Skaphoidfraktur
Synonyme: Kahnbeinbruch, Kahnbeinfraktur, Scaphoidfraktur
Definition
Die Skaphoidfraktur ist eine Fraktur des Os scaphoideum (Kahnbein).
- ICD10-Code: S62.0
Epidemiologie
Die Skaphoidfraktur ist mit 50-80 % die häufigste Fraktur der Handwurzelknochen. Weiterhin macht sie ca. 2-7 % aller Frakturen aus. Männer sind sechsmal häufiger betroffen. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr.
Pathomechanismus
Typischer Pathomechanismus für die Skaphoidfraktur ist ein Sturz auf die gestreckte Hand, meist beim Sport.
Einteilung
...nach Lokalisation
- mittleres Drittel: 60 - 69 %
- distales Drittel: 17 -32 %
- proximales Drittel: 3 - 16 %
...nach Herbert und Fisher
- A1: Fraktur des Tuberculum ossis scaphoidei
- A2: Fraktur der Kahnbeintaille
- B1: Fraktur schräg im mittleren Drittel verlaufend
- B2: Fraktur quer im mittleren Drittel verlaufend
- B3: Fraktur des proximalen Drittels
- B4: perilunäre Luxationsfraktur
- B5: Fraktur mit mehreren großen Fragmenten
- C: verzögert heilende Fraktur jeglicher Lokalisation
- D1: straffe Pseudarthrose (fibrous non-union)
- D2: mobile Pseudarthrose (sclerotic non-union)
...nach Krimmer
Die Klassifikation nach Krimmer entspricht aktuell (2024) der gebräuchlichsten Klassifikation für Skaphoidfrakturen, basiert auf CT-morphologischen Kriterien und ist grundlegend für die Therapieentscheidung:
- A: stabil (ca. 30 %)
- A1: nicht dislozierte Fraktur des Tuberculums
- A2: nicht dislozierte Fraktur im mittleren oder distalen Drittel des Skaphoids
- B: instabil (ca. 70 %)
- B1: lange Schrägfraktur
- B2: dislozierte Fraktur
- B3: proximale Fraktur
- B4: transskaphoidale perilunäre Luxationsfraktur (De-Quervain-Luxationsfraktur)
...nach AO-Klassifikation
- 24-C1: Avulsionsfraktur
- 24-C2: horizontale bzw. transversale Fraktur
- 24-C2.1: Frakturen des distalen Drittels
- 24-C2.2: Frakturen des mittleren Drittels
- 24-C2.3: Frakturen des proximalen Drittels
- 24-C3: vertikale bzw. Mehrfragmentfraktur
Symptomatik
Klinisch imponiert eine Skaphoidfraktur durch Schwellung des Handgelenkbereiches und Bewegungseinschränkung. In der Regel ist die Beweglichkeit des Daumens eingeschränkt. Der Versuch, Daumen und Zeigefinger in Opposition zu bringen ("Pinzettengriff") ist schmerzhaft, ggf. sogar unmöglich. Schmerzen bestehen auch bei passiver Bewegung der Handwurzel durch den Untersucher in Pronation und Ulnar- bzw. Radialabduktion.
Diagnostik
Klinische Untersuchung
Bei der klinischen Untersuchung lässt sich durch axiale Belastung des Daumens ein Stauchungsschmerz auslösen. Häufig besteht zusätzlich ein Druckschmerz über der Tabatière.
Bildgebung
Eine radiologische Diagnostik ist bei Verdacht auf eine Skaphoidfraktur obligat. Initial wird meist eine Röntgenuntersuchung des Handgelenks in zwei Ebenen (dorsopalmare und seitliche Projektion) angefertigt, um das karpale Gefüge zu beurteilen (Sensitivität 70 %, Spezifität 70 - 85 %). Des Weiteren wird eine Stecher-Aufnahme in Ulnarabduktion und Faustschluss empfohlen. Grundsätzlich muss beachtet werden, dass in bis zu 40 % der Fälle keine Frakturlinie im Röntgen erkennbar ist. Andere Spezialaufnahmen wie z.B. das sogenannte "Kahnbeinquartett" (Stecher-Projektion, Aufnahmen in Hyperpronation, nach Schreck und nach Bridgeman) sind verzichtbar, da in der Regel eine Computertomographie (CT) verfügbar ist.
Eine Dünnschicht-CT stellt die Handwurzelknochen genau dar und ist zur genauen Klassifikation der Fraktur und zur Beurteilung von Begleitverletzungen sowie zur Therapieplanung empfehlenswert (Sensitivität 85 - 95 %, Spezifität 95 - 100 %). Die Strahlenbelastung beträgt in der Regel 0,03 mSv.
CT-okkulte intraspongiöse Frakturen und ligamentäre Verletzungen können mittels Magnetresonanztomographie (MRT) dargestellt werden.
Differentialdiagnose
- Os centrale carpi
- Os scaphoideum bipartitum: Die Existenz dieser Normvariante wird angezweifelt; vermutlich handelt es sich um eine alte Skaphoidpseudarthrose.
Komplikationen
Ist im Rahmen einer Skaphoidfraktur das Os lunatum nach dorsal in Extensionsstellung rotiert (DISI-Fehlstellung), kann es zu einer Humpback-Deformität kommen.
In bis zu 10 % der Fälle tritt nach einer Skaphoidfraktur eine Kahnbeinpseudarthrose auf, insbesondere bei instabilen und verzögert versorgten proximalen Frakturen. Spätfolge der Pseudarthrose ist ein Kollaps der Handwurzel (SNAC-Wrist). Weiterhin ist das Risiko einer sekundären Arthrose erhöht.
Die hohe Rate an Pseudarthrosen nach Skaphoidfrakturen hat viele Ursachen:
- gegenläufige Verdrehung der beiden Fragmente (Humpback-Deformität), sodass die Kontaktfläche nur gering ist.
- große Beweglichkeit der Fragmente in unterschiedliche Richtungen bei schon geringen Handgelenkbewegungen
- schlechte Durchblutung des proximalen Fragments
Therapie
Konservative Therapie
Nur stabile Kahnbeinfrakturen (Typ A nach Krimmer) eignen sich für eine konservative Therapie:
- Primäre Ruhigstellung mittels einer Schiene oder einem gespaltenem Gips bis zum Abschwellen der Weichteile
- Definitive Ruhigstellung in leichter Extensionsstellung des Handgelenks mittels zirkulärem Gipsverband
- Die Fingergrundgelenke sollten von der Retention ausgeschlossen werden. Der Ein- oder Ausschluss des Daumens wird kontrovers diskutiert.
- Bei Typ A1: Retention von 4 Wochen
- Bei Typ A2: Ruhigstellung von 6 bis 8 Wochen
- Je nach klinischer Untersuchung und spätestens nach 4 bis 8 Wochen radiologische Kontrolle der Frakturheilung
- Retentionszeit von 12 Wochen sollte nicht überschritten werden, da sonst Einsteifungen und ein Funktionsverlust des Handgelenks droht.
- Bei ausbleibender Frakturheilung kommt eine operative Therapie infrage. Dadurch können minimal dislozierte Frakturen in > 90 % der Fälle ausheilen.
Operative Therapie
Instabile Frakturen (Typ B nach Krimmer) sollten operativ behandelt werden. Standardoperation ist die minimalinvasive anatomische Rekonstruktion mittels einer kanülierten Doppelgewindeschraube (Herbert-Schraube). Bei Frakturen des mittleren Drittels wird die Schraube antegrad von dorsal oder retrograd von palmar eingebracht, Frakturen des proximalen Drittels werden von antegrad versorgt.
Wenn ein Knochendefekt oder eine zystische Veränderung des Kahnbeins vorliegen, sollte außerdem ein Knochenspan eingebracht werden oder eine Spongiosaplastik nach einer Anfrischung (Débridement) erfolgen.
Frakturen des mittleren Drittels
Während distale Frakturen konservativ und proximale Frakturen operativ versorgt werden, ist die Therapie der Wahl bei Frakturen des mittleren Drittels umstritten, insbesondere bei Dislokation von weniger als 1 bis 2 mm. Durch eine Operation wird die Zeit bis zur Belastbarkeit und Heilung reduziert, das funktionelle Ergebnis und die Raten einer Non-Union sind jedoch vergleichbar.
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