Telenotarzt
Definition
Ein Telenotarzt, kurz TNA, ist ein Notarzt, der telemedizinisch Kontakt zu einem Rettungsmittel und dessen Besatzung vor Ort bei einem Patienten hat. Neben der Sprachkommunikation mit dem Rettungsteam nutzt er – je nach Ausstattung des Rettungsmittels – weitere Informationsquellen, wie z.B. Vitaldaten der Gerätediagnostik (z.B. 12-Kanal EKG), Fotos oder Videostreaming.[1]
Hintergrund
Der Telenotarzt ordnet Diagnostik und Therapie an, delegiert Medikamente und begleitet Entscheidungen (z.B. Zielklinik). Er ersetzt aber nicht die Präsenz eines Notarztes bei vitalen Notfällen, sondern ergänzt das System.
Das heute in Deutschland etablierte Telenotarzt‑System wurde in Aachen seit 2007 in Forschungsprojekten entwickelt und ist seit April 2014 in der Routinenotfallversorgung. Von dort aus erfolgte die Skalierung in weitere Regionen. Nordrhein‑Westfalen treibt seit 2022 eine flächendeckende Telenotarzt‑Struktur voran. Alle Kreise und kreisfreien Städte können sich an einen Standort anbinden. Bayern hat den Telenotarzt als neues Einsatzmittel gesetzlich verankert und baut seit 2025 landesweit drei Telenotarzt‑Standorte aus.[2]
Technik und Infrastruktur
Voraussetzungen sind:
- Telekonsultationszentrum (häufig integriert in einer Leitstelle) mit Telenotarzt und Dokumentations‑/Konferenzsoftware
- telenotarztfähige Rettungsmittel mit mobiler/fest verbauter Kommunikationseinheit. Übertragen werden zwei‑Wege‑Audio, Echtzeit‑Vitaldaten, EKG, Bilder (Smartphone) und Innenraum‑Video; der Telebericht kann im RTW ausgedruckt werden
Qualifikation
Telenotärzte müssen eine Fortbildung durchlaufen. Voraussetzung ist die Anerkennung als Facharzt in einem Gebiet mit unmittelbarem Bezug zur klinischen und rettungsdienstlichen Notfall- und Intensivmedizin, sowie die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin. Zudem müssen mindestens 2 Jahre regelmäßiger Tätigkeit als Notarzt, mindestens jedoch 500 eigenständig absolvierte Notarzteinsätze nachgewiesen werden.[1] Wünschenswert sind zudem:
- Qualifikation zum leitenden Notarzt
- Kurs „Interhospitaltransport/Intensivtransport“ nach DIVI-Empfehlungen
- Nachweis eines zertifizierten Versorgungsstandards in der Traumaversorgung (z.B. PHTLS, ATLS)
- Nachweis eines zertifizierten Versorgungsstandards in der Reanimationsversorgung (z.B. ACLS)
Die Fortbildung umfasst einen Kurs mit 28 Unterrichtseinheiten, in denen auch praktische Szenarien trainiert werden.
Indikationen
Beispiele für Indikationen sind u.a.:
- Analgesie/Antiemese, hypertensive Entgleisung, respiratorische Notfälle (Asthma/COPD), Hyper‑/Hypoglykämie
- Unterstützung bei ACS‑Diagnostik (EKG‑Interpretation, Leitlinienpfade, Zielklinik)
- Strukturierte Versorgung bei Schlaganfallverdacht (Prähospital‑Informationstransfer)
- Bridging bis zum Eintreffen eines Notarztes vor Ort bzw. zur Entscheidung, ob eine Nachforderung nötig ist
- Rücksprache mit anfordernden Kliniken für Interhospitaltransporte (Notarztbegleitung wird zwar häufig angefordert, ist aber selten tatsächlich notwendig)
Vorteile
Der Telenotarzt verkürzt das arztfreie Intervall und ermöglicht eine frühere Therapieeinleitung. Ressourcen können geschont werden, indem „physische“ Notärzte gezielter disponiert werden können.
Risiken und Grenzen
Das System ist von einer funktionierenden Technik bzw. (Funk-)verbindung abhängig. Haftung und Organisation variieren landesrechtlich.
Der Telenotarzt ist nicht als Ersatz für die physische Präsenz bei zeitkritischen, manuellen Prozeduren geeignet (z.B. endotracheale Intubation, Thoraxdrainage).
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 BÄK-Curriculum Telenotarzt/Telenotärztin, 19.10.2023
- ↑ Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration: Telenotarzt in Bayern. Zuletzt abgerufen am 29.08.2025