Wiederholungsrisiko (Genetik)
Synonym: Wiederholungswahrscheinlichkeit
Englisch: recurrence risk
Definition
Der Begriff Wiederholungsrisiko beschreibt in der Genetik die Wahrscheinlichkeit, dass eine in der Familie bereits aufgetretene genetische Erkrankung erneut auftritt.
Hintergrund
Die Berechnung und die Kommunikation des Wiederholungsrisikos sind wichtige Bestandteile der humangenetischen Beratung. Beratungsanlass ist dabei meist ein Kinderwunsch bei vorhandenem genetischem Risiko.
Bei der Berechnung werden unterschiedliche Faktoren berücksichtigt, dazu gehören u.a.:
- Genotyp der Eltern
- Erbgang der Erkrankung unter Berücksichtigung der Mendelschen Regeln
- Penetranz der Erkrankung
- Locusheterogenie der Erkrankung (z.B. bedeutsam bei erblicher Surditas oder Mukoviszidose)
- bei Repeatexpansionserkrankungen: Anzahl der Repeats (u.a. bei Prämutationen)
- Imprinting des betroffenen Gens
- das maternale Alter (z.B. bei Chromosomenaberrationen)
- empirische Risikozahlen bei polygenen Erkrankungen, unklarem Erbgang oder möglichem Keimzellmosaik
Monogenetische Erkrankungen
Das Wiederholungsrisiko bei monogenetischen Erkrankungen lässt sich weitgehend aus den Mendelschen Regeln in Abhängigkeit des Erbgangs ermitteln.
... mit autosomal-dominantem Erbgang
Bei einem autosomal-dominanten Erbgang wird die ursächliche Mutation unabhängig des Geschlechts weitergeben und ist typischerweise bei mehreren Familienmitgliedern zu finden. Sporadische Fälle sind meist auf Neumutationen zurückzuführen.
Erkankungsmuster | Wiederholungsrisiko |
---|---|
ein Elternteil erkrankt | 50 % |
beide Elternteile erkrankt (heterozygot) | 75 % |
ein oder beide Elternteile erkrankt (homozygot) | 100 % |
... mit autosomal-rezessivem Erbgang
Bei einem autosomal-rezessiven Erbgang muss das veränderte Allel auf beiden homologen Autosomen vorliegen, damit sich die Erkrankung manifestiert. Die Vererbung ist unabhängig vom Geschlecht. Bei einer unauffälligen Familienanamnese wird die Heterozygotenwahrscheinlichkeit verwendet, die durch das Hardy-Weinberg-Gesetz berechnet wird.
Erkankungsmuster | Wiederholungsrisiko |
---|---|
ein Elternteil Konduktor | 0 % |
beide Elternteile Konduktoren | 25 % |
ein Elternteil erkrankt, das andere Konduktor | 50 % |
beide Elternteile erkrankt | 100 % |
... mit X-chromosomal-rezessivem Erbgang
Bei einem X-chromosomal-rezessiven Erbgang sind folgende Situationen zu unterscheiden:
Erkankungsmuster | Wiederholungsrisiko |
---|---|
Mutter gesund, Vater erkrankt | 0 % |
Mutter Konduktorin, Vater gesund | Söhne: 50 %, Töchter: 0 % |
Mutter Konduktorin, Vater erkrankt | Söhne: 50 %, Töchter: 50 % |
Mutter erkrankt, Vater gesund | Söhne: 100 %, Töchter: 0 % |
beide Elternteile erkrankt | 100 % |
... mit X-chromosomal-dominantem Erbgang
Bei einem X-chromosomal-dominanten Erbgang sind sowohl Männer als auch heterozygote Frauen betroffen.
Erkankungsmuster | Wiederholungsrisiko |
---|---|
Mutter gesund, Vater erkrankt | Söhne: 0 %, Töchter: 100 % |
Mutter erkrankt, Vater gesund | 50 % |
beide Elternteile erkrankt | 100 % |
... mit Keimzellmosaik
Bei einigen autosomal-dominant vererbten Erkrankungen, z.B. bei der Achondroplasie, besteht die Möglichkeit eines Keimzellmosaiks. Das bedeutet, dass ein Teil der Keimzellen (Eizellen oder Spermien) die betreffende Mutation trägt. In der genetischen Beratung sollte diese Möglichkeit immer dann berücksichtigt werden, wenn zwei gesunde Elternteile ein erkranktes Kind geboren haben und eine weitere Schwangerschaft geplant ist. In den meisten Fällen ist eine Neumutation in Eizelle, Spermium oder Zygote ursächlich für die Erkrankung beim 1. Kind. Das Wiederholungsrisiko ist dann sehr gering. Bei einem Keimzellmosaik hingegen ist die Wahrscheinlichkeit eines wiederholten Auftretens der Erkrankung bei den Nachkommen erhöht.
Ein Keimzellmosaik ist auch bei einigen X-chromosomal-rezessiven Erkrankungen möglich, z.B. bei der Muskeldystrophie Typ Duchenne.
Polygenetische Erkrankungen
Bei polygenen, multifaktoriellen und chromosomalen Erkrankungen (z.B. LKGS, hypertrophe Pylorusstenose) sowie Prämutationen werden empirische Wiederholungswahrscheinlichkeiten verwendet. Diese berücksichtigen je nach Krankheit:
- Anzahl zuvor erkrankter Geschwister
- familiäre Krankheitsfälle, deren Verwandtschaftsgrad und teilweise auch das Geschlecht (z.B. bei Carter-Effekt)
Literatur
- Schaaf und Zschocke. Basiswissen Humangenetik. Springer Verlag. 3. Auflage, 2018.
- Moog et al. Grundlagen der Vererbung, in Medizinische Genetik für die Praxis. Thieme Verlag Stuttgart, 2014.
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