Neuropsychologie
Englisch: neuropsychology
Definition
Die Neuropsychologie ist ein Teilgebiet der Psychologie, das sich mit den neurophysiologischen und neuroanatomischen Grundlagen des Verhaltens beschäftigt. Sie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft an der Schnittstelle von Psychologie und Neurowissenschaften.
Hintergrund
In der Neuropsychologie werden kognitive Funktionen, Emotionen und Verhaltensweisen in Abhängigkeit von Gehirnstrukturen und -prozessen untersucht. Neben der theoretischen Erforschung von Gehirn-Funktions-Zusammenhängen ist die klinische Anwendung bei neurologischen Erkrankungen ein zentrales Aufgabenfeld.
Geschichte
Die Wurzeln der Neuropsychologie liegen in der Beobachtung von Läsionspatienten im 19. Jahrhundert, beispielsweise durch Paul Broca, der den Zusammenhang zwischen Sprachproduktion und dem linken Frontallappen beschrieb. Im 20. Jahrhundert prägten Alexander R. Luria und Norman Geschwind das Fach maßgeblich durch die systematische Untersuchung von Ausfällen nach Hirnläsionen. Mit der Entwicklung bildgebender Verfahren seit den 1980er-Jahren erfuhr die Neuropsychologie einen erheblichen methodischen Fortschritt.
Abgrenzung
Die Neuropsychologie grenzt sich von benachbarten Disziplinen wie folgt ab:
- Neurologie: Fokus auf organische Diagnostik und medikamentöse/interventionelle Therapie
- Psychiatrie: Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen ohne primären Fokus auf testpsychologisch messbare kognitive Funktionsprofile
- Kognitive Neurowissenschaften: übergeordnetes Grundlagenfach, das biologische Mechanismen von Kognition erforscht; die Neuropsychologie wird teilweise als angewandtes Teilgebiet eingeordnet
Teilgebiete
Die Neuropsychologie lässt sich grob in folgende Bereiche gliedern:
- Experimentelle Neuropsychologie: Grundlagenforschung zur neuronalen Basis kognitiver Funktionen mittels Tests und bildgebender Verfahren
- Klinische Neuropsychologie: Diagnostik, Therapie und Rehabilitation kognitiver Störungen infolge neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen
- Forensische Neuropsychologie: Gutachtenerstellung bei Fragestellungen zur Leistungsfähigkeit oder Schuldfähigkeit
- Rehabilitationspsychologie: Überschneidung zur klinischen Neuropsychologie mit Fokus auf funktionelle und soziale Reintegration
- Entwicklungsneuropsychologie: Untersuchung neuropsychologischer Funktionen bei Kindern und Jugendlichen sowie im Altersverlauf
Methoden
Zu den neuropsychologischen Methoden zählen u.a.:
- Standardisierte Testverfahren, beispielsweise zur Messung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und exekutiven Funktionen
- Bildgebende Verfahren wie fMRT, PET oder EEG in der experimentellen Forschung
- Alltagsorientierte Assessments, etwa zur Evaluation exekutiver Funktionen im Alltag (z.B. Behavioural Assessment of the Dysexecutive Syndrome)
Diagnostik
Die neuropsychologische Diagnostik dient der objektiven Erfassung kognitiver Leistungsprofile, der Beschreibung funktioneller Ressourcen und Defizite sowie der Ableitung therapeutischer Interventionen. Sie findet insbesondere Anwendung bei:
- Schlaganfall
- Schädel-Hirn-Trauma
- Epilepsien
- Demenzen
- entzündlichen ZNS-Erkrankungen (z.B. MS)
- psychiatrischen Störungen mit kognitiver Beteiligung
siehe auch: Neuropsychologische Diagnostik, Neuropsychologische Untersuchung
Therapie
Ein zentrales Arbeitsfeld der klinischen Neuropsychologie ist die Behandlung kognitiver Defizite mittels:
- Restitution: Training verbliebener Funktionen zur Leistungssteigerung
- Kompensation: Nutzung intakter Funktionen als Ersatzstrategien
- Substitution: Einsatz technischer Hilfsmittel, z.B. elektronische Erinnerungshilfen
Die Therapie erfolgt häufig im Rahmen der neurologischen Rehabilitation und zielt auf eine Verbesserung der Alltagskompetenz sowie der beruflichen und sozialen Teilhabe ab.
Forschung
In der experimentellen Neuropsychologie werden Zusammenhänge zwischen Gehirnprozessen und Verhalten erforscht. Moderne Verfahren wie funktionelle Bildgebung (fMRT, PET) oder Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS) ermöglichen eine präzise Untersuchung der neuronalen Grundlagen kognitiver Funktionen.