XY-Frau
Definition
Eine XY-Frau ist ein Mensch mit einem Karyotyp 46,XY, der aufgrund genetischer oder hormoneller Ursachen einen weiblichen Phänotyp aufweist. Genetisch gesehen handelt es sich also um ein männliches Individuum, dessen äußere Erscheinung weiblich ist. Auslösend ist eine Störung der Geschlechtsdifferenzierung (DSD).
Ätiologie
Während der Embryonalentwicklung führt das Vorliegen eines Y-Chromosoms normalerweise durch die Expression des SRY-Gens zur Differenzierung der Gonaden in Hoden. Bei XY-Frauen sind jedoch bestimmte genetische, hormonelle oder zelluläre Mechanismen gestört, sodass sich kein funktionelles männliches Reproduktionssystem entwickelt.
Eine der häufigsten Ursachen für dieses Phänomen ist die Androgenresistenz (AIS). Man unterscheidet die
- komplette Androgenresistenz (CAIS), auch als Goldberg-Maxwell-Morris-Syndrom bezeichnet, und die
- partielle Androgenresistenz (PAIS), auch Reifenstein-Syndrom genannt.
Bei beiden Formen besteht aufgrund von Mutationen des Androgenrezeptor-Gens (AR-Gen) eine Unempfindlichkeit der Zielzellen gegenüber männlichen Geschlechtshormonen (Androgenen). Während es beim CAIS zur vollständigen femininen Entwicklung trotz des XY-Karyotyps kommt, treten beim PAIS variable Grade einer maskulinen oder intermediären Differenzierung auf.
Weitere Ursachen für eine XY-Frau sind:
- Swyer-Syndrom, eine Form der Gonadendysgenesie
- Steroid-5α-Reduktase-Mangel
Epidemiologie
Angaben zur Inzidenz müssen nach dem ursächlichen Defekt differenziert werden. Nach klinischen Fallzahlen wird die Inzidenz des CAIS auf etwa 1:20.000 Geburten, die des Swyer-Syndroms auf 1:80.000 Geburten geschätzt.
Klinik
Der Phänotyp der Betroffenen ist weiblich. Je nach Ätiologie fehlen innere weibliche Geschlechtsorgane vollständig (z.B. beim CAIS) oder sind unterentwickelt (z.B. beim Swyer-Syndrom). Es liegt eine primäre Amenorrhö vor. Die hormonelle Konstellation ist ursachenabhängig:
- Beim CAIS sind erhöhte LH- und Testosteronwerte typisch. Die Serumspiegel des Anti-Müller-Hormons (AMH) sind normal oder erhöht. Bei Kleinkindern fallen erhöhte Testosteronspiegel nach Stimulation mit menschlichem Choriongonadotropin (hCG) auf.
- Beim Swyer-Syndrom sind die Östrogenspiegel erniedrigt.
Diagnostik
- Chromosomenanalyse mit Karyotypisierung zur Bestätigung des 46,XY-Status
- Molekulargenetische Untersuchungen (z.B. AR-Gen, SRY-Gen)
- Hormonspiegel: LH, FSH, Testosteron, Estradiol
- Bildgebung (Sonographie, MRT) zur Beurteilung der inneren Genitalorgane
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Ursache und den Wünschen der Betroffenen. Bei Swyer-Syndrom erfolgt meist eine Östrogensubstitution zur Induktion sekundärer Geschlechtsmerkmale.
Mögliche chirurgische Maßnahmen sind eine Gonadektomie bei erhöhtem Malignitätsrisiko und eine Vaginalplastik bei kurzer oder rudimentärer Vagina.