Checkpoint-Inhibitor-assoziierter Diabetes mellitus
Synonyme: Checkpoint-Inhibitor-assoziierter Autoimmundiabetes, (Immun-)Checkpoint-Inhibitor-Diabetes
Englisch: checkpoint inhibitor associated autoimmune diabetes mellitus, immune checkpoint inhibitor diabetes mellitus (ICI-DM), checkpoint inhibitor diabetes mellitus (CPI-DM)
Definition
Als Checkpoint-Inhibitor-assoziierten Diabetes mellitus, kurz CIADM, bezeichnet man einen Diabetes mellitus, der als immunbedingte Nebenwirkung (irAE) einer medikamentösen Checkpointinhibition im Rahmen einer Krebsimmuntherapie auftritt. Dabei kommt es zu einer Zerstörung pankreatischer β-Zellen.
Abgrenzung
In der Literatur wird der CIADM teilweise dem Typ-1-Diabetes zugerechnet,[1] da es in Hinblick auf den Mechanismus der immunologischen Zerstörung von β-Zellen pathogenetische Überschneidungen gibt. Da sich beide Diabetesformen jedoch in ätiologischen, klinischen und diagnostischen Aspekten voneinander deutlich unterscheiden, wird der CIADM meist als eigenständige Sonderform des Diabetes mellitus aufgefasst.[2][3][4]
Epidemiologie
Der CIADM ist eine eher seltene irAE. Ihre Inzidenz unter Checkpointinhibition wird auf etwa 0,2 bis 0,9 % beziffert,[5][6] diejenige unter Therapie mit PD-1-Inhibitoren auf 1,9 %.[4]
Ätiologie und Pathogenese
Ursache des CIADM ist eine Zerstörung von pankreatischen β-Zellen durch Immunzellen. Sie wird durch die Aufhebung der Immuntoleranz unter der Checkpointinhibition getriggert. In den allermeisten Fällen liegt der Erkrankung eine Behandlung mit PD-1- oder PD-L1-Hemmern zugrunde, auch als Kombinationstherapie mit CTLA-4-Inhibitoren. Ein CIADM bei einer anti-CTLA-4-Monotherapie ist hingegen sehr selten.[2][4]
Prädisponierend für die Entwicklung eines CIADM wirken diejenigen HLA-Merkmale, die auch als Risikogene für einen Typ-1-Diabetes beschrieben sind, z.B. HLA-DQB1*02:01 oder *03:02.[2][4] Sie finden sich bei etwa 60 % der Patienten mit Checkpointinhibitor-Diabetes und damit weniger häufig als bei Typ-1-Diabetikern (hier ca. 90 %).[2] Ein nennenswerter Teil der Patienten weist jedoch keine Suszeptibilitätsgene auf oder besitzt gar protektive Allele.[2][4]
Andere Risikofaktoren sind derzeit (2024) nicht bekannt. Ein vorbestehender Typ-2-Diabetes findet sich bei CIADM-Patienten nicht häufiger, als für die behandelte Altersgruppe üblich ist. Auch eine Adipositas ist bei den Betroffenen nicht häufiger als in der Allgemeinbevölkerung.[2]
Die Pathogenese ist bislang (2024) nicht vollständig geklärt.[4] Angesichts des Wirkmechanismus von Checkpointinhibitoren erscheint jedoch eine T-Zell-Reaktion gegen β-Zellen plausibel. Bei etwa 40 % der Betroffenen lassen sich zudem einer oder selten mehrere der für den Typ-1-Diabetes charakteristischen Autoantikörper nachweisen.[2] Im Vergleich hierzu weisen 85 bis 90% der Typ-1-Diabetiker meist mehrere dieser Antikörper auf.[7] Das Vorhandensein von Autoantiköpern bei CIADM ist mit einem erhöhten Risiko einer Ketoazidose vergesellschaftet.[2]
Klinik
Die Erkrankung manifestiert sich im Mittel etwa 12 Wochen nach Beginn Checkpointinhibition.[2] Es kommt dabei zu diabetestypischen Symptomen wie beispielsweise Polyurie, Polydipsie, Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit. Der Verlauf ist im Allgemeinen deutlich schneller als bei Typ-1-Diabetes, in ca. 70 % der Fälle ist die Erstmanifestation eine - oft schwere - diabetische Ketoazidose.[2] Eine "Honeymoon"-Phase mit geringem Insulinbedarf und normnahen HbA1c-Werten, wie sie bei Initialbehandlung eines Typ-1-Diabetes teilweise zu beobachten ist, findet sich nicht.[4]
In der Mehrzahl der Fälle finden sich zeitgleich auftretende irAEs, insbesondere eine Pankreatitis oder Thyreoiditis.[2][4]
Diagnostik
Die Diagnosestellung basiert auf der Medikamentenanamnese und den Laborwerten.
Einheitliche Diagnosekriterien existieren bislang (2024) nicht. Von Wu et al. vorgeschlagene Kernkriterien sind:[2]
- Hyperglykämie mit HbA1c ≥ 6,5 % und/oder Plasmaglukose ≥ 200 mg/dl unter Therapie mit Checkpointinhibitoren
- C-Peptid < 0,4 nmol/l und/oder diabetische Ketoazidose
Jedes dieser Kriterien sollte für die Diagnosestellung erfüllt sein, entweder bei der Initialdiagnostik oder bei einer Nachfolgeuntersuchung im Laufe von ca. einem Monat.
Diagnosestützend, aber nicht obligat sind das Vorhandensein diabetestypischer Autoantikörper (z.B. anti-GAD65, anti-ICA, anti-ZnT8, anti-IA2) oder der Nachweis einer Lipasämie als Ausdruck einer (eventuell subklinischen) Pankreatitis. Auch eine Untersuchung auf weitere irAEs, insbesondere durch Ermittlung der Schilddrüsenwerte, wird empfohlen.[2]
Therapie
Da ein absoluter Insulinmangel vorliegt, besteht die Therapie in der Substitution von Insulin, analog zur Behandlung des Typ-1-Diabetes. Möglich sind beispielsweise eine intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) oder eine Pumpentherapie.[2][4]
Analog zum Typ-1-Diabetes scheinen orale Antidiabetika bei CIADM weitgehend wirkungslos zu sein.[4]
Bei Behandlung weiterer, gleichzeitig auftretender irAEs ist die diabetogene Wirkung von Kortikosteroiden zu beachten.
Einzelnachweise
- ↑ Schleicher et al., Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus: Update 2021. Diabetologie, 2021.
- ↑ 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 2,11 2,12 2,13 Wu et al., Risk Factors and Characteristics of Checkpoint Inhibitor-Associated Autoimmune Diabetes Mellitus (CIADM): A Systematic Review and Delineation From Type 1 Diabetes. Diabetes Care, 2023.
- ↑ Müssig, Checkpoint-Inhibitor-assoziierter Diabetes - Früheres und schwereres Auftreten bei Diabetes-spezifischen Autoantikörpern. Info Diabetologie, 2023.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 4,8 4,9 Tsang et al., Checkpoint Inhibitor-Associated Autoimmune Diabetes Is Distinct From Type 1 Diabetes. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 2019.
- ↑ Barroso-Sousa et al., Incidence of Endocrine Dysfunction Following the Use of Different Immune Checkpoint Inhibitor Regimens. JAMA Oncology, 2018.
- ↑ Stamatouli et al., Collateral Damage: Insulin-Dependent Diabetes Induced With Checkpoint Inhibitors. Diabetes, 2018.
- ↑ American Diabetes Association, Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus. Diabetes Care, 2014.