Blausäureintoxikation
Synonyme: Zyanidintoxikation, Cyanidintoxikation, Blausäurevergiftung
Englisch: hydrocyanic acid poisoning, cyanide poisoning
Definition
Als Blausäureintoxikation bezeichnet man die durch den Kontakt mit Blausäure- oder Cyanid-haltigen Substanzen entstehende Vergiftung, die unbehandelt schon bei Exposition gegenüber geringen Toxinmengen (etwa 70 mg bei oraler Aufnahme) letal ist.
Resorption
Blausäure- oder Cyanidverbindungen können auf verschiedenen Wegen in den Organismus gelangen. Typische Aufnahmemodi sind die Einatmung, die orale Aufnahme oder die Resorption über die Haut:
- Respirationstrakt: Nach Einatmung des Toxins (beispielsweise als bei Schwelbränden freiwerdendes Gas) wird die Substanz in der Lunge resorbiert und gelangt ins Blut sowie in das umgebende Gewebe.
- Haut: Blausäure gelangt als kleines wenig polares Molekül leicht durch die schützenden oberen Hautschichten und erreicht nach kutaner Resorption schnell die Blutbahn.
- Gastrointestinaltrakt: Durch die Aufnahme von Nahrungsmitteln, die cyanogene Glykoside enthalten (beispielsweise Bittermandeln), kann das üblicherweise glykosidisch gebundene Cyanid enteral resorbiert werden und auf diesem Wege in die Blutbahn gelangen.
Pathomechanismus
Beim Kontakt mit Körperflüssigkeiten nehmen Cyanide als extrem schwache Säuren ein Proton auf und liegen damit als ungeladene Blausäure vor, die in der Lage ist, Lipidmembranen zu passieren. Innerhalb der Zellen entfaltet die Blausäure ihre Wirkung über die Bindung am zentralen Eisen(III)-Ion des Häm-a3-Kofaktors der Cytochrom-c-Oxidase in der Atmungskette der Mitochondrien. Die höhere Bindungsaffinität der Blausäure im Vergleich mit dem Sauerstoff verhindert eine weitere Sauerstoffbindung und die daraus resultierende Deaktivierung der Cytochrom-c-Oxidase führt zur Blockade der Atmungskette. Der Tod durch "inneres Ersticken" tritt innerhalb weniger Minuten ein.
Daneben komplexiert Blausäure auch das Eisen in Hämo- und Myoglobin.
Symptome
Erstes Symptom einer Blausäureintoxikation ist das Auftreten starker Krämpfe, Erbrechen und Bewusstlosigkeit folgen schnell. Die Atemluft bei Patienten mit Cyanidvergiftung hat den charakteristischen Bittermandelgeruch. Der Tod tritt unbehandelt innerhalb kürzester Zeit ein.
Zu beachten ist, dass der typische Bittermandelgeruch nicht von allen Menschen (ca. 30-40%) wahrgenommen werden kann. Ursächlich hierfür sind genetische Gründe. Das Fehlen dieses typischen Geruches darf daher nicht zu der falschen Annahme führen, dass der Patient nicht an einer Blausäureintoxikation leidet.
Diagnose
Die Diagnose erfolgt üblicherweise über den charakteristischen Bittermandelgeruch der ausgeatmeten Luft von intoxikierten Patienten. Auch eine hellrote Färbung von Haut und Schleimhäuten weist auf das Vorliegen einer Blausäurevergiftung hin, da das venöse Blut noch Sauerstoff gebunden hat und daher in hellem Rot erscheint. Die definitive Diagnose wird üblicherweise mithilfe der Anamnese (Fremdanamnese) gestellt.
Therapie
Die Therapie bei einer Blausäureintoxikation muss schnell erfolgen. Es existieren mehrere Antidote, vor allem 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP) und Natriumthiosulfat. Ebenfalls kann Hydroxycobalamin (eine Vitamin-B12-Vorstufe) als Komplexbildner des freien Cyanid angewendet werden (Cyanokit®).
Die Therapie mit Natriumthiosulfat zielt darauf ab, die körpereigene Entgiftung zu beschleunigen. Es dient als Substrat des Enzyms Rhodanase, einer Sulfurtransferase, die durch das Übertragen der Schwefelgruppe Cyanid in das ungefährlichere Thiocyanat (SCN-) umsetzt. Die Wirkung von 4-Dimethylaminophenol beruht auf einer raschen Bildung von Methämoglobin, worauf sich dann die Blausäure verschiebt (CAVE: keine Anwendung bei gleichzeitiger CO-Intoxikation).
In klinischer Entwicklung befindet sich ferner Sulfanegen.