Liebe
Englisch: love
Definition
Liebe ist ein komplexer emotionaler und kognitiver Zustand, der durch eine starke Zuneigung und Verbundenheit zu einem anderen Individuum oder einer Gruppe von Individuen gekennzeichnet ist. Liebe fördert Sozialverhalten, Kooperation und Fortpflanzung und ist Basis stabiler zwischenmenschlicher Beziehungen.
Neurobiochemische Grundlagen
Auf neurobiochemischer Ebene ist Liebe durch eine spezifische Konstellation verschiedener Hormone und Neurotransmitter gekennzeichnet. Man spricht auch von einem "Belohnungscocktail", der bei Verliebtheit ausgeschüttet wird. Wichtige Botenstoffe sind zum Beispiel:
- Sexualhormone (Testosteron, Östrogene): Sie fördern sexuelles Verlangen und Libido. Testosterone und Östrogene sind zentral für Lust und sexuellen Antrieb.
- Dopamin und Noradrenalin: Diese Neurotransmitter aktivieren das mesolimbische Belohnungssystem im Gehirn (insbesondere das ventrale tegmentale Areal und den Nucleus accumbens) und vermitteln ein Hochgefühl. Verliebtheit soll durch verstärkte Dopamin- und Noradrenalinausschüttung bei verminderter Serotoninausschüttung gekennzeichnet sein.[1]
- Cortisol (und Adrenalin): Als Stresshormone steigen auch die Cortisol- und Adrenalinspiegel beim Verliebtsein stark an. Diese Hormone erzeugen körperliche Symptome wie Tachykardie, Schwitzen und zittrige Hände. Besonders Adrenalin wird bei intensivem emotionalen Stress ausgeschüttet, was den Körper in Alarmbereitschaft versetzt.
- Oxytocin wird oft als "Liebeshormon" oder "Kuschelhormon" bezeichnet, weil es bei positiver sozialer Interaktion und körperlicher Nähe ausgeschüttet wird. Es fördert Vertrauen, Nähe und Bindung. Studien zeigen, dass Oxytocin – zusammen mit dem verwandten Hormon Vasopressin – in affektiven Bindungen eine entscheidende Rolle spielt. Oxytocin wird etwa bei liebevollem Körperkontakt (Umarmung, Sex) und nach der Geburt ausgeschüttet und festigt so emotionale Bindungen. Vasopressin wirkt ähnlich bindungsfördernd, insbesondere bei Paaren, die monogame Bindungen eingehen. Oxytocin scheint allgemein soziale Emotionen zu intensivieren. Es stärkt prosoziale Gefühle in positiver Atmosphäre, kann aber auch Eifersucht oder Abgrenzungsgefühle gegenüber Außenstehenden fördern.[2]
Neben den genannten Substanzen wirken im Gehirn verschiedene Netzwerke zusammen: Der Übergang von Anfangsverliebtheit zu langanhaltender Liebe involviert limbische Bereiche (Emotionen) und kognitive Zentren (bewusste Entscheidungen). Hirnscans von verliebten Personen zeigen zum Beispiel eine Aktivierung von dopaminergen Hirnarealen und eine reduzierte Aktivität im präfrontalen Kortex (weniger rationales Denken), was erklärt, warum man in der Verliebtheitsphase oft nur noch an den geliebten Menschen denken kann.
Psychologische Theorien
Psychologen unterscheiden verschiedene Arten und Dimensionen von Liebe. Ein bekanntes Modell ist die Dreieckstheorie der Liebe von Robert Sternberg. Nach dieser Theorie besteht Liebe aus drei Komponenten:
- Intimität (emotionales Nähe- und Vertrauensgefühl),
- Leidenschaft (körperliche Anziehung und Begierde) und
- Commitment (die Entscheidung für eine langfristige Beziehung).
Romantische Liebe ("Passion") hat demnach viel Leidenschaft und Intimität. Bei ehelicher Liebe nimmt mit der Zeit oft das Commitment zu, während Leidenschaft und Intimität tendenziell abnehmen. Bindungstheorien (z. B. nach Bowlby) betonen außerdem die Bedeutung früher Beziehungserfahrungen. Sie legen nahe, dass sich Muster der Liebe oft in erwachsenen Partnerschaften wiederholen (z. B. "Bindungsstile" wie sicher, ängstlich-ambivalent oder vermeidend). Auch kulturelle Vorstellungen und soziale Prägung bestimmen, wie Liebe erlebt und ausgedrückt wird, etwa in der Betonung romantischer Gefühle versus praktischer Kooperation. Unabhängig vom Modell wird Liebe in der klinischen Psychologie als starker Emotionalzustand gesehen, der Gesundheit beeinflusst – positive Liebe stärkt das Wohlbefinden, Liebeskummer kann zu psychischen Belastungen wie Depressionen führen.
Gesundheitliche Aspekte
Tiefe, unterstützende Liebesbeziehungen wirken sich nachweislich positiv auf die Gesundheit aus. Partnerschaft und Freundschaften dienen als soziales Schutznetz, das Stress abpuffert und den Allgemeinzustand verbessert. Meta-Analysen zeigen, dass Menschen mit starken sozialen Bindungen über eine deutlich höhere Lebenserwartung verfügen als isolierte Personen. Untersuchung ergaben z.B., dass Individuen mit engen sozialen Kontakten eine um etwa 50 % größere Überlebenswahrscheinlichkeit haben als Menschen mit schwachen Beziehungen.[3] Ebenso zeigt eine groß angelegte Längsschnittstudie, dass verheiratete Männer und Frauen im Durchschnitt länger leben als Gleichaltrige ohne Partner. Bei 65-jährigen Männern verlängert eine Ehe die verbleibende Lebenserwartung im Schnitt um etwa 2,2 Jahre verglichen mit unverheirateten Männern (und bei Frauen um rund 1,5 Jahre)
Die positiven Effekte erklären sich zum Teil dadurch, dass verliebte Menschen im Alltag gesündere Lebensweisen pflegen. Partner unterstützen sich gegenseitig, motivieren zu Vorsorgeuntersuchungen und gesunder Ernährung und senken Stress (z.B. durch Oxytocin-Effekte). Chronischer Stress erhöht bekanntlich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus und Depression. Umgekehrt mindern stabile Liebesbeziehungen durch Freisetzung von Bindungshormonen wie Oxytocin langfristig den Kortisolspiegel und verbessern das Immunsystem. In der klinischen Psychologie zeigt sich zudem, dass Paare oft eine "Gesundheitskonkordanz" aufweisen. Erkrankungen eines Partners beeinflussen auch den anderen.
Broken-Heart-Syndrom
Ein extremes Beispiel für den Einfluss von Gefühlen auf körperliche Gesundheit ist das Broken-Heart-Syndrom (Stress-Kardiomyopathie). Dabei handelt es sich um eine akute, meist vorübergehende Schwäche des Herzmuskels, die oft durch plötzlichen extremen Stress ausgelöst wird. Betroffen sind überwiegend postmenopausale Frauen. Klassischer Auslöser ist ein heftiger emotionaler Schock – etwa der plötzliche Tod eines geliebten Menschen oder eine dramatische Trennung – weshalb man von "gebrochenem Herzen" spricht. Die zugrundeliegende Mechanik besteht in einer Überflutung des Herzens mit Adrenalin: Der massive Adrenalinausstoß während des Schocks löst eine zeitweise Funktionsstörung der Herzmuskelzellen aus. Diese Zellen sind wie betäubt ("stunned myocardium") und schlagen zunächst unregelmäßig schwach. Anders als beim Herzinfarkt sind die Herzkranzgefäße meist frei von Verengungen, und kein bleibendes Narbengewebe entsteht. In den meisten Fällen erholt sich die Herzfunktion vollständig innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen.[4]
Soziale und kulturelle Perspektive
Liebe ist nicht nur medizinisch relevant, sondern ein zentrales Thema in Kultur und Alltag. In Kunst, Literatur und Musik wird sie hochfrequent besungen und beschrieben – vom Shakespeare-Sonett bis zum Beatles-Hit "All You Need Is Love". Auch in den sozialen Medien und im Alltag prägen Schlagworte das Bild von Liebe. Bei etwa Medizinstudierenden prägt zum Beispiel das Motto #nurliebe die Medimeisterschaften, welche jährlich ausgetragen werden.
Quellen
- ↑ Karandashev, V. (2024): The Biology and Psychophysiology of Love as Interpersonal Attraction. In: The Varieties of Love as Interpersonal Attraction, Springer.
- ↑ Simone G. Shamay-Tsoory et al. (2009): Intranasal Administration of Oxytocin Increases Envy and Schadenfreude (Gloating)
- ↑ Julianne Holt-Lunstad et al: Social Relationships and Mortality Risk: A Meta-analytic Review PLOS Medicine July 27, 2010
- ↑ Shams Y-Hassan et al. (2017 ): Epidemiology, pathogenesis, and management of takotsubo syndrome, PMID: 28917022
Literatur
- Seshadri KG: The neuroendocrinology of love. Indian J Endocrinol Metab. 2016 Jul-Aug;20(4):558-63. doi: 10.4103/2230-8210.183479. PMID: 27366726; PMCID: PMC4911849
- Piotr Sorokowski et al: Love Influences Reproductive Success in Humans Front. Psychol., 21 November 2017
- Jia H, Lubetkin EI: Life expectancy and active life expectancy by marital status among older U.S. adults: Results from the U.S. Medicare Health Outcome Survey (HOS). SSM Popul Health. 2020 Aug 15;12:100642. doi: 10.1016/j.ssmph.2020.100642. PMID: 32875051; PMCID: PMC7452000.