Reinnervation
Definition
Unter Reinnervation versteht man die Wiederherstellung der nervalen Versorgung eines zuvor denervierten Organs oder Gewebes, meist eines Muskels. Sie kann spontan (durch axonales Nachwachsen) oder therapeutisch (z.B. durch Nervennaht, Nerventransfer oder Transplantation) erfolgen.
Physiologie
Im Nervensystem erfolgt die Reinnervation durch das Wachstum des Axons über den ursprünglichen oder einen neuen Weg. Nach einer axonalen Schädigung (z.B. durch Trauma oder Operation) können intakte motorische oder sensibele Neurone Axone aussprossen, die entlang der Basallamina der geschädigten Nervenfasern oder über Schwann-Zellen in Richtung des Zielgewebes wachsen.
Erfolgt die motorische Reinnervation erfolgreich, bilden sich neuromuskuläre Endplatten neu, wodurch der Muskel wieder erregbar und funktionsfähig wird.
Pathophysiologie
Bleibt eine Reinnervation aus, führt dies zur Atrophie des betroffenen Muskels, zum Funktionsverlust und gegebenenfalls zu irreversiblen strukturellen Veränderungen. Kommt es hingegen zu einer fehlerhaften Reinnervation, können Synkinesen oder Fehlsteuerungen auftreten – also unwillkürliche Mitbewegungen oder falsche Muskelkoordinationen.
Formen der Reinnervation
Spontane Reinnervation
Sie erfolgt durch axonales Nachwachsen aus dem proximalen Stumpf. Dieser Vorgang ist nur möglich, wenn die Leitstrukturen des Endoneuriums weitgehend intakt bleiben, z.B. nach unvollständiger axonaler Schädigung (Neurapraxie oder milde Axonotmesis).
Chirurgisch induzierte Reinnervation
Sie erfolgt durch eine Nervennaht (Neurorrhaphie) und stellt eine direkte Verbindung der durchtrennten Nervenenden her. Größere Defekte können per Nerventransplantation überbrückt werden, z.B. mit autologen Nerventransplantaten. Dabei wird häufig der Nervus suralis als Spendernerv gewählt. Eine weitere Option ist der Nerventransfer, bei dem eine funktionelle Nervenfaser auf ein neues Zielorgan umgeleitet wird (z.B. AIN-Transfer)
Zeitlicher Verlauf
Das axonale Wachstum beträgt etwa 1 bis 3 mm pro Tag.[1] Die Zeit bis zur funktionellen Wiederherstellung hängt von der Distanz zwischen Läsions- und Zielgebiet sowie von der Art der Verletzung ab. Nach etwa 12 bis 18 Monaten nimmt die Reinnervationsfähigkeit deutlich ab, da die Muskelendplatten degenerieren.[2]
Diagnostik
- Elektromyographie (EMG): Nachweis spontaner Reinnervationspotenziale (z.B. polyphasische Potenziale)
- Nervenleitgeschwindigkeit: Beurteilung der Regenerationsqualität
- Bildgebung (z.B. MR-Neurographie): Darstellung des Regenerationsverlaufs oder von Narbenbildungen
Limitationen
Der Reinnervationsprozess unterliegt verschiedenen Faktoren, die den funktionellen Erfolg begrenzen können. Hierzu zählen:
- das Zeitfenster zwischen Nervenläsion und Rekonstruktion (je länger, desto geringer die Erfolgsaussicht)
- die Entfernung zwischen Läsion und Zielstruktur (je größer, desto schlechter das Ergebnis)
- systemische Einflussfaktoren wie Diabetes mellitus, Mangelernährung oder Nikotinkonsum
- höheres Patientenalter
Quellen
- ↑ Sulaiman W, Gordon T. Neurobiology of peripheral nerve injury, regeneration, and functional recovery: from bench top research to bedside application. Ochsner J. 2013 Spring;13(1):100-8. PMID: 23531634; PMCID: PMC3603172.
- ↑ Diagnosis and Repair of Peripheral Nerve Injuries. In: Musculoskeletal Key, Elsevier. Abgerufen am 22. Oktober 2025.