Chronisch traumatische Enzephalopathie
Synonyme: Dementia pugilistica, Boxer-Enzephalopathie, Boxer-Syndrom
Englisch: chronic traumatic encephalopathy, chronic post-traumatic encephalopathy, punch drunk syndrome
Definition
Die chronisch traumatische Enzephalopathie, kurz CTE, ist eine Form der Tauopathie. Es handelt sich um eine progressive, degenerative Erkrankung des Gehirns, die bei Patienten auftritt, die mehrere Schädel-Hirn-Traumen (SHT) erlitten haben.
Epidemiologie
Eine CTE tritt häufig bei Leistungssportlern und Berufen auf, die wiederholten Schädeltraumen ausgesetzt sind, z.B. Boxern, Kampfsportlern, Football-Spielern, Ringern, Stunt-Darstellern oder Motocross-Fahrern. 15 bis 40 % der ehemaligen Profiboxer weisen Symptome einer chronischen Hirnschädigung auf.
Prädisponiert sind weiterhin misshandelte Personen sowie ältere Patienten nach wiederholten Stürzen.
Ätiopathogenese
Die genaue Pathophysiologie der CTE ist derzeit (2022) noch unklar. Eine reaktive Gliose sowie eine Umverteilung von Aquaporin-4-Molekülen mit gestörter transparenchymaler Liquor-Clearance von interstitiellem Beta-Amyloid über das glymphatische System, spielen vermutlich eine entscheidende Rolle.
Pathologie
Makroskopie
Eine sichtbare pathologische Veränderung des Gehirns bei chronisch traumatischer Enzephalopathie ist die Reduktion des Gehirngewichts, die mit einer Atrophie des Temporal- und Frontallappens verbunden ist. Entsprechend sind die Seitenventrikel und der dritte Ventrikel häufig vergrößert, in seltenen Fällen auch der vierte Ventrikel. Weitere Befunde sind:
- Einrisse des Septum pellucidum
- Thalamusgliose
- Degeneration der Substantia nigra
- narbige Kleinhirnläsionen
- Atrophie der Corpora mamillaria
Mikroskopie
Mikroskopisch findet man abnormale Ablagerungen von hyperphosphorylierten Tau-Proteinen und TDP-43-Proteinen in Form von neurofibrillären Bündeln, Aggregaten in glialen Astrozyten und Neuropil-Fäden. Die neurofibrilläre Degeneration betrifft v.a. die oberflächlichen Schichten der Großhirnrinde. Im Gegensatz zu einer altersbezogenen Tau-Astrogliopathie (ARTAG) sind die p-Tau-Aggregate in Neuronen perivaskulär in der Tiefe des Sulcus cerebri und nicht subpial in der oberflächlichen Region des Sulcus lokalisiert.[1] Im Gegensatz zur Alzheimer-Krankheit bleibt der Hippocampus i.d.R. verschont.
Klinik
Die Symptome einer CTE treten schleichend und meist Jahre nach den ersten Traumata auf. Beschwerden sind insbesondere Störungen der Gedächtnisses, der Sprache, der Informationsverarbeitung und der Exekutivfunktionen. Eine fortschreitende Demenz sowie Stimmungs- und Verhaltensstörungen wie Panikattacken und schwere Depressionen sind häufig.
Diagnostik
In über 90 % d.F. finden sich keine Auffälligkeiten in der Computertomographie (CT). Seltenere Befunde sind:
- Hirnatrophie
- Erhöhte Prävalenz eines Cavum septi pellucidi
In der Magnetresonanztomographie (MRT) zeigen sich meist ebenfalls keine Auffälligkeiten. Mögliche Zeichen sind:
- generalisierte kortikale Atrophie
- unspezifische Läsionen der weißen Substanz (15 %)
- Mikroblutungen (10 %)
Aufgrund der unspezifischen klinischen und radiologischen Befunde sowie des Fehlens an Biomarkern kann eine CTE derzeitig (2022) nur post mortem diagnostiziert werden. Der PET-Marker 18F-T807 wird aktuell in klinischen Studien untersucht.[2]
Differenzialdiagosen
Klinisch, radiologisch und pathologisch gibt es Überschneidungen zu anderen neurodegenerativen Erkrankungen, die teils ebenfalls durch traumatische Hirnverletzungen entstehen können:
- Alzheimer-Krankheit
- Amyotrophe Lateralsklerose
- Frontotemporale Demenz
- Parkinson-Krankheit
Literatur
- Smith DH et al. Chronic traumatic encephalopathy - confusion and controversies, Nat Rev Neurol. 2019 Mar;15(3):179-183, abgerufen am 27.07.2022
- Hugon J et al. Chronic traumatic encephalopathy, Neurochirurgie. 2021 May;67(3):290-294, abgerufen am 27.07.2022
- Fesharaki-Zadeh A. Chronic Traumatic Encephalopathy: A Brief Overview, Front Neurol. 2019 Jul 3;10:713, abgerufen am 27.07.2022
- Vanltallie TB Traumatic brain injury (TBI) in collision sports: Possible mechanisms of transformation into chronic traumatic encephalopathy (CTE), Metabolism. 2019 Nov;100S:153943, abgerufen am 27.07.2022
- Frosch MP Tau aggregates: where, when, why and what consequences?, Neuropathol Appl Neurobiol. 2017 Aug;43(5):371-372, abgerufen am 27.07.2022
- Gaetz M The multi-factorial origins of Chronic Traumatic Encephalopathy (CTE) symptomology in post-career athletes: The athlete post-career adjustment (AP-CA) model, Med Hypotheses. 2017 May;102:130-143, abgerufen am 27.07.2022
- Iacono D et al. Chronic Traumatic Encephalopathy: Known Causes, Unknown Effects, Phys Med Rehabil Clin N Am. 2017 May;28(2):301-321, abgerufen am 27.07.2022
- Manley G et al. A systematic review of potential long-term effects of sport-related concussion, Br J Sports Med. 2017 Jun;51(12):969-977, abgerufen am 27.07.2022
- Perrine K et al. The Current Status of Research on Chronic Traumatic Encephalopathy, World Neurosurg. 2017 Jun;102:533-544, abgerufen am 27.07.2022
- Vile RA, Atkinson L Chronic Traumatic Encephalopathy: The cellular sequela to repetitive brain injury, J Clin Neurosci. 2017 Jul;41:24-29, abgerufen am 27.07.2022
- Hay J et al. Chronic Traumatic Encephalopathy: The Neuropathological Legacy of Traumatic Brain Injury, Annu Rev Pathol. 2016 May 23;11:21-45, abgerufen am 27.07.2022
- Bramlett HM, Dietrich WD Long-Term Consequences of Traumatic Brain Injury: Current Status of Potential Mechanisms of Injury and Neurological Outcomes, J Neurotrauma. 2015 Dec 1;32(23):1834-48, abgerufen am 27.07.2022
Quellen
- ↑ Mckee AC et al. The neuropathology of chronic traumatic encephalopathy, Handb Clin Neurol. 2018;158:297-307, abgerufen am 27.07.2022
- ↑ Gandy S, DeKosky ST [18F-T807 tauopathy PET imaging in chronic traumatic encephalopathy], F1000Res. 2014 Sep 29;3:229, abgerufen am 27.07.2022