Spondylolisthesis
Synonyme: Wirbelgleiten, Spondylolisthese, Spondylolisthesis vera
Englisch: spondylolisthesis
Definition
Als Spondylolisthesis wird das Abgleiten eines Wirbels nach ventral gegenüber dem darunterliegenden Wirbel bezeichnet. Es tritt bei Vorliegen einer Spondylolyse auf.
ICD10-Code: M43.1
Ätiologie
Voraussetzung für die Entstehung einer Spondylolisthesis im engeren Sinne ist eine Spondylolyse, also ein Defekt in der Pars interarticularis, dem Isthmus des Wirbelbogens. Dieser entsteht durch einen angeborenen Defekt, eine traumatische Fraktur oder eine degenerative Stressfraktur. Durch die Spondylolyse kommt es zu einer Hypermobilität des entsprechenden Wirbelsäulensegmentes mit vorzeitiger Bandscheibendegeneration. Aufgrund der fortschreitenden Degeneration gleitet der Wirbelkörper mit der oberen Gelenkfacette und der darüberliegenden Wirbelsäule nach ventral, während die losgelöste untere Gelenkfacette und der Dornfortsatz in der ursprünglichen Position bleiben. Man spricht hier auch von einer Ventro- bzw. Anterolisthesis.
Bei einseitiger Spondylolyse kommt es meist nur zu einer geringen Spondylolisthesis. Voraussetzung für eine höhergradige Spondylolisthesis ist eine beidseitige Spondylolyse.
Eine degenerativ bedingte Spondylolisthesis ohne Spondylolyse wird in der Regel als Pseudospondylolisthesis bezeichnet. Die degenerativen Prozesse an der Bandscheibe und an den Facettengelenken führen zu einer meist geringgradigen Verschiebung der Wirbelsäule. Dabei treten sowohl Verschiebungen nach vorne (Anterolisthesis) als auch nach hinten (Retrolisthesis) auf.
Klassifikation nach Wiltse und Rothman
Die Klassifikation nach Wiltse und Rothman dient der Einteilung der Spondylolisthesis abhängig von der Ursache:
- Typ 1: Kongenital (lumbosakrale Anomalie)
- Typ 1a: dysplastische axial/horizontal ausgerichtete Gelenkfortsätze, oft kombiniert mit Spina bifida
- Typ 1b: sagittal orientierende Gelenkfortsätze als Ursache der Instabilität
- Typ 1c: kongenitale Kyphose und weitere kongenitale Anomalien
- Typ 2: Isthmisch (Defekt in Pars interarticularis, genetische Prädisposition): Spondylolisthesis im engeren Sinne (Spondylisthesis vera)
- Typ 2a: lytisch (Stressfraktur)
- Typ 2b: elongierte, aber intakte Pars interarticularis (geheilte Stressfraktur)
- Typ 2c: akute Fraktur der Pars interarticularis
- Typ 3: Degenerativ (Pseudospondylolisthesis)
- Typ 4: Traumatisch (keine Fraktur der Pars interarticularis)
- Typ 5: Pathologisch (Folge generalisierter oder lokalisierter Knochenerkrankung)
- Typ 6: Postoperativ
Epidemiologie
Risikosportarten für die Entstehung einer Stressfraktur mit Spondylolisthesis sind zyklische, reklinierende Übungen wie Trampolinspringen, Speerwerfen, Turnen und Delphinschwimmen.
Lokalisation
In 90 % ist die Lendenwirbelsäule betroffen, am häufigsten die Segmente LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1.
Symptome
Eine Spondylolyse selbst verursacht in der Regel keine Beschwerden. Sobald es zum Wirbelgleiten kommt, treten tiefe Rückenschmerzen durch Dehnung des vorderen und hinteren Längsbands auf. Die Schmerzen werden bei körperlicher Belastung verstärkt. Bei höhergradigem Wirbelgleiten kommt es auch zur Dehnung der Spinalnerven mit radikulären Schmerzen. Weiterhin kann die Rumpfverschiebung gesehen und getastet werden (Sprungschanzenphänomen).
Diagnostik
Die Diagnosestellung erfolgt anhand der körperlichen Untersuchung sowie bildgebender Verfahren.
Bildgebung
Konventionelles Röntgen
Im konventionellen Röntgen kann der Defekt in der Pars interarticularis in Seitaufnahmen sichtbar sein. Bei beginnender Spondylolisthesis imponiert das Sakralplateau S-förmig, später wird es kuppelförmig. Besser ist der Defekt in 45°-Schrägaufnahmen erkennbar: Die Spondylolyse entspricht dem „Halsband der Hundefigur“. Außerdem wird der Verkippungswinkels beurteilt: Liegt der Winkel zwischen den Tangenten von Sakrumrückfläche und Unterkante des LWK 5 unter 90°, besteht eine pathologische Kyphosierung.
Zum Nachweis einer Bewegungsinstabilität sind Funktionsaufnahmen im Stehen in Flexion und Extension sinnvoll: Eine Instabilität liegt vor, wenn sich zwei Wirbelkörper zwischen Flexion und Extension um > 2 mm (HWS) bzw. 3 mm (LWS) verschieben (gemessen an den Hinterkanten).
Das Dornfortsatzzeichen ist hilfreich zur Unterscheidung zwischen einer echten Spondylolisthesis und einer Pseudospondylolisthesis (siehe unten): Die hintere Dornfortsatzlinie zeigt bei der echten Spondylolisthesis eine Stufe oberhalb der Höhe des Wirbelgleitens, bei der Pseudospondylolisthesis liegt die Stufe dagegen unterhalb der betroffenen Höhe.
Computertomographie
Die Computertomographie (CT) zeigt die Unterbrechung im Wirbelbogen am besten, jedoch ist die Untersuchung in der Regel nicht notwendig (z.B. bei Kontraindikationen einer MRT). Auf sagittalen Rekonstruktionen werden das Ausmaß des Wirbelgleitens und die Einengung des Spinalkanals, aber auch degenerative Veränderungen der Facettengelenke und des Bandscheibenfachs beurteilt.
Magnetresonanztomographie
Falls keine akuten neurologischen Defizite vorliegen bzw. bewegungsabhängig ausgelöst werden können und keine operativen Interventionen geplant sind, ist eine weiterführende MRT-Diagnostik erst nach Versagen eines mehrwöchigen konservativen Therapieversuches indiziert. Zur Planung einer Operation sollte jedoch ein MRT durchgeführt werden.
Die Magnetresonanztomographie zeigt die Erweiterung der Neuroforamina und Einengung des Spinalkanals, während der Defekt in der Pars interarticularis manchmal schwierig abzugrenzen ist. Degenerative Veränderungen der Facettengelenke und des Bandscheibenfachs können gut beurteilt werden.
Meyerding-Klassifikation
In seitlichen Röntgenaufnahmen wird das Ausmaß der Anterolisthesis nach Meyerding in 5 Grade eingeteilt. Die Deckplatte des kaudalen Wirbelkörpers wird dabei in anteroposteriorer Richtung in 4 Viertel eingeteilt. Der Grad der Spondylolisthesis hängt von der Lage der inferioren Hinterkante des darüberliegenden Wirbels ab.
Grad | Wirbelkörperversatz |
---|---|
MD I° | 0 - 25 % |
MD II° | 26 - 50 % |
MD III° | 51 - 75 % |
MD IV° | 76 - 100 % |
MD V° | > 100 % (Spondyloptose) |
Therapie
Konservative Therapie
Eine symptomatische Spondylolyse oder Spondylolisthesis sollte zunächst konservativ behandelt werden. Dies beinhaltet eine Schmerztherapie, Infiltrationen, Reduktion der mechanischen Belastung des betroffenen Segmentes (z.B. intermittierende Sportpause, ggf. Korsett) und eine Anpassung der täglichen Belastungen, Physiotherapie, Ergotherapie, rumpfstabilisierende Übungen und physikalische Therapie. Bei Chronifizierung können komplexe schmerztherapeutische, verhaltenstherapeutische und ggf. psychotherapeutische Maßnahmen erwogen werden. Die Evidenzlage für konservative Maßnahmen ist jedoch gering.
Operative Therapie
Eine operative Therapie kommt infrage, wenn es unter konservativer Therapie zu keiner zufriedenstellenden Beschwerdebesserung kommt. Bei kindlichen Spondylolysen kann eine isolierte operative Defektreparatur (Pars Repair) sinnvoll sein. Bei Erwachsenen ist in der Regel bereits eine Bandscheibendegeneration vorhanden. In diesem Fall ist eine operative Stabilisierung des Segments mittels Spondylodese möglich. Welche Variante der Spondylodese (anteriore, transforaminale, posteriore oder kombinierte Fusion) durchgeführt wird, ist individuell zu klären. Die Notwendigkeit einer Reposition im Rahmen der Operation ist derzeit (2023) noch unklar. Die Evidenzlage, ob eine operative Therapie bessere klinische Ergebnisse liefert als die konservative, ist gering.
Weiterführende Links
- British Journal of Sports; Untersuchung des Rückens; YouTube
Leitlinie
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