Gencluster. Dies verursacht Defekte der Organogenese und der Neuralleisten-Migration. Die charakteristische BOS-Haltung entsteht vermutlich durch zentrale und periphere neuromuskuläre Dysfunktionen.
Formen
Eine formale Subtypisierung existiert nicht. Das klinische Spektrum reicht von schweren Multisystemerkrankungen mit früher Letalität bis zu milderen Verlaufsformen mit längerer Lebenserwartung. Die Ausprägung hängt wahrscheinlich von Art und Zeitpunkt der Mutation ab.
Symptome
Die Symptomatik ist variabel und betrifft mehrere Organsysteme:[6][7]
Haltung und Skelett
- BOS-typische Haltung mit Beugung der Ellenbogen, abduzierten Schultern und flektierten Handgelenken
- Schwere Hypotonie
- Gelenkkontrakturen
- Ulnare Abweichung der Finger
- Radiuskopfverlagerung
- Skoliose
Kopf und Gesicht
- Mikrozephalie
- Hohe, breite Stirn
- Prominente Glabella
- Nach vorne gerichtete Nasenlöcher
- Tiefsitzende Ohren
- Mikrognathie
- Naevus flammeus oder kapilläre Malformationen, meist frontal oder periokulär
- Hypertrichose des Rückens und der Kopfhaut
Nervensystem und Entwicklung
- Schwere intellektuelle Behinderung
- Globale Entwicklungsverzögerung
- Krampfanfälle
- Corpus-callosum-Hypoplasie oder andere strukturelle Hirnveränderungen
- Muskuläre Hypotonie mit möglicher späterer Spastizität
Augen
Wachstum und Ernährung
- Intrauterine Wachstumsretardierung
- Ausgeprägte Gedeihstörung
- Schluckstörungen und Aspirationsneigung
- Häufige Notwendigkeit einer Sondenernährung
- Obstruktive Schlafapnoe
Herz und Kreislauf
- Kongenitale Herzfehler bei etwa 50 % der Patienten
- Ventrikelseptumdefekt
- Fallot-Tetralogie
- Arrhythmien bzw. Bradykardien
Urogenitaltrakt und weitere Organe
- Nierendysplasie
- Hufeisenniere
- Hydronephrose
- Genitalanomalien
- Gastrointestinale Fehlbildungen
Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose ergibt sich aus der Kombination aus BOS-Haltung, typischer Fazies, schwerer Hypotonie und Entwicklungsverzögerung.
Bildgebung
- kraniale MRT zur Darstellung von ZNS-Anomalien
- Echokardiographie zum Ausschluss kongenitaler Herzfehler
- Abdomensonographie zur Beurteilung von Nierenfehlbildungen
Molekulargenetische Diagnostik
- Next-Generation-Sequencing oder Whole-Exome-Sequencing mit Fokus auf ASXL1
- Sanger-Sequenzierung zur Variantenbestätigung
- Chromosomenmikroarray zum Ausschluss chromosomaler Aberrationen
Differentialdiagnose
Therapie
Eine kausale Therapie existiert derzeit 2026) nicht. Die Behandlung erfolgt symptomorientiert und interdisziplinär:
- Physiotherapie zur Förderung der Motorik
- Ergotherapie zur Unterstützung der Alltagsfähigkeiten
- Logopädie bei Schluck- und Kommunikationsstörungen
- Antikonvulsive Therapie bei Epilepsie
- Ernährungstherapie bei Gedeihstörung
- Behandlung kongenitaler Herzfehler
- Diagnostik und Therapie der Schlafapnoe
- Regelmäßige Verlaufskontrollen in spezialisierten Zentren
- Humangenetische Beratung der Eltern
Prognose
Die Prognose ist ungünstig. Etwa 40 % der Patienten versterben im frühen Kindesalter, meist infolge von Bradykardie, Atemstörungen, Aspiration oder pulmonalen Infektionen. Überlebende erreichen gelegentlich das Jugendalter, bleiben jedoch schwer mehrfachbehindert. Eine mögliche Tumorprädisposition, insbesondere für Neuroblastome, wird diskutiert.
Quellen
- ↑ Orpha.net Bohring‑Opitz‑Syndrom, abgerufen am 16. Dezember 2025
- ↑ NORD – Bohring‑Opitz Syndrome, abgerufen am 16. Dezember 2025
- ↑ Hoischen et al., De novo nonsense mutations in ASXL1 cause Bohring‑Opitz syndrome, Nat Genet, 2011
- ↑ GeneReviews – Bohring‑Opitz Syndrome, abgerufen am 16. Dezember 2025
- ↑ OMIM – ASXL1, abgerufen am 16. Dezember 2025
- ↑ Bohring et al., New cases of Bohring‑Opitz syndrome, update, and critical review of the literature, Am J Med Genet A, 2006
- ↑ Russell et al., Clinical findings in 39 individuals with Bohring‑Opitz syndrome from a global patient‑driven registry with implications for tumor surveillance and recurrence risk, Am J Med Genet A, 2023